„In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“

Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme

 

Der Begriff Quote ist vermutlich etwas negativ besetzt.

Das finde ich nicht. Ich war lange Zeit der Meinung, dass sich Qualität durchsetzt, das ist aber nicht so. Geschlecht und Hautfarbe setzen sich durch. Gerade im Theaterbereich, zum Beispiel in Karlsruhe, gibt es recht avancierte Bemühungen in diesem Bereich, wie etwa die Schauspieldirektion unter Anna Bergmann, die für eine Spielzeit nur weibliche Regisseurinnen verpflichtet und die ganze Dramaturgie weiblich besetzt hat. In Zürich haben die Gessnerallee und das Theater Neumarkt beide jeweils Dreierleitungen bestehend aus Frauen. Ich bin sozusagen als weißer Cis-Mann vor zwei Jahren in diese Leitungsposition gekommen und diese Diskussionen gab es hier natürlich auch.

 

Wie ist das Publikum beschaffen?

Das Publikum ist überwiegend weiß und bürgerlich. Da unsere letzte Publikumsbefragung 2007 stattfand, haben wir kürzlich wieder ein sozialwissenschaftliches Forschungsbüro in Wien mit einer Besucher*innen-, aber auch mit Nicht-Besucher*innen-Befragung beauftragt.

Wir haben auch Studierende zu ihrem Verhältnis zur ARGEkultur befragt und die Ergebnisse sind sehr spannend. Es hat sich herausgestellt, dass Studierende für Kultur im weitesten Sinne nur 21 Euro pro Monat zur Verfügung haben. Das kann man knapp auf folgende Formel bringen: Sagen wir, ich bin Student und jage von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends ECTS-Punkte auf der Uni. Ich wohne in einem Studentenheim außerhalb der Stadt, wo ab zehn Uhr nachts kein öffentlicher Verkehr mehr hinfährt. Ich stehe vor der Entscheidung, ob ich abends in die ARGEkultur gehe, um ein Konzert von Nino aus Wien zu besuchen und dann nicht mehr nach Hause kommen zu können, obwohl ich am nächsten Tag um sechs Uhr früh aufstehen muss, um rechtzeitig zur Uni zu kommen; oder ob ich nach Hause gehe, um bei Netflix einzuschlafen. Die Antwort ist: Netflix. Diese Formel enthält alles, worum es bei den Studierenden als Zielpublikum geht: Mietpreise, Wohnort, öffentlicher Personennahverkehr, Budget, Digitalisierung, Bologna. Das Programm, das wir anbieten, ist die einzige Schraube, an der wir drehen können, um es an deren kulturelle Bedürfnisse anzupassen und sie zum Kommen zu bewegen. Die anderen Bereiche betreffend sind wir zwar nicht machtlos, aber wir müssen sehr kreativ in der Frage sein, wie wir damit umgehen. So viel zu den Studierenden.

Obwohl es nur zehn Prozent der jährlichen Veranstaltungen sind, ist der Bereich Kabarett das der kommerziellste bzw. wirtschaftlich relevanteste in der ARGEkultur. Hier gibt es einen ganz deutlichen Fokus auf ein weißes, älteres, bürgerliches und vor allem zahlungskräftiges Publikum. Das ist für die wirtschaftliche Stabilität und Verankerung der ARGEkultur in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus relevant. Man wird allerdings sehen, ob und wie sich das durch Corona möglicherweise ändern wird.

Wir versuchen daher auch immer stärker, andere Publika anzusprechen und das funktioniert über Dialog und Partizipation. Manchmal funktioniert es auch überhaupt nicht. Es geht aber um Trial und Error, darum, Dinge wiederholt zu versuchen und wenn sie scheitern, sie abermals zu versuchen und nicht abzubrechen, bis etwas ankommt. – Ein Beispiel: Wir haben im letzten Jahr gemeinsam mit der Arbeiterkammer Salzburg unter deren Label AKyoung ein großes Hip-Hop-Konzert mit Eunique, KeKe und T-Ser veranstaltet und 300 Freikarten an Jugendliche aus sozial benachteiligten Milieus verteilt. Davon sind die wenigsten gekommen – nicht zuletzt, weil wir in vielen Aspekten Fehler gemacht haben, aus denen wir erst mal lernen mussten. Dieses Jahr wollten wir mit Hayiti, Hunney Pimp und Bibiza erneut ein großes Konzert machen und dabei die Fehler des letzten Jahres vermeiden – ob das geklappt hätte, können wir Corona-bedingt dann eben erst im nächsten Jahr sehen.

Was natürlich hinzukommt, ist, dass wir ein sehr sprachbasiertes Haus sind. Wir würden gerne Maßnahmen wie Übertitelungen bei Veranstaltungen setzen, aber das ist ein personeller und finanzieller Aufwand, der massive Zusatzförderungen benötigen würde. Programme wie in Deutschland den 360° Fonds der Bundeskulturstiftung, der so etwas ermöglicht, gibt es hier noch nicht.

Dilara Akarçeşme, Sebastian Linz ( 2020): „In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“. Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/in-einer-gesellschaft-in-der-sich-weltbilder-schliessen-muss-man-auf-oeffnung-setzen/