Kunst & Social Media

Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0

SQS – The Social Quantified Self. A Social Interaction Paper Prototyping

Von Katrin Galler

Nachdem ich diesen Sommer auf der Campus Party Berlin war, bin ich auf so manch interessantes Projekt gestoßen… Für diejenigen, denen die CP Europe kein Begriff ist, sei folgende Erklärung vorweggeschickt: “Campus Party is the biggest electronic entertainment event in the world. It’s a weeklong, 24-hours-a-day tech-nology festival for thousands of ‚campuseros’ – hackers, developers, gamers and geeks, where workshops, hackathons, competitions and talks take place simultaneously.” star (* 2 )

Im Prinzip handelt es sich um eine gigantische Ansammlung von Nerds, die sich hier und da, bewaffnet mit allerlei Technik zusammentun, um das ein oder andere Projekt anzuschieben.

Ich hörte dort einen Vortrag von Daniela Kuka, aus welchem nun folgende Referenz für unser eigenes Social Media-Projekt hervorgeht. Daniela Kuka ist Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin. Sie ist involviert in den dortigen Masterstudiengang „Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation“ und innerhalb diesem Teil der special interest group „human-machine-persuasion.“ h-m-p stellt wiederum den Kontext für die Entwicklung eines Social Media-Prototypen dar, der in dieser Form (noch) nicht existiert, aber auch nicht vollkommen aus der Luft gegriffen zu sein scheint …

Kick-off von SQS war im April 2012. Das Spiel, welches die Gruppe als Brettspiel umsetzte, ist nicht ausschließlich als solches zu verstehen, sondern vielmehr als ein Experiment, das die Untiefen sozialer Interaktion lückenlos aufzudecken versucht. Und zwar indem eine fundamentale Regel derzeitiger sozialer Netzwerke außer Kraft gesetzt wird, nämlich: „Users do not create, design and control their individual profiles manually anymore.” (Kuka 2012: Min. 0:02:10) star (* 3) Fake-Identitäten seien damit ausgeschlossen, denn stattdessen werden „digital selves“ aufgrund von quantifizierbar und algorithmisch interpretierbaren Daten aus der Quelle realer Leben generiert. Wie das genau vonstatten geht, versuche ich später anhand des Spieleaufbaus zu erklären. Die Idee des sozial quantifizierbaren Selbst leitet sich vom Interesse an der Mensch-Maschine-Persuasion ab. Auf SQS umgemünzt gilt es herauszufinden „[how it does feel] to be part of a system in which life is directed by digital performance scores and anticipated social norms in completely transparent [social] communities.”(Kuka 2012: Min. 0:02:19) star (* 3 )

Das Spielprinzip:

Zur Erinnerung: social network minus editable profiles = SQS. Das feature, das eigene Profil zu meinen Gunsten manipulieren zu können, fällt aber nicht weg, ohne durch ein anderes feature ersetzt zu werden, nämlich das der frictionless quantification. Damit wird alles, was man tut und unterlässt, zunächst verfolgt, aufgezeichnet und zuletzt innerhalb des sozialen Netzwerkes geteilt. Tracking and Sharing laufen vollkommen automatisiert ab, ob nun gewollt oder ungewollt. Der Clou ist, dass ein jeder unter ständiger (Selbst-)Beobachtung steht und keine dieser Informationen je verloren gehen wird. Jedoch lässt sich SQS nicht wie facebook mit einem digitalen Panoptikum vergleichen, denn hier sind sich die Leute durchaus über Folgendes im Klaren: „A frictionless quantified model of society is not about privacy.” Was einem behaviour change gleichkommt. (Kuka 2012: Min. 0:13.20) star (* 3 ) Der springende Punkt ist, dass alles, was wir tun und unterlassen, nicht nur verfolgt, aufgezeichnet und anderen mitgeteilt wird, sondern dass dieser andauernde Prozess eine Feedbackschleife innerhalb unserer Community provoziert. „Under the condition of frictionless quantification [as one of the basic principals], a personal image cannot be claimed anymore, ‚it has to be lived’”. (Kuka 2012, Min. 0:14:12)star (* 3 )  Hieraus ergibt sich ein neues Identitätskonstrukt, ähnlich dem des Johan Window aus dem Jahr 1955 (vgl. Abb. 1) – einer Vierfeldertafel bestehend aus diversen Kombinationen von „Known“ bzw. “Unknown by Others“ und „Known“ bzw. “Unknown by Self“, wobei SQS ausschließlich die Open Arena bespielt. Schließlich sind keine Rollenspiele mehr möglich, die eine Fassade aufrecht halten würden. Wegen der Feedbackschleife existiert auch kein blinder Fleck mehr. Ebenso bleibt nichts unbekannt, da SQS jedwede menschliche Regung zu erfassen im Stande ist.

Abb 1: Johan Window (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:15:11)

Abb 1: Johan Window (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:15:11)

Spielelemente:

Actions: Jedem Spieler steht ein gewisses Verhaltensrepertoir zur Auswahl. Dabei ruft jede Aktivität postwendend Feedback hervor, welches sich wiederum auf den jeweiligen Punktestand in den Bereichen Health, Business und Social niederschlägt. Die individuelle Leistung wird im Profil des users/des Spielers erfasst. Anders das „target profile“: Um dem Ziel-Profil, der Wunschidentität möglichst nahe zu kommen (=Spielziel), sollten tagtägliche Aktivitäten strategisch klug ausgewählt werden.

Ressources: Mangelt es einem an Geld, Energie und/oder Beliebtheit, so lässt sich nichts unternehmen und die performance leidet. Anders formuliert – je reicher die Ressourcen, desto besser die performance.

