„Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“

Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser*1 *(1)

 

„Soziale Plattformen sind Imitationen von realem Sozialverhalten, die aber viele Möglichkeiten ausblenden, um andere zu verstärken.“

 

Wie sehen Sie die Verbindung zwischen rechtsextremer Internetpropaganda und realer Welt? Wer wird damit erreicht bzw. ist dafür besonders empfänglich? Gibt es bestimmte Dynamiken zwischen Spielewelten und realer Welt?

Wenn wir über diesen Zusammenhang sprechen, müssen wir mitdenken, dass das Internet Teil der realen Welt ist und reale Effekte erzielt. Die Fiktion liegt eher im Bereich der Spielrahmen, die sowohl digital als auch analog auftreten können und das auch tun. Ich glaube, diese Bereiche beeinflussen sich von jeher gegenseitig. Viele Strukturen im Internet basieren hauptsächlich darauf, reale Verhältnisse zu repräsentieren, oft in vereinfachter Form, indem etwa bestimmte Dinge weggelassen und andere verstärkt werden. Soziale Plattformen sind Imitationen von realem Sozialverhalten, die aber viele Möglichkeiten ausblenden, um andere zu verstärken. Damit funktionieren sie als das, was sie in erster Linie sein wollen: Werbeplattformen, die Geld verdienen.

Empfänglich für rechtsextreme Propaganda sind potenziell erst mal alle. Sie richtet sich in ihrer Weltsicht nicht notwendigerweise an bestimmte Gruppen, aber sie hat in den letzten Jahren sehr daran gearbeitet, ihre Zielgruppenansprachen vielfältiger und passgenauer zu machen:  für Leute, die bestimmte Erfahrungen gemacht haben, die sie für diese ideologischen Inhalte empfänglicher machen; für solche, die diesen Inhalten grundsätzlich zugeneigt sind, weil sie zum Beispiel so erzogen wurden; aber auch für jene, deren Unzufriedenheit durch gezielte Anschmiegung an ihre Lebenswelt radikalisiert werden kann. Wichtig dabei ist – wie bei den meisten politischen Kulturen – eine Art von Community-Building. Das ist im Internet etwas leichter, funktioniert aber so wie im sogenannten realen Leben auch. Es wird gezielt in bestimmte Communities hineingegangen, um sie zu beeinflussen, zu politisieren und nach rechts zu rücken.

Es gibt mittlerweile auch Forschung dazu, wie auf diese Weise gezielt in Spieler*innen-Communities Propaganda gemacht wurde und wird. Das ist nicht sonderlich überraschend, weil die Spieleindustrie eine sehr große Kulturindustrie ist, innerhalb derer sich viele Communities und Szenen entwickelt haben. Wie anderswo auch, gibt es dort rechtsradikale Propaganda und Menschen rechter Gesinnung. Ich bin aber vorsichtig mit der Aussage, gerade in Spielekulturen würden viele Menschen besonders empfänglich für rechtsextreme Einflüsse sein. Ich glaube nicht, dass das unbedingt der Fall sein muss.

Wir hatten es in den Anfangszeiten mit einer recht stark männlich geprägten Kultur zu tun, was, glaube ich, zum großen Teil damit zu tun hatte, welche Spiele produziert wurden, wen diese angesprochen haben, was kulturell sanktioniert war, was nicht und wem nahegelegt wurde, sie zu spielen. Das war ein Jungs-Hobby, aus welchen Gründen auch immer. Diese Überzahl an männlichen Spielern hat sich auch auf die Spielekulturen ausgewirkt und tut es nach wie vor. Das sind Kontexte, in denen es Menschen, die rechtsextreme Propaganda betreiben wollen, leichter haben, jemanden zu erreichen, weil ihre ideologischen Inhalte traditionell sehr patriarchal und im Kern frauenfeindlich sind. Sie sprechen eher Männer als Frauen* an, allerdings nicht ausschließlich.

