„It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“

Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke

Raed Jazbeh im Gespräch: erste Lesarten

Das Interview mit Raed Jazbeh*5 *(5) fand am 9. September 2016 im Rahmen der Orchesterproben für die zwei bereits genannten Konzerte in Berlin statt. Da Jazbeh mit der Organisation der Proben sowie der Konzerte sehr beschäftigt war, wurde ich sogleich zur Mithilfe eingeteilt und vorerst kaum in meiner Rolle als Wissenschaftlerin registriert. Das Interview kam erst zustande, nachdem ich Jazbeh mehrmals höflich um ein Gespräch bat. Für das Interview selbst nahm er sich jedoch relativ viel Zeit (knapp 40 Minuten) und war sehr aufgeschlossen, was unter anderem in seinen ausführlichen Erzählungen deutlich wird. Da das Interview im selben Gebäude wie die Proben, nur einen Stock tiefer, stattfand, war im Hintergrund oftmals Musik zu hören. Das Interview wurde zudem einmal unterbrochen, als zwei Musiker Jazbeh in arabischer Sprache etwas fragten.

MM: Okay, so, my first question: How did you come up with the idea of founding a symphony orchestra of Syrian refugees?

RJ: It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra. Expat that means all the Syrians in Europe and diaspora if they are refugees like me – I’m a refugee – or if they are not refugees, for example, they are teachers or students or musicians in some symphony orchestras. So, this to invite the Syrian musicians – professional and academic – to be together, have meetings, rehearsals and concerts to perform the Syrian symphonic music. Also, we can play the classical music, no problem, because we studied all the classical music. But now we focus about the Syrian symphonic music. And how I started this idea: When I arrived at Germany in 2013 I noted that many, many Syrian musicians live in Europe – not just Germany, in Europe in general. And every day more and more musicians, so our number bigger and bigger. So I say: We can  maybe start this project, so this… I mean, Syrian symphony orchestra in Europe. And this was the first thing. The second thing: I noted that the media, the TV and radio journalists, every day say news about Syria. But all these news are about the war, about the fighting, destruction. And they don’t know the […] other face of Syria like culture, music, arts. I say: Okay, we are musicians. We cannot help the situation in Syria, we cannot stop the war, we cannot stop the fighting, we cannot do anything. This is a very very big thing for us. But we can do something for Syria: Then when we do a symphony orchestra for the Syrian musicians and introduce our Syrian symphonic music then the world understands that we are not just war. We are also for the life, for the peace, for the love, for the culture and arts and music. So, many reasons with many messages. They say: ‘Raed, you have to start this project! It’s very important for us as Syrian musicians and to give hope for the people and to send a message for the world: That we can do something important and not just the war!’ I hope this message is arriving …

Auf meine Einstiegsfrage, wie die Idee zur Gründung eines Symphonieorchesters für aus Syrien geflüchtete Menschen entstand, erläutert Raed Jazbeh nicht sogleich die Entstehungsgeschichte. Stattdessen korrigiert er zunächst die von mir eingangs gewählte Bezeichnung des Orchesters. Ihm zufolge handelt es sich nicht um ein Flüchtlingsorchester, sondern um das Syrian Expat Philharmonic Orchestra: „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra.“ (B2, Z.3)star (*7) Diese Namensgebung scheint bedeutend und wohl durchdacht zu sein. Einerseits wird sie durch Jazbeh selbst mehrmals im Interview zur Sprache gebracht. Andererseits betont er das Wort ‚Expat‘ und erläutert direkt daran anschließend, dass er darunter alle in Europa lebenden SyrerInnen versteht, unabhängig davon, ob diese ‚Flüchtlinge‘ sind.

Expat that means all the Syrians in Europe […] if they are refugees like me – I’m a refugee – or if they are not refugees […]. (B2, Z.3-5)star (*7)

In einer späteren Passage erklärt er sein Begriffsverständnis von ‚Expat‘ ex negativo, das heißt in der Bedeutung, nicht im Heimatland zu leben: „Expat that means you don’t live in your country.“ (B2, Z.140)star (*7) Auffallend ist, dass beide Deutungen auf nationalen Kategorien (Europa, Heimatland) gründen und derart in einem interessanten Spannungsverhältnis zu Jazbehs Kulturbegriff stehen, wie ich noch zeigen werde.

