Jenseits der Differenz

Ein Gespräch über Kollaboration

Marcel: Das Ausschalten einer Vergleichsebene und das Wissen um die eigenen Defizite sind Aspekte, die mir auch in der Kollaboration mit Menschen in marginalisierten Regionen, die kaum eine internationale Aufmerksamkeit erhalten und von schwierigen Bedingungen geprägt sind, zentral erscheinen. Ich sehe aber auch die Gefahr, dass man die „Anderen“ zu idealisieren beginnt und sie auf einen Sockel stellt – vielleicht um die eigene Machtposition, in der man sich global-wirtschaftlich gesehen nun mal befindet, und das damit verbundene schlechte Gewissen abzuwenden. Natürlich funktioniert das dann aber nur auf einer sehr vordergründigen Ebene und eigentlich untermauert man damit genau ein Machtverhältnis. Ebenso problematisch finde ich es, wenn man so etwas wie einen Verbrüderungsdiskurs konstruiert, also wenn Kunstschaffende ihre internationalen Kollaborationen als veritable Vereinigung darstellen. Ich finde es besser, wenn Brüche und Differenzen spürbar bleiben. Das hat für mich nichts damit zu tun, den oder die „Andere“ nicht als vollständiges Gegenüber wahrzunehmen, sondern damit, Idealisierungen der Beziehung, in die man tritt, zu vermeiden. Es ist aber sehr schwierig, diese Beziehungen nach außen zu vermitteln, ohne dass dann gleich wieder eine Vergleichsebene und Wertung darauf projiziert wird.

Benjamin: Ich denke, dass sich das Machtverhältnis grundsätzlich stark im Blick auf die Involvierten äußert. Der Art und Weise, wie wir auf Involvierte schauen, liegt immer eine Machtstruktur zugrunde. In Bezug auf das Tier zum Beispiel ist es üblich, es als minderwertig wahrzunehmen und entsprechend zu behandeln. Bei meiner Arbeit geht es darum, solche Strukturen in Bezug zu Tieren aufzubrechen. Mich interessiert die Konstruktion der Abgrenzung von Tieren und Menschen. Ich verstehe diese Trennung als gesellschaftlich-kulturelle Praxis, die eine Entzweiung der Lebewesen und damit eine hierarchische Ordnung bewirkt. Diese kulturelle Praxis zeigt sich vor allem auch in ihrer Performativität: Einem Hund darf ich mit der Hand ins Gesicht greifen, bei einem anderen Menschen wäre dies eine Grenzüberschreitung. Wie kann ich solche Strukturen aufbrechen? Und was bedeutet dies für meine Selbstdefinition als Menschen?

SDAAWTUD (Performance von Benjamin Egger), Teatr Powszechny, Warschau, 2014. Foto: Kostiantyn Strilets

SDAAWTUD (Performance von Benjamin Egger), Teatr Powszechny, Warschau, 2014. Foto: Kostiantyn Strilets

Das ist in erster Linie eine persönliche Arbeit an meinem Blick auf das Tier. Da ich hierfür konkret mit Tieren arbeite und Beziehungen aufbaue, begebe ich mich vor allem in die Schusslinie von all denen, die Tiere als minderwertig betrachten, und daraus eine Moral ableiten, die eigentlich auf Unkenntnis basiert. Personen, die selber persönliche Beziehungen mit Tieren haben, verstehen meinen Ansatz.

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Schlingensief, Christoph  (2012): Ich weiss, ich war’s, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration, Berlin: Suhrkamp.

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Barad, Karen (2007): Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning, North Carolina: Duke University Press.

Marcel Bleuler, Benjamin Egger ( 2016): Jenseits der Differenz. Ein Gespräch über Kollaboration. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/jenseits-der-differenz/