Ins Bild setzen: an der Schnittstelle von privaten und öffentlichen Räumen Platz nehmen

Das Projekt „Test.Test.Liegen“
Text: Romana Hagyo, Fotografien: Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf

Zur künstlerischen Arbeitweise, Repräsentationskritik

Ausgehend von der Beschreibung des Vorgehens soll die Arbeit aus einer repräsentationskritischen Perspektive zur Diskussion gestellt werden. Wir testen die Möglichkeiten des Liegens*22 *(22) an den ausgewählten Orten mit unseren Körpern. Beim Liegen auf dem Asphalt treten die Empfindungen von Kälte, Wärme, des Unwohlseins über den Schmutz auf (und die Künstlerin wird sich des Luxus bewusst, ein Zuhause und eine Dusche zu haben). Es handelt sich um eine sogenannte private Tätigkeit*23 *(23), deren Durchführung im Stadtraum die Blicke der Vorbeigehenden auf sich zieht. Die Konfrontation mit dem eigenen Körper findet ihre Fortsetzung, wenn wir beim Gestalten der großformatigen Collagen mit dem Stanleymesser entlang unserer eigenen Körperkonturen schneiden.

Das Liegen im öffentlichen Raum impliziert, den Blicken der Passant_innen ausgesetzt zu sein und von unten auf die Umgebung zu blicken – um kurze Zeit später als Fotografierende hinter der Kamera zu stehen und auf die Szene zu blicken, sie zu gestalten. Dieser Wechsel der Position intendiert die Weigerung, sich auf einen der beiden Plätze festlegen zu lassen: Menschen werden sich ihrer „Positionierung im Feld des Sichtbaren“ in dem Moment gewahr, in dem sie „sich selbst in Gestalt einer phantasmatischen Fotografie wahrnehmen“ (Silvermann 1997: 43).star (*22) Die „alltäglichen Prozesse des Blickens und des Angeblickt-Werdens“ (Mitchell 2012: 67)star (*17) sind Teil des Prozesses der Subjektkonstitution (vgl. Silvermann 1997: 42f).star (*22) Räumliche Anordnungen weisen Blickrichtungen zu. Diesen Blickverhältnissen als räumlichen Verhältnissen sind Machtrelationen inhärent, indem im Rahmen der räumlichen Ordnung gesellschaftliche und geschlechterspezifische Positionen zugewiesen oder auch überschritten werden (vgl. Colomina 1992: 178;star (*2) Kuhlmann 2003: 144-168, 204star (*14)).

Der Wechsel zweier Personen zwischen der liegenden und der stehenden Position ist gleichzeitig ein Wechsel zwischen dem Platz vor und hinter der Kamera. Damit wird auf die Räumlichkeit von Blickverhältnissen verwiesen und intendiert, Wechselverhältnisse des Blickens deutlich zu machen, zu unterbrechen oder zu verschieben und auf diese Weise Handlungsmöglichkeiten im „Feld des Sichtbaren“ zu nutzen (Silvermann 1997: 41).star (*22) Die Präsentationsform der Collage, die gemeinsame Autorinnenschaft und die Verschmelzung von Körpern und Umgebungsraum folgen ebenfalls dieser Intention. Handlungsspielraum im „Feld des Sichtbaren“ impliziert, dass Menschen die Eignung und den Wunsch haben, ihre Pose an ein imaginäres Bild anzupassen (vgl. ebd.: 46ff.)star (*22)*24 *(24). In gleicher Weise besteht die Möglichkeit, den Akt der Anpassung zu verweigern, das Bild zu stören oder zu verunklären.*25 *(25) Die „Gewissheit, gesehen zu werden“ (ebd. 1997: 43)star (*25) ist in einem Spannungsfeld situiert, das einen Handlungsspielraum eröffnet, in das Wie des Zeigens einzugreifen (vgl. Schade/Wenk 2011: 111).star (*21)*26 *(26)

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Bartl, Angelika (2014): Politische Privatheit. In: Nierhaus, Andreas/Nierhaus Irene (Hg.): Wohnen Zeigen. Modelle und Akteure des Wohnens in Architektur und visueller Kultur. Bielefeld: Transkript, S. 203-220.

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Colomina, Beatriz (1992): Die gespaltene Wand, häuslicher Voyeurismus. In: Hauser, Susanne et al. (Hg.)(2003): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Zur Logistik des sozialen Raumes. Bielefeld: Transcript, S. 176-187.

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Eibach, Joachim/Schmidt-Voges, Inken (Hg.) (2015): Das Haus in der Geschichte Europas: ein Handbuch. Berlin: De Gruyter.

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Eibach, Joachim: Das Haus in der Moderne. In: Eibach, Joachim/Schmidt-Voges, Inken (Hg.) (2015): Das Haus in der Geschichte Europas: ein Handbuch. Berlin: De Gruyter, S. 19-40.

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Fraser, Nancy (1996): Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demokratie. In: Scheich, Elvira (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftskritik. Hamburg: Hamburger Edition, S. 151-182.

