Intervenieren – Forschen – Vermitteln

Künstlerisch-edukative Projekte in der Kooperation Universität – Schule.
Reflexionen zum Projekt „Making Art ‑ Taking Part!“

Öffentlichkeit, Empowerment und Politisierungsprozesse

„Also, von Anfang an hätte ich mir nie gedacht, dass wir so etwas Großes machen und das hat mich schon überrascht, dass wir dann eine Talkshow gemacht haben. (…) Sobald ihr uns gesagt habt, dass wir uns vorbereiten müssen [auf die Präsentation], da habe ich es dann schon ernst genommen. Weil vorher haben wir es nicht so ernst genommen. (…) Weil ihr habt ja gesagt, dass da viele Leute kommen und da ist dann schon ein bisschen was auf dem Spiel gewesen.“ (Schüler C, BORG Mittersill)

Elke Zobl: Ein wichtiger Ansatzpunkt in dem Projekt war das künstlerisch-kulturelle Verhandeln und das Herstellen von Öffentlichkeit(en). Wir sind in der Beantragung des Projektes von einem transdisziplinären Versuch ausgegangen, ein kommunikationswissenschaftliches Öffentlichkeitsmodell in einem Bildungskontext zu denken und die Rolle von künstlerischen Praxen in gesellschaftlichen Ausverhandlungsprozessen zu reflektieren (s. auch Zobl, im Erscheinen).star (*8) Leitend war für uns das Zitat von Elisabeth Klaus: „Ich sehe Öffentlichkeit als jenen fortlaufenden Prozess an, in dem sich die Gesellschaft darüber verständigt, wie sie leben will.“ (Klaus 2013).star (*4) In dem Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit, auf das wir uns in dem Projekt auf einer theoretischen Ebene beziehen, definiert Elisabeth Klaus Öffentlichkeit als gesellschaftlichen Aushandlungsraum, der sich aus alltäglichen Kommunikationsprozessen (Mikro-Ebene), einer organisierten interessensvertretenden Ebene (Meso-Ebene) sowie einer komplexen, zumeist massenmedialen Ebene (Makro-Ebene) konstituiert.*1 *(1)

Ausgangspunkt des Drei-Ebenen-Modells ist ein weiter Politikbegriff, der Alltagspraktiken miteinschließt und den Blick auf die Vielfalt von Öffentlichkeiten und die kommunikativen Prozesse zur Herstellung von Öffentlichkeit wirft. Lebensweltliche Erfahrungen müssen die mittlere Ebene durchlaufen und sich dort vernetzen, um politische Wirkung zu entfalten. So können Gegenöffentlichkeiten entstehen, die der komplexen Öffentlichkeitsebene alternative Deutungsmuster entgegensetzen (Klaus 2013).star (*4) Auf der mittleren Ebene kann also ein kollektiver Kommunikations- und Diskursraum gebildet werden und soziale und gesellschaftliche Themen können gemeinsam verhandelt werden.

Wir haben uns nun die grundsätzliche Frage gestellt: Wie lassen sich die Erfahrungs-, Lern-, und Aneignungsprozesse, die in diesem Projekt stattgefunden haben, im Kontext des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit denken? Meiner Meinung nach hat sich das Modell als produktiv erwiesen, um die Reflexions-, Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse, aber auch die Politisierungsprozesse, die stattgefunden haben, fassen zu können. Im Übergang von der ersten zur zweiten Ebene finden politisierende Prozesse von Empowerment, Partizipation, Konflikt, Teilhabe und Ausschlüssen statt. Die Prozesse der Politisierung und des Empowerment betreffen v.a. die kritische Hinterfragung und Verhandlung gesellschaftlicher Normen und Werte. bell hooks hat den Begriff Empowerment sehr treffend so beschrieben: „Dieser Prozess setzt ein, wenn wir beginnen zu verstehen, auf welche Weise Herrschaftsstrukturen das eigene Leben bestimmen, wenn wir ein kritisches Bewusstsein und die Fähigkeit zum kritischen Denken entwickeln, wenn wir neue alternative Lebensgewohnheiten ersinnen und aufgrund dieses marginalen Raums von Differenz in uns Widerstand leisten.“ (hooks 1996, zitiert in Johnston-Arthur o.J.).star (*3) Das Modell kann den Blick auf diese Prozesse und damit auf die Möglichkeiten der Eröffnung, aber auch auf Einschränkungen und Konflikte von kollaborativen Diskurs- und Handlungsräumen schärfen.

