Jenseits der Differenz

Ein Gespräch über Kollaboration

Lernen ohne Wissenstransfer

Benjamin: Empfindest du denn die tatsächliche Zusammenarbeit als Machtausübung?

Marcel: In der Zusammenarbeit mit Menschen in marginalisierten Regionen gibt es automatisch ein Machtdispositiv, weil wir aus dem „definitionsmächtigen Westen“ kommen. Und genauso wie man dir entgegnen kann, dass du Tiere ausbeutest, kann man uns den Vorwurf machen, dass wir so etwas wie Kultur-Kolonialismus betreiben. Obwohl wir, wie gesagt, sehr vorsichtig sind, lassen sich Vorwürfe, dass wir Menschen abhängig machen oder dass wir westliche Wertvorstellungen exportieren, nicht ohne weiteres zurückweisen. Das ist einerseits gut so, weil sie die Selbstreflexion dringender machen. Andererseits verlieren diese Vorwürfe in der Praxis auch sehr schnell ihre scharfen Konturen. Die lokalen Beteiligten an unseren Projekten machen überhaupt nicht alles mit, sondern sie sind sehr wohl auch selektiv. Ebenso produzieren sie ihre eigenen Bilder von den Kollaborationen, was zum Beispiel im Internet, auf Social Media, sichtbar wird. Die Vorstellung, dass wir ihnen einfach etwas überstülpen oder sie ausbeuten, spricht ihnen implizit eine Souveränität ab, die sie in meinen Augen haben. Aber eben: Das Gefälle besteht, und wir sind aus vieler Hinsicht in der mächtigeren Position. Das verunsichert mich immer wieder, da ich Ungleichheit nicht ausnützen will.

Benjamin: Ich frage mich, ob sich die etablierten Hierarchien auch genau deshalb aufrecht erhalten, weil man so schwer aus diesem Denken herauskommt. Es gibt ein strukturelles Paradox in solchen Situationen: Einerseits sind Beteiligte faktisch in einer schwächeren Position, und anderseits können sie sich nur aus ihrer Schwäche emanzipieren, wenn der Emanzipationswunsch gegenseitig ist, also auch von denjenigen in der mächtigeren Position kommt, was eine Anerkennung des vorherrschenden Machtverhältnisses bedingt. Diese Anerkennung reproduziert das Machtgefälle aber wieder. Gerade in der Co-Existenz mit Tieren zeigt sich dies stark: Tiere können sich nicht gegen die Aneignung ihrer Territorien und Lebensräume durch den Menschen wehren. Der Mensch müsste sich dazu entscheiden, dass es ethisch nicht vertretbar ist, anderen Lebewesen die Lebensgrundlage zu zerstören.

Marcel: Ja, vielleicht bleibt auch genau aufgrund von diesem Paradox ein Unbehagen bestehen. Und trotzdem haben das gemeinsame Arbeiten an Projekten, die Verständigung und der Austausch etwas Erfüllendes. Ich hinterfrage mich da aber durchaus auch kritisch: Erfüllt es mich einfach, aus meiner Routine und aus dem Umfeld eines übersättigten Kunstbetriebs herauszukommen und mich auf die Fremde einzulassen? Erlebe ich die Arbeit mit Kunst in fragilen Kontexten als so etwas wie Inspiration? – Darum darf es doch nicht gehen, zumindest nicht primär. Es ist mir ein Anliegen, Menschen zu begegnen, die einen anderen Erfahrungshintergrund haben als ich. Ich glaube, dass das einen Lernprozess in Gang setzt. Aber was lerne ich wirklich von diesen Begegnungen? Sobald ich das konkret festzumachen versuche, wird es flüchtig. Es hat wohl damit zu tun, dass ich in meinem gewohnten Umfeld typische Verhaltensweisen habe, die persönlich und institutionell bedingt sind, die ich zum Beispiel bei der Projektarbeit in Grenzregionen in Georgien ablegen oder zumindest zurückstellen muss. Ich muss viel flexibler, spontaner und zugleich geduldiger und eben offener sein. Das sind Prinzipien, die im kapitalistisch-kompetitiven Kunst- und Forschungsbetrieb nicht im Vordergrund stehen. In dieser Hinsicht sehe ich – um noch mal auf die Frage nach der Hilfe zurückzukommen – bei mir selbst ein Defizit respektive ein offenes Bedürfnis. Und die Arbeit in fragilen Kontexten bestärkt mich darin, einen „anderen“ Zugang zu Kunst und Forschung zu finden, den ich dann auch wieder zurück in mein gewohntes Umfeld trage. Aber eben: Ich ringe damit, dass diese Arbeit nicht einfach ein persönliches Bedürfnis erfüllen soll, sondern dass es um mehr gehen muss.

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Schlingensief, Christoph  (2012): Ich weiss, ich war’s, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration, Berlin: Suhrkamp.

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Barad, Karen (2007): Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning, North Carolina: Duke University Press.

Marcel Bleuler, Benjamin Egger ( 2016): Jenseits der Differenz. Ein Gespräch über Kollaboration. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/jenseits-der-differenz/