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Fraser, Nancy (2001): Die halbierte Gerechtigkeit. Schüsselbegriffe des postindustriellen Sozialstaats. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

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Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt/Main/New York: Campus Verlag.

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Hohendahl, Peter, Uwe et al. (2002): Öffentlichkeit/Publikum. In: Barck, Karlheinz et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler Verlag, S. 583-637.

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Holert, Tom (2000): Bildfähigkeiten. In: Ders. (Hg.): Imageneering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit. Jahresring 47, Köln: Oktagon, S. 14-33.

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Holert, Tom (2015): Politik des Sehens. In: Bildpunkt Nr. 37, S. 8-9.

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Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung. Frankfurt/Main: Campus Verlag.

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Joris, Elisabeth (2015): Profession und Geschlecht: Das Haus als Ort der Ausbildung und Berufstätigkeit im 10. Jahrhundert. In: Eibach, Joachim/Schmidt-Voges, Inken (Hg.): Das Haus in der Geschichte Europas: ein Handbuch. Berlin: De Gruyter, S. 355-372.

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Klaus, Elisabeth (2001): Das Öffentliche im Privaten – das Private im Öffentlichen, ein kommunikationstheoretischer Ansatz. In: Herrmann, Friederike/Lünenborg, Margret: Tabubruch als Programm. Opladen: Leske und Budrich, S. 15-37.

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Kuhlmann, Dörte (2003): Raum. Macht & Differenz. Wien: edition selene.

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Landes, Joan B. (Hg.) (1998): Feminism, the Public and the Private. Oxford: Oxford University Press.

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Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Mitchell, W.J.T: (2012): Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. München: Verlag C.H. Beck.

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Mulvey, Laura (1975): Visual pleasure and narrative Cinema. In: Badmington, Neil (Hg.)(2008): The Routledge critical and cultural theory reader. London: Routledge, S. 202 – 212.

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Nierhaus, Irene/Konecny, Felicitas (Hg.) (2002): räumen. Wien: edition selene.

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Rössler, Beate (2001): Der Wert der Privaten. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

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Schade, Sigrid/Wenk, Silke (Hg.) (2011): Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript.

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Silverman, Kaja (1997): Dem Blickregime begegnen. In: Krawagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Berlin: Verlag ID-Archiv, S. 41-64.

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O.V. (2016): Innsbruck: Gemeinderat lehnt Schlafverbot für Obdachlose ab. In: derStandard.at vom 18.11.2016. Online unter http://mobil.derstandard.at/2000047254816/Innsbruck-beschliesst-Naechtigungsverbot-fuer-Obdachlose (1.7.2017).

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O.V.: (2017): Test.Test.Liegen. Online unter http://eop.at/datenbank/projekte/testtestliegen (20.6.2017).

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Roessler, Beate (2003): Der Wert des Privaten. Online unter http://90.146.8.18/de/festival2007/topics/d_roessler_lang.pdf(1.7.2017).

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Reibenwein, Michaela (2017): Umbau geplant: Kunden fühlen sich durch Obdachlose gestört. In: kurier.at vom 23.3.2017. Online unter https://kurier.at/chronik/wien/oebb-baenke-am-westbahnhof-abmontiert/253.910.729 (26.6.2017).

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Ronneberger, Klaus (2010): Der öffentliche Raum als gesellschaftliche Idee. Shared Space Symposium Graz. Online unter http://www.verkehr.steiermark.at/cms/dokumente/11258746_36307654/1935e97c/Ronneberger.pdf (Stand: 26.6.2017).

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Siebel, Walter/Wehrheim, Jan (2003): Öffentlichkeit und Privatheit in der überwachten Stadt. In: DISP, Heft 153/2003. Online unter https://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/sowi/kriminologie/Publikationen/Siebel_Wehrheim_2003_ueberwachte_Stadt.pdf (1.7.2017).

Siehe hiezu den Abschnitt „Zur künstlerischen Arbeitsweise, Repräsentationskritik“.

Die Grundlagen der räumlichen Trennung zwischen Produktion und Reproduktion als Basis hegemonialer Konzeptionen des Öffentlichen und Privaten, im Speziellen des Haushaltes der bürgerlichen Kernfamilie in europäischen Städten, finden ihren Ursprung in Prozessen der (Früh-)Industrialisierung im 18. Jahrhundert. Teil dieses Prozesses ist die räumliche Trennung von Produktion und Reproduktion entlang geschlechtlicher Parameter als Basis des Haushaltes der bürgerlichen Kernfamilie. Anhand dieses Entwicklungsprozesses zeigt sich die historische Veränderlichkeit von räumlichen Konzeptionen des Öffentlichen und Privaten.

Ein Überblick über die angesprochene Entwicklung findet sich bei Häussermann/Siebel 2004: 59f; Eibach 2015: 22.

Die genannten Faktoren stehen untereinander in einer Wechselwirkung.