Die Gespräche und der Austausch der Teilnehmer_innen im (öffentlichen) Projekt sind nicht mehr auf der Alltagsebene der spontanen Gespräche angesiedelt, sondern finden in einem partizipativen Setting sowie einem institutionellen Kontext statt, so dass bereits von einer Verlagerung in die zweite Ebene von Öffentlichkeit gesprochen werden kann. In einigen Interviews mit Schüler_innen wurde dies bestätigt, wenn sie die Erfahrungen aus dem Projekt in ihre Alltagskontexte zurücktragen und dort diskutieren. Doch entstanden in dem Prozess auch viele (unabschließbare und offene) Fragen bei uns als Projektteam, bei den Kooperationspartner_innen, Schüler_innen und Lehrer_innen, die nicht eine Antwort zur Folge haben, sondern viele Antworten eröffnen (können). Wichtig dabei ist jedoch, die “blinden Flecken“ in Bezug auf die Ausschlussmechanismen von Gender, „Race“, Klasse und Alter oder ‑ wie in diesem Projekt ‑ die Stadt-Land-Dynamik mitzudenken. Eine Mitwirkung an den Aushandlungsprozessen einer Gesellschaft darüber, „wie sie leben will“ (Klaus 2013),star (*4) setzt jedenfalls die Fähigkeit voraus, Fragen aufzuwerfen und den Status Quo zu hinterfragen. In den Prozessen der gesellschaftlichen Gestaltung von Öffentlichkeit(en) muss eine kritische Reflexion von künstlerischen und kulturellen Interventionsmöglichkeiten, Partizipation und Empowerment sowie von blinden Flecken und Ausschlüssen beinhaltet sein. Diese Fähigkeit des Fragen-Stellens, der kritischen Reflexion und der Dekonstruktion wird in unserer neoliberalen Gesellschaft immer bedeutender. Unser Projekt war ein Versuch, im Kontext von Kooperationsprojekten von Schule – Universität – Kunst- und Kultur kollaborativ zu erproben: wie Fragen stellen, wie Kritik üben und wie in der Folge kritisch handeln?

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Sternfeld, Nora (2013): Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung – Transnationales Lernen über Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Seite 49 – 55, Wien.

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Eckert, Constanze/ Sternfeld, Nora (2015): Constanze Eckert im Gespräch mit Nora Sternfeld, in Mission Kulturagenten – Onlinepublikation des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen 2011-2015“, Berlin.

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hooks, bell (1996): Yearning – Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht. Berlin.

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Klaus, Elisabeth (2013): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das 3-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Manuskript zur Tagung: Das 3-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit, Universität Salzburg.

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Lefebvre, Henri (1991 [1974]): The Production of Space, 3. Aufl. Oxford, UK/Cambridge, USA: Blackwell.

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Mouffe, Chantal (2014): Agonistik. Die Welt politisch denken. 1. Auf. Berlin: Suhrkamp.

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Zobl, Elke/Laila Huber (2016): Making Art – Taking Part! Negotiating participation and the playful opening of liminal spaces in a collaborative process, in: Conjunctions. Transdisciplinary Journal of Cultural Participation, Volume 1 2016 „Playful Participation“. (peer reviewed) http://www.conjunctions-tjcp.com/article/view/23644

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Zobl, Elke (im Erscheinen): Künstlerische Interventionen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit in künstlerisch-edukativen Kontexten. In: Klaus, Elisabeth und Ricarda Drüeke: 3-Ebenen Modell von Öffentlichkeit, Bielefeld: transcript.

Allerdings bleibt in der Analyse des konkreten Projektes offen, welche Rolle die dritte Ebene von Öffentlichkeit spielt. Dazu hätte das Projekt anders und langfristig angelegt sein müssen.

Veronika Aqra, Laila Huber, Elke Smodics, Elke Zobl ( 2016): Intervenieren – Forschen – Vermitteln. Künstlerisch-edukative Projekte in der Kooperation Universität – Schule. Reflexionen zum Projekt „Making Art ‑ Taking Part!“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/intervenieren-forschen-vermitteln/