„Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“

Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser*1 *(1)

 

„(…) ein Mittel, das gut zur Perspektivübernahme in der kulturellen oder politischen Bildung taugen könnte, wenn man es schafft, mit dem Vorgang umzugehen, dass Dinge aus dem eigenen Mund kommen, die man sonst vielleicht nicht so sagen würde.“

 

Sie arbeiten im Theater- und Performancekunstbereich, halten Workshops, Vorträge und sind beratend tätig. Wie verbinden sich diese Bereiche miteinander? Wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Arbeiten Sie zum Beispiel in Workshops auch mit künstlerischen Mitteln?

Das ist unterschiedlich. Ich habe einerseits Workshops gegeben, die relativ nahe an einem aufklärenden Vortragsformat sind. Ich habe mit meiner Kollegin Marina Miller Dessau auch Workshops im Kontext von Theaterwissenschaft und Theaterpädagogik gegeben, in denen wir mit künstlerischen Mitteln gearbeitet haben, und wo es auch um diese künstlerischen Strategien selbst ging. Das muss ich vielleicht erklären: Der Umgang mit dem dokumentarischen Material, das wir recherchiert haben, besteht seit vielen Jahren darin, dass wir die Videodokumente im Theater live reenacten.

Unser künstlerisches Verfahren als Performer*innen ist es also, die zusammengeschnittenen und collagierten Dinge, die wir recherchiert und in einen dramaturgischen Zusammenhang gebracht haben, mit technischen Mitteln einzuspielen und mit einer Sekunde Verzögerung nachzusprechen. So schlagen wir die Brücke zwischen Dokument und Gegenwart, zwischen Netz und Theaterraum, mit unseren eigenen Spielkörpern. Das ist das, was wir für viele Jahre gemacht haben und in Workshops als Technik vermitteln. Diese kann nicht nur im Theater eingesetzt werden, sondern wäre auch ein Mittel, das gut zur Perspektivübernahme in der kulturellen oder politischen Bildung taugt, wenn man es schafft, mit dem Vorgang umzugehen, dass Dinge aus dem eigenen Mund kommen, die man sonst vielleicht nicht so sagen würde. Das braucht aber Zeit, damit die Teilnehmer*innen Gelegenheit haben, sich Material anzuschauen, zu überlegen, womit sie wie arbeiten wollen und was möglich ist.

Das sind künstlerische Workshops, aber daneben gebe ich auch aufklärend-informative. Das geht dann eher in die Richtung Vortrag – wie den, den ich für Sie gehalten habe. Denn sobald die Zeit zu knapp für tatsächliches Arbeiten ist, finde ich, dass man mit Infos ganz gut beraten ist. Ich versuche dann die Vermittlung kurzweilig und mit vielen Beispielen zu gestalten und natürlich beeinflusst meine Perspektive auch deren Auswahl und meine Gedanken. Gelegentlich schneide ich für einen Vortrag Videos so zusammen, dass sie an die Grenze zum Künstlerischen gehen, ich habe auch schon unangekündigt mit kurzen Reenactments gearbeitet und Verwirrung damit ausgelöst. Meine Erfahrung hat aber gezeigt, dass im Rahmen eines Vortrags, also von Wissensvermittlung, das Publikum schnell desorientiert ist durch künstlerische Elemente und sich das nicht immer ohne Aufwand auffangen lässt. Wenn wir im Theater hingegen Wissensvermittlung reinszenieren, ist der buchstäbliche Spielraum deutlich größer. Womit wir auf eine Art wieder am Anfang sind, oder?

Herzlichen Dank an Elisabeth Klaus für den Austausch und die konstruktiven Anregungen in Bezug auf das Interview.

Als solche bezeichneten beispielsweise die Identitären ihre Stürmung einer Aufführung der Schweigenden Mehrheit im Wiener Audimax.

Katharina Anzengruber, Anita Moser, Arne Vogelgesang ( 2020): „Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“. Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-mit-politischem-material-dann-interessant-wenn-es-neue-formen-von-theatralitaet-enthaelt/