„Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“

Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser*1 *(1)

 

„Ich teile mit vielen Leuten, die Kunst produzieren, eine gewisse Faszination für das, was in Anführungszeichen „extrem“ oder „nicht normal“ bzw. nicht gewöhnlich ist. Das sind ja letztlich immer die Stoffe für das Theater gewesen.“

 

Was treibt Sie an, an so schwierigen und belastenden Themen wie Rechtsextremismus im Internet dranzubleiben?

Die Motivation für mich, mit der Arbeit anzufangen, lag in einer Mischung aus der Bedeutung für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, die auch schon vor einer Weile ablesbar waren. Breivik ist mit dem, was er gemacht hat, nicht aus Zufall ganz oben im Pantheon des rechtsradikalen Terrors – als frühes extremes Beispiel dafür, was kommen würde und gekommen ist. Das ist auch etwas, das mir als jemand, der Kunst macht, sagt: „Da haben wir etwas, das wichtig ist und deswegen repräsentiert werden muss, weil es ein bedeutsamer Teil von Wirklichkeit ist und zukünftig möglicherweise noch bedeutsamer sein wird.“

Die andere Seite davon ist, dass ich mit vielen Leuten, die Kunst produzieren eine gewisse Faszination für das teile, was in Anführungszeichen „extrem“ oder „nicht normal“ bzw. nicht gewöhnlich ist. Das sind letztlich immer die Stoffe für das Theater gewesen: Die Ausnahmeerscheinungen und diejenigen, die jenseits der akzeptierten Grenzen von dem sind, was wir normal nennen, und die das Machtverhältnis gesellschaftlicher Repräsentation infrage stellen, was ja kein Privileg der Linken ist.

Diese beiden Dinge haben sich in meiner Arbeit teilweise miteinander vermischt. Dazu kommt: Ich habe im Rahmen meiner Recherchen viel Material gesammelt und das riesige Problem, dass die Realität von Propaganda im Netz ganz viel mit der Fülle an Material und der Dauer, über die man sich damit auseinandersetzt, zu tun hat, sodass man sich selbst dort sehr schnell verlieren kann. Die Radikalisierung online kalkuliert auch mit diesem Sturz in die Kaninchenlöcher alternativer Wahrheiten. Das ist in Theatervorstellungen, die ein oder zwei Stunden dauern, sehr schwer abzubilden. Was also tun? Aus dieser Frage heraus entsteht das nächste Stück, und dann das folgende.

Ich bin mittlerweile aber an einem Punkt, wo ich das Gefühl habe, nicht noch mehr Stücke über Nazis im Netz produzieren zu wollen, denn viel Interessantes ist dazu künstlerisch nicht mehr zu sagen. Das heißt nicht, dass ich nicht trotzdem noch Aufklärung jenseits von Theater betreiben könnte. Aber als jemand, der Kunst mit politischem Material betreibt, ist das für mich nur dann interessant, wenn dieses Material auch neue Phänomene enthält, zum Beispiel neue Spielweisen oder andere Formen von Theatralität, als ich bisher gesehen habe.

 

„Es gab so vieles in dieser Zeit, von dem es sehr wichtig gewesen wäre, es stärker zu thematisieren. Wir haben bei vielem nicht geschafft, das in diesen Frame zu bringen. Das fand ich persönlich und politisch frustrierend.“

 

Weist Ihr jüngstes Stück in eine andere, neue Richtung? Gemeinsam mit Marina Miller Dessau inszenierten Sie während des coronabedingten Lockdown Ihr Dasein im abgeschotteten Home-Office via Live-Stream und produzierten darauf basierend Videos. Worum ist es Ihnen in diesem Stück gegangen?

