„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Zugang zu einem neuen Forschungsfeld

Das Syrian Expat Philharmonic Orchestra (kurz: SEPO) wurde 2015 vom syrischen Kontrabassisten Raed Jazbeh gegründet. Das Eröffnungskonzert des Orchesters fand am 22. September 2015 im Bremer Sendesaal statt und war laut Medienberichten bereits im Vorfeld ausverkauft. Es traten etwa 30 syrische MusikerInnen gemeinsam mit Mitgliedern des Jugend-Symphonie-Orchesters Bremen unter der Leitung von Martin Lentz auf. Das Orchester wurde bei diesem Projekt vom Bremer Rat für Integration unterstützt. Ein Folgekonzert am 3. Oktober 2015 in Hitzacker bei Lüneburg wurde zwar medial angekündigt, eingehende Recherchen ergaben jedoch diesbezüglich keine genaueren Informationen. (Vgl. u.a. Amri 2015)star (*1) Es blieb der Eindruck eines einmaligen Projekts, weshalb die fortwährende Existenz des Orchesters unsicher schien.

Aus diesem Grund gestalteten sich die Kontaktaufnahme mit dem SEPO und damit der Zugang zum (Forschungs-)Feld anfangs schwierig. Im Zuge der Arbeit an meiner Dissertation – ebenfalls ab Herbst 2015 – begann ich, mich für den weiteren Werdegang des Orchesters zu interessieren und versuchte, Kontakt aufzunehmen. Ich kontaktierte sowohl den Bremer Rat für Integration als auch den Orchestergründer Raed Jazbeh – vorerst aber ohne Erfolg. Erst nach einigen Wochen erhielt ich vom Bremer Rat für Integration eine Nachricht mit dem Hinweis, dass dieser für das SEPO nicht mehr zuständig sei. Aufgrund erneuter Recherche wurde ich schließlich auf eine offenbar gerade im Aufbau befindliche Homepage des Orchesters aufmerksam.*4 *(4) Dieser konnte ich entnehmen, dass neben Raed Jazbeh als künstlerischem Leiter nun ein Sänger namens Falko Hönisch für das Management des Orchesters verantwortlich zeichnete. Ich unternahm daher einen weiteren Versuch, Kontakt herzustellen – diesmal mit Erfolg. Ich führte ein längeres Gespräch mit Hönisch und wurde zu den nächsten Konzerten des SEPO im September 2016 eingeladen.

Bei diesem ersten Forschungsaufenthalt verfolgte ich die Probenprozesse des Orchesters und besuchte zwei Konzerte in Berlin/Deutschland und Malmö/Schweden. Da ich – wie bereits erwähnt – im Vorfeld nur wenige Informationen zum Orchester hatte ausfindig machen können, war es zunächst ungewiss, was mich vor Ort erwarten würde. Daher reiste ich mit einer gewissen Unruhe und Nervosität, aber auch mit großer Neugier sowie einem Aufnahmegerät und einigen Interview-Fragen im Gepäck nach Berlin. Vor Ort wurde ich sehr herzlich empfangen, verspürte aber auch seitens der Orchester-AkteurInnen eine gewisse Unsicherheit bezüglich meiner Rolle ihnen gegenüber. Von Beginn an befand ich mich in einem Feld zwischen wissenschaftlicher Forschung und sozialem Engagement und war gefordert, meine Rolle als (europäische) Wissenschaftlerin stetig zu hinterfragen und neu zu artikulieren. Es zeigte sich beispielsweise in informellen Gesprächen mit einigen MusikerInnen, dass für diese meine Rolle im sozialen Gesamtgefüge trotz mehrmaliger Erläuterungen häufig diffus blieb. So schwankten ihre Reaktionen zwischen der Faszination über mein Interesse an ihrem Orchester und dem Unbehagen, zu ‚Objekten‘ einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht zu werden; zwischen der Hoffnung, tatkräftige (organisatorische) Unterstützung zu erhalten und der Enttäuschung, in mir kein neues Orchestermitglied gefunden zu haben. Dementsprechend wurde ich auch von Jazbeh zunächst primär als unterstützende Organisatorin wahrgenommen, weshalb das Zustandekommen eines Interviews mehrere Anläufe benötigte.

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/