Likes&Dislikes beeinflussen den Ruf und verschieben soziale Dynamiken, z. B. wer mit wem ein ähnliches Ziel-Profil verfolgt und sich daher eine Kooperation ergibt oder wer aufgrund konfligierender Ziel-Profile gegen andere hetzt und hierfür nach Verbündeten Ausschau hält.

Friends: Hiervon sind eine gewisse Anzahl und eine gesunde Mischung aus den Bereichen Health, Business und Social ausschlaggebend.

Performer badges sind Auszeichnungen bei hervorragender Performance. Sie gewähren gewisse Privilegien.

Events sind Zufälle, die mich in meiner performance herausfordern oder mir zugute kommen können.

SQS Score misst die Performance eines jeden Spielers. Sie erschließt sich aus der Differenz zwischen tatsächlichem und Zielprofil. Außerdem berücksichtigt sie die soziale Reputation, welche sich aus Netzwerk und Feedback speist.

Im Spielverlauf geraten SQS-Mitglieder in verschiedenste Zwickmühl-Szenarien, die so manch einem Spieler auch in Realität ganz schön zu schaffen machen können. Dilemma Nr. 1 besteht in der unweigerlichen Differenz zwischen dem Ist und dem Soll eines jeweiligen Profils. Es wird einem also Prioritäten zu setzen abverlangt, denn es scheint geradezu unmöglich, in allen Belangen des Lebens gut abzuschneiden. Dilemma Nr. 2 meint einerseits Kontakte, auf die ich angewiesen bin (=performance groups) und andererseits Kontakte, deren Freundesantrag es sich nicht auszuschlagen empfiehlt, obwohl sie mir im Hinblick auf mein Ziel-Profil nichts nützen. Dilemma Nr. 3 bezeichnet den Konflikt zwischen dem eigenen target profile und entgegenstrebenden Gruppendynamiken. Das größte Dilemma besteht allerdings im Missverständnis zwischen Ruf und persönlichen Zielsetzungen. Außerdem treten Mitspieler immer dann in Konkurrenz zueinander, wenn ihre angestrebten Profile nicht miteinander vereinbar sind.

SQS ist auch insofern als ein Experiment zu verstehen, als dass es diverse „behavior change mechanisms“ im social semantic web zu simulieren weiß. Nachfolgend die SQS-Matrix (in Anlehnung an Klout, vgl. Abb. 2):

Abb 2: SQS Matrix (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:50:03)

Abb 2: SQS Matrix (vgl. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s, ~ Min. 0:50:03)

Je nach performance wird das Individuum Mittel und Wege zu finden versuchen, es das nächste Mal besser zu machen. Sei es im Bereich der self-persuasion, des formal/digital habitus oder in dem des realtime normalism etwaige Veränderungen herbeizuführen. Was genau darunter zu verstehen ist, würde in vorliegender Rezension zu weit führen.

Im Übrigen spricht Foucault bei der Klassifikation von Menschen, wie sie z. B. im Social Web zu beobachten ist, von einer der wirkmächtigsten Technologien, Macht auszuüben. (Kuka 2012: Min. 0:49:13)star (* 3 )

Ein schönes (vorläufiges) Schlusswort, wie ich finde.

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Elisabeth Schmirl über ihre Arbeit Squares. In: Salz – Zeitschrift für Literatur, 138. Heft (Jg. 35/11), Dezember 2009, S. 2.

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Website der Campus Party: https://www.campus-party.eu/2012/index.html , abgerufen am 27.11.2012

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Daniela Kuka (2012): The Social Quantified Self. Video. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s

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Wunderling, Jens (2008): default to public. interventions in the field of digital self-exposure and physical privacy using the example of twitter. Online im Internet unter: http://www.defaulttopublic.net/ (20.11.2012)

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Zettel, Claudia (2009): Zehn Facebook-Freunde sind einen Burger wert. Burger King belohnt das Eliminieren von Online-Bekanntschaften. Pressetext. Online im Internet unter: http://www.pressetext.com/news/20090112032 (25.02.2013)

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Wang, Regina (2012): WATCH: Who Would You Unfriend on Facebook? Online im Internet unter: http://newsfeed.time.com/2012/11/19/watch-who-would-you-unfriend-on-facebook/ (23.02.2013)

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Kimmel, Jimmy (2012): Hey Jimmy Kimmel, Meet My Best UnFriend. Online im Internet unter: https://www.youtube.com/watch?v=-ltzszPmE1w (25.02.2013)

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Zuckriegl, Margit (2008): Die Rhetorik des Poetischen. Zur Bildsprache der frühen Fotografien von Nobuyoshi Araki. In: Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Nobuyoshi Araki. Silent Wishes. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 9 – 12.

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Westlicht (2006): Nobuyoshi Araki: Diaries (Love by Leica). Online im Internet unter http://www.westlicht.com/index.php?id=nobuyoshiaraki (24.11.2012).

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Brehm, Margit (2005): Die Melancholie des Körpers in der Stadt. In: Huslein-Arco, Agnes/ Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Die sinnliche Linie. Klimt – Schmalix – Araki – Takano un der japanische Holzschnitt. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 131-136.

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vgl. Fraunholz,Uwe / Hänseroth, Thomas / Woschech, Anke: Hochmoderne Visionen und Utopien – Zur
Transzendenz technisierter Fortschrittserwartungen. Dresden 2012. 15.

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Macheck, Alexander: Am Ende war das Wort. In: The Red Bulletin, 2012/9. 68.

periscope:project:space; Sterneckstraße 10, 5020 Salzburg; www.periscope.at

( 2013): Kunst & Social Media. Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-social-media/