Jenseits der Differenz

Ein Gespräch über Kollaboration

Ausbleibender Repräsentationsdruck

Marcel: Im Zusammenhang mit deinem Forschungsprojekt Inherent Crossing hast du gesagt, dass Affen „Super-Amateure“ seien. Was genau meinst Du damit?

Benjamin:  In unseren Sitzungen mit den Schimpansen ging es darum, ob sie sich selbstmotiviert mit Malutensilien beschäftigen, die wir ihnen zur Verfügung stellen. Wir haben das Ganze von Anfang an als Angebot für die Schimpansen verstanden, also wie eine Art Workshop – ohne ihnen Futterbelohnungen für die Teilnahme anzubieten oder sie irgendwie räumlich einzusperren oder abzutrennen. Als Blacky, eine ältere Schimpansin, nach drei Monaten mit dem Streichen anfing, war das für uns wie ein Wunder. Sie war dann nahezu bei jeder Sitzung dabei. Doch äußere Faktoren, zum Beispiel ob die anderen Schimpansen Blacky zum Bereich mit den Malutensilien überhaupt durchlassen oder ob die Jüngeren ihr beim Malen in den Rücken springen, beeinflussten ihren Umgang mit dem Material stark. Wir sahen ihr Potential und ihre Freude mit Pinsel, Farben und Malunterlage zu hantieren – doch das Umfeld erlaubte es ihr je nachdem nicht dem nachzugehen.

Inherent Crossing (Sitzung vom 14.4.2014, im Bild: Angela Widmer und Blacky), Walter Zoo Gossau, 2014. Foto: Benjamin Egger

Inherent Crossing (Sitzung vom 14.4.2014, im Bild: Angela Widmer und Blacky), Walter Zoo Gossau, 2014. Foto: Benjamin Egger

Ein/e Amateur/in bewegt sich auch immer in diesem Schwebebereich. Sie oder er kann vielleicht mehr oder weniger singen, tanzen oder malen, doch wenn sich das Umfeld unvorteilhaft verhält, ist das Potential weg. Doch das Gefühl bei der Tätigkeit treibt einen dazu, immer wieder zu kommen, es wieder zu erleben. Der Begriff Amateur kommt von Liebhaber. Für mich heißt dies in seiner idealen Form, dass sich jemand aus reiner Liebe einer Aktivität widmet, die sie oder er durch das Ausüben dieser Aktivität erlebt. Mit Hingabe und aus Selbstgenügsamkeit. Gerade in diesem Punkt ist das Tier noch einen Schritt radikaler als der Amateur. Tiere sind auf eine radikale Weise selbstgenügsam und agieren darin ebenso radikal hingebungsvoll. Blacky und auch die anderen vier Affen, die regelmäßig teilgenommen haben, haben nicht mitgemacht, um danach ihre Werke herumzuzeigen und damit attraktiver zu wirken. Es hat sie einfach fasziniert, was sie mit diesen Utensilien machen können. In dem Sinn ist ein Schimpanse ein Super-Amateur.

Marcel: Du implizierst, dass du bei Affen und Amateuren/innen etwas wiederfindest, was „uns“ respektive dem etablierten Kunstbetrieb abhandengekommen ist.

Benjamin: Es ist die Qualität der Hingabe in den Moment, das Ausbleiben des Repräsentationsdrucks. Wenn ich mich in der heutigen Kunstwelt umsehe, fehlt mir dies. Die Professionalisierung des Kunstbetriebs hat das Amateur-Moment bei den meisten Kunstschaffenden zerstört. Der spielerische Zugang, das nicht zielgerichtete Schaffen, das in einer Ernsthaftigkeit vollzogen wird, die aufmerksam ist auf das, was passiert, ohne aber auf ein Produkt hinzuarbeiten, ist uns abhandengekommen. In dieser Art von Hingabe sind die Schimpansen uns voraus. Als Künstler oder Künstlerin bist du vom Interesse anderer abhängig. Erfolg und Misserfolg werden von anderen entschieden, von Kuratoren/innen, Theoretiker/innen, Galeristen/innen und so weiter. Im professionalisierten Kunstbetrieb wird dies so angenommen und wenn du bestehen willst, dann musst du in diesem Gefüge agieren. Dieser Druck greift früh in das künstlerische Schaffen ein. Bevor du das Kunst-Machen lieben lernst, musst du dir bewusst sein, wie das professionalisierte System funktioniert. Ich denke, wenn wir den „affigen Zugang“ nicht wiedergewinnen, ist die Kunst schlicht verloren.

star

Schlingensief, Christoph  (2012): Ich weiss, ich war’s, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

star

Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration, Berlin: Suhrkamp.

star

Barad, Karen (2007): Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning, North Carolina: Duke University Press.

Marcel Bleuler, Benjamin Egger ( 2016): Jenseits der Differenz. Ein Gespräch über Kollaboration. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/jenseits-der-differenz/