Wir hatten eigentlich vor, ein Stück auf einer Bühne zu machen und dann ist uns das Gleiche passiert, wie allen anderen am Theater auch. Da ging plötzlich nichts mehr. Ich glaube, wir unterlagen dem gleichen psychischen Stress wie der Großteil der Kulturschaffenden, nämlich zu denken: „Unsere Bühnen werden geschlossen, was sollen wir jetzt tun? Wenn wir nichts produzieren, existieren wir de facto nicht mehr, weil wir als künstlerisch Produzierende davon leben, wahrgenommen zu werden. Ganz abgesehen davon bekommen wir ökonomische Probleme. Das Theater ebenso. Wir müssen doch irgendetwas machen. Können wir dafür irgendwie das Internet nutzen?“ Wir dachten uns, nach jahrelangen Theaterproduktionen über Phänomene im Internet wäre es für uns an der Zeit, den Fuß in das kalte Wasser zu strecken und zu schauen, ob man auch im Internet Theater machen könnte. Ich selbst habe jahrelang behauptet, dass die Leute dort eigentlich nur Theater spielen würden. Warum das nicht auch selbst machen? Sehr weit haben wir uns nicht getraut. Wir haben Videos produziert. Im Grunde war das von Arbeitsweise und Material her gar nicht viel anders als vorherige Produktionen – nur dass wir uns selbst mehr als eine Art Filter und Gegenstand der Beobachtung gesetzt haben.

Für den Anfang hatten wir nicht viel mehr, als die Prämisse, zu sagen: „Uns geht es wie sehr vielen. Wir schließen uns ein und können nicht hinaus. Wir stellen uns selbst als prototypische deutsche Subjekte vor und fiktionalisieren dieses Verhältnis, in dem wir uns mit- und zueinander befinden. Wir geben uns Figurennamen dafür und überlegen, wie diese Figuren sich in dem verhalten, was wir ihnen aufsetzen.“ Das waren dann Heiko und Sandra, das deutsche bildungsbürgerliche Paar in seiner Wohnung in Berlin. Dann gingen die ‚Hygienedemonstrationen‘ los. Da sind wir einmal hingegangen, um uns ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Wir haben auch gefilmt. Es hat sich herausgestellt, dass vieles dieser politischen Bewegung auf den Straßen über Internetorganisation lief. Darüber kam mir sehr schnell der Gedanke, in dutzenden Telegram-Gruppen nachzuverfolgen, wie die Kommunikation dort abläuft, was ausgetauscht wird, was deren Videoproduktionen sind und wie sich die Initiatoren inszenieren. Das wurde dann in der letzten Folge auch zum größeren Teil des Stücks selbst.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, was ich mit der Diskrepanz zwischen Kunst mit politischem Material und politischer Kunst meine. Denn vieles von dem, was wir gemacht haben, ist auf einer oberflächlichen Ebene, politisch gelesen, extrem unbefriedigend. Wir sind Mann – Frau, deutsches bürgerliches Paar, und genau das repräsentieren wir in dieser Produktion. Wir waren sehr auf eine vermeintliche Normalität bezogen – vielleicht, weil die Situation so außergewöhnlich war. Dabei gab es so vieles in dieser Zeit, von dem es sehr wichtig gewesen wäre, es stärker zu thematisieren. Wir haben bei vielem nicht geschafft, das in diesen Frame zu bringen. Das fand ich persönlich und politisch frustrierend. Dass wir zum Beispiel nicht über die Lage an den EU-Außengrenzen reden konnten. In diesem ganzen Chaos, in dem wir waren, hätte das künstlerisch und dramaturgisch keinen Sinn gemacht. Trotzdem wäre es wichtig gewesen.

Das, was wir produziert haben, die ironischen Layers, die Distanz, die wir zu uns selbst haben und die Figurensetzungen, die wir gemacht haben, kann man auch als eine total reaktionäre Produktion lesen. Das ist etwas, das mich an dieser ad-hoc entstandenen Arbeit ein bisschen stört, für die wir keine lange Vorbereitungszeit hatten, auch keine Reflexionszeit darüber nachzudenken, was wir eigentlich produzieren und was nicht. Auf einer anderen Ebenen finde ich persönlich sehr passend und auch lustig, was wir gemacht haben. Heiko und Sandra, die versuchen, mit Meditation und Pseudoradikalismus sich dieser Situation zu widersetzen und sie zu verstehen. Das ist die Janusköpfigkeit an solchen Arbeiten.

Herzlichen Dank an Elisabeth Klaus für den Austausch und die konstruktiven Anregungen in Bezug auf das Interview.

Als solche bezeichneten beispielsweise die Identitären ihre Stürmung einer Aufführung der Schweigenden Mehrheit im Wiener Audimax.

Katharina Anzengruber, Anita Moser, Arne Vogelgesang ( 2020): „Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“. Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-mit-politischem-material-dann-interessant-wenn-es-neue-formen-von-theatralitaet-enthaelt/