Nancy Fraser setzt sich mit Jürgen Habermas’ Konzeption einer singulären Öffentlichkeit als gleichberechtigt zugängliche Sphäre der Auseinandersetzung über das Zusammenleben auseinander. Sie macht unter anderem deutlich, dass die soziale Position einer Person Einfluss darauf hat, welches Gewicht ihren Aussagen zukommt.

Es würde den thematischen Rahmen dieses Textes überschreiten, die Entwicklung darzustellen, die Nancy Frasers Ansatz vorangegangen oder nachgefolgt ist. Einen Überblick bieten Hohendahl et al. 2002: 637f; Landes 1998.

Heike Sander 1968 in einer Rede auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS (Sozialistischen Deutschen Studentenbundes).

Eine weitere Methode, um Übernachtungen zu verhindern ist die Anbringung von Gittern vor Nischen oder Hauseingängen.

Die Flächen der entfernten Bänke waren bereits von Armlehnen unterbrochen, so dass es nicht möglich war, sich hinzulegen (vgl. Rebenwein 2017).

Test.Test.Liegen ist ein fortlaufendes Kunstprojekt seit 2015. Siehe auch die Abbildungen dieses Beitrages. Vgl. auch: o.V., o.J.: Test.Test.Liegen.

Meine Dissertation beschäftigt sich mit Konzeptionen des Öffentlichen und Privaten im Wohnen. Sie ist als Forschung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst konzipiert. Die gewählten Fragestellungen werden anhand ausgewählter Kunstwerke und in der eigenen fotografischen Arbeit erörtert. Das Projekt Test.Test.Liegen ist Teil der Dissertation.

Diese Aussage soll nicht unterstellen, dass wissenschaftliche Arbeit Objektivitätsansprüche stellen könnte, Forschen und Schreiben geht immer auf Basis der eigenen, kulturell bedingten Position vor sich (vgl. Haraway 1995: 78f). Vielmehr ist hier gemeint, im Sinne Donna Haraways die eigene Position als Schreibende und die eigene Verortung im Feld der Untersuchung deutlich zu machen.

Das Ausschneiden mit dem Stanleymesser dient der Fertigung der Collagen.

Die Distanzierung ist vonnöten, um sich auf die professionelle und technisch korrekte Durchführung der fotografischen Arbeit konzentrieren zu können.

Wir wählen Gegenden, die uns bekannt sind, fallweise steht die Auswahl der Gegend auch in Zusammenhang mit einer geplanten Ausstellung.

Im ländlichen Raum besteht diese Notwendigkeit ebenfalls, das Projekt konzentriert sich aber auf Stadträume.

Siehe Abbildungen.

Klaus Ronneberger spricht in diesem Zusammenhang von der „unternehmerischen Erlebnisstadt“, die die „industrielle Vorsorgestadt“ abgelöst hat (vgl. ebd.: 7).

Diese Aussage beruht auf meiner Beobachtung in den Jahren 2014 bis 2017.

Die Rundgänge werden auf eine Weise geplant, dass keine Menschen gestört oder angestarrt werden.

Am Rundgang im Juni 2017 haben unter anderem die Bezirksvorsteherin als auch deren Stellvertreterin und der Geschäftsführer eines Kunstortes des Bezirkes teilgenommen, ihr Wissen zur Verfügung gestellt und gemeinsam mit uns und den anderen Teilnehmenden die Sitzgelegenheiten getestet.

Es werden nicht ausschließlich liegende Positionen eingenommen, sondern auch stehende oder gebeugte Haltungen. Immer aber formt sich der Körper entlang der baulichen Gegebenheiten, so dass eine Auseinandersetzung mit der Materialität der gewählten architektonischen Elemente vor sich geht (Beton, Holz etc.).

Gemeinhin wird daheim im eigenen Bett geschlafen oder auf der eigenen Couch gelegen, nicht auf der Straße.

Kaja Silvermann folgt in dieser  ihrer Argumentation Jaques Lacan und Roger Caillois.

Die Frage nach dem Handlungsspielraum im „Feld des Sichtbaren“ (Silvermann 1997: 41) ist Gegenstand diverser Forschungen und künstlerischer Arbeiten, für einen Überblick siehe Adorf/Brandes 2008. Wichtig war in diesem Zusammenhang auch Laura Mulveys (älterer) Vorschlag, an Blickverhältnissen im Raum Kino zu arbeiten (vgl. Mulvey 1975).

Sigrid Schade und Silke Wenk sprechen aus einer repräsentationskritischen Perspektive vom Zeigen als Zu-Sehen-Geben, siehe unten.

Darstellung wird nicht als Abbildung von etwas Vorgängigem, bereits Bestehendem konzipiert, sondern als Prozess der Realitätskonstitution.

Romana Hagyo, Silke Maier-Gamauf ( 2017): Ins Bild setzen: an der Schnittstelle von privaten und öffentlichen Räumen Platz nehmen. Das Projekt „Test.Test.Liegen“ Text: Romana Hagyo, Fotografien: Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/ins-bild-setzen-an-der-schnittstelle-von-privaten-und-offentlichen-raumen-platz-nehmen/