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Amri, Samih (22. 09. 2015): Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester. Online unter http://p.dw.com/p/1GaD1 (25. 08. 2016).

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DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) (2017): Experiment. Online unter https://www.dwds.de/wb/Experiment(30. 06. 2017).

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Kruse, Jan (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2., überarb. u. erg. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

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Kruse, Jan/Schmieder, Christian (2012): In fremden Gewässern. Ein integratives Basisverfahren als sensibilisierendes Programm für rekonstruktive Analyseprozesse im Kontext fremder Sprachen. In: Kruse, Jan/Bethmann, Stephanie/Niermann, Debora/Schmieder, Christian (Hg.): Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 248-295.

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Leopold, Silke (2013): Musikwissenschaft und Migrationsforschung. Einige grundsätzliche Überlegungen. In: Ehrmann-Herfort, Sabine/Leopold, Silke (Hg.): Migration und Identität. Wanderbewegungen und Kulturkontakte in der Musikgeschichte (= Analecta Musicologica; 49). Kassel [u.a.]:, S. 30‑39.

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o. V. (17. 09. 2015): Syrische Flüchtlinge gründen Exil-Orchester. Online unter http://www.zeit.de/news/2015-09/17/musik-syrische-fluechtlinge-gruenden-exil-orchester-17075602 (03. 07. 2017).

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B2: Interview mit Raed Jazbeh, Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, Berlin, 09. 09. 2016 (39:24).

Der Zusammenschluss von im Exil lebenden MusikerInnen per se stellt hingegen keine Neuheit dar, wie Ralf Döring anmerkt. So sieht er die Formation des Syrian Expat Philharmonic Orchestra im Zusammenhang mit einer deutschen Orchestertradition. Er nennt hierzu beispielhaft die Bamberger Symphoniker, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten nach Deutschland ausgewanderte MusikerInnen vereinigten, sowie die Philharmonia Hungarica, die sich aus ungarischen MusikerInnen zusammensetzte, die nach dem 1956 durch sowjetische Truppen niedergeschlagenen Volksaufstand ihre Heimat verlassen hatten. (vgl. Döring 2017)

In einem Artikel der Zeit Online wird das Syrian Expat Philharmonic Orchestra explizit als „großes Experiment“ (o. V. 2015: o. S.) bezeichnet.

Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold beispielsweise stellt fest: „Musikwissenschaft und Migrationsforschung sind zwei Bereiche, die bisher eher von gegenseitiger Nichtwahrnehmung als von Zusammenarbeit geprägt sind.“ (Leopold 2013: 30)

Bei der Auswertung meiner Interviews orientiere ich mich an der qualitativen Interviewforschung nach Jan Kruse. Dieser plädiert für das sogenannte integrative Basisverfahren, das sich als ein „durch die genuin sozialwissenschaftliche Zielperspektive gerahmtes gesprächs- bzw. textlinguistisches Verfahren“ (Kruse 2015²: 463) versteht. Dementsprechend setzt es in einem ersten Schritt auf der sprachlichen Ebene an. Am Beginn der Analyse stehen das Wie des Sprechens und damit die Frage nach Bedeutungszuschreibungen und -konstruktionen qua sprachlicher Mittel. Dabei gilt das Prinzip der Offenheit und Verlangsamung, das heißt Deskription und Interpretation werden „auseinandergezogen“. (vgl. Kruse/Schmieder 2012: 272f.; 277f. und Kruse 20152: 477–479) In einem zweiten Schritt werden auf dieser Grundlage erste Lesarten bzw. Interpretationen formuliert und schließlich nach und nach konkretisiert und verdichtet. (vgl. Kruse 2015²: 479)

Magdalena Marschütz ( 2017): „It’s not a refugees’ orchestra. It’s Syrian Expat Philharmonic Orchestra“. Analyse eines Gesprächs mit dem Orchestergründer Raed Jazbeh: erste Einblicke. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/its-not-a-refugees-orchestra-its-syrian-expat-philharmonic-orchestra/