Ich finde, es gibt zwei Bereiche, die man bei den Diskussionen trennen sollte. Das eine sind die Spiele selbst und das andere sind die Communities, die sich darum bilden. Es kann über lange Propagandaarbeit eine Politisierung von tatsächlich radikalen und politischen Communities geben, die nicht auf eine bestimmte Art und Weise dafür geprimed waren, sich nach rechts ideologisieren zu lassen. Da werden bestimmte Schwächen, bestimmte Elemente, bestimmte Zusammenhänge ausgenutzt, die Ansatzpunkte dafür bilden, Propaganda zu machen. Es gibt aber auch einiges, was an Spielen, Spielinhalten und Darstellungen in Spielen selbst zu kritisieren ist und da ist in den letzten Jahren auch viel passiert.

 

„Speziell in spielifizierten Kontexten ist das Problem das der Uneigentlichkeit, die regiert. ‚Ist es Spiel? Ist es Ernst? Ist es beides?‘“

 

Sie haben in Ihrem Vortrag Beispiele dafür genannt, wie schwierig es ist, rechte Propaganda im Internet zu bekämpfen. Vor allem auch die Gamifizierung rechter Politik. Können Sie kurz skizzieren, was es so schwer macht?

Es sind verschiedene Dinge, die es erschweren, rechte Propaganda zu bekämpfen. Sie müssen nicht zwingend etwas mit dem Internet zu tun haben. Für ein bestimmtes, sagen wir verkürzt „liberales Mindset“ ist es wahnsinnig schwierig, mit Leuten umzugehen, die kein demokratisches Gespräch führen wollen. In einer eher zentristischen Ideologie gehört es zur Vorannahme, dass es so etwas wie einen rationalen gesellschaftlichen Diskurs gäbe, in dem alle ihre Argumente austauschen und sich dann irgendwann friedlich miteinander einigen und Verträge schließen würden. Diese Menschen tun sich sehr schwer damit, zu begreifen und damit umzugehen, dass es andere Menschen gibt, die zwar Aussagen treffen, die wie Argumente klingen und die sich sehr gut an diese Mimikry eines demokratischen Diskurses anschmiegen können, die aber kein Interesse daran haben, ihn wirklich zu betreiben, sondern andere Ziele verfolgen.

Ein Austausch von Argumenten müsste auch die Reflexion der eigenen Position miteinbeziehen, was auch in nicht extrem rechten Bereichen nicht so weit verbreitet ist, wie man gerne glauben möchte. Einfach anzugreifen ist viel leichter, als seine eigene Argumentationslinie zu hinterfragen. Es geht schnell, die immer gleichen inhaltlichen Hülsen zu platzieren und bei dieser Gelegenheit den anderen genau das vorzuwerfen. Gegenrede zu betreiben, wenn man dem Glauben anhängt, man müsste Inhalte widerlegen, ist im Vergleich deutlich schwieriger, zeitaufreibender und kraftraubender. Im Internet ist das besonders schwer, denn Unsinn ist schneller in die Welt gesetzt und Memes sind schneller gepostet als etwas begründet dagegen Gesagtes. Speziell in spielifizierten Kontexten ist das zusätzliche Problem das der Uneigentlichkeit, die regiert. „Ist es Spiel? Ist es Ernst? Ist es beides?“ – Das ist oftmals nicht eindeutig.

Herzlichen Dank an Elisabeth Klaus für den Austausch und die konstruktiven Anregungen in Bezug auf das Interview.

Als solche bezeichneten beispielsweise die Identitären ihre Stürmung einer Aufführung der Schweigenden Mehrheit im Wiener Audimax.

Katharina Anzengruber, Anita Moser, Arne Vogelgesang ( 2020): „Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“. Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-mit-politischem-material-dann-interessant-wenn-es-neue-formen-von-theatralitaet-enthaelt/