Kunst & Social Media

Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0

Thomas Herzig – Pneumocell

Katrin Nagovnak

Beim Durchblättern der Red Bulletin September-Ausgabe stieß ich auf einen interessanten Artikel über Thomas Herzig, einen jungen Wiener Architekten, der sich besonders mit Pneumocell-Architektur beschäftigt. Ein Zitat von Herzig, demnach feste Materie nach und nach von (digitaler) Information ersetzt würde, hat dabei besonders meine Aufmerksamkeit erregt. Zu Beginn unserer Lehrveranstaltung, als wir auf Vor- und Nachteile von Social Media, insbesondere von Facebook, zu sprechen kamen, fiel mir dieses Zitat wieder ein. Denn auch in Social Networks ist das Prinzip dasselbe: man digitalisiert sich selbst und präsentiert sich der Umwelt körperlos, als reine, selektierte, selbstkonstruierte Information. Der Körper und alles, was ein Körper nach sich zieht (reales Äußeres, körperliche Fertigkeiten, Gerüche etc.), werden zurückgelassen, werden wortwörtlich zu „Ab-fall“.

Thomas Herzig studierte in Wien Architektur, unter anderem bei Gustav Peichl. Inspiriert wurde er zu seinen Pneumocell-Konstruktionen von gotischen Bautraditionen, Bausystemen aus der Natur und natürlich aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Trends. Schon in der Gotik überlegte man, wie man beim Bau von Kathedralen Material einsparen könnte. Daraus entstanden Kreuzgewölbe, Spitzbögen und Gitter, die allein durch spezielle Ausformung stabil, belastbar, aber auch platzsparend waren. Diese Tradition verbindet Herzig in seiner Pneumocell-Architektur mit dem Ideal der natürlichen Körperzelle. Jede Pneumocell-Konstruktion besteht aus mehreren Zellen, die beliebig zusammengesetzt, herausgenommen und ersetzt werden können. Diese (meist hexagonalen) Bausteine bestehen aus einer durchsichtigen Kunststoffmembran, die über zirkulierende Luft unter ständigem Druck stehen. In Herzigs Projekten sind hauptsächlich Pavillons und pavillonartige Häuser zu sehen, aber auch Möbelstücke. Diese „Luftschlösser“ sind durch ihre große Belastbarkeit theoretisch tatsächlich bewohnbar, da sie eine konstante Raumtemperatur halten können, winddicht und schwer entflammbar sind. Bewohnte Objekte gibt es dennoch nicht, da sie auch den Nachteil haben, stets unter Druck stehen zu müssen, und durch ihre Transparenz ein dementsprechend neues Wohngefühl hervorrufen. Nichtsdestotrotz plant Herzig im Moment ein bewohnbares Haus (Skybase-Project), das mittels Seilen über einer Schlucht hängen soll. Erfolgreiche Projekte des Wiener Architekten waren oder sind unter anderem Zellkomplexe für den Wiener Life Ball, sowie zahlreiche Ausstellungspavillons.

 

pneumocell-pavillon

Pneumocell-Pavillon (Foto: http://www.openpr.de/news/220992/EVOLUTION-GmbH-uebernimmt-den-Deutschlandvertrieb-von-PNEUMOCELL.html)

Die pneumatische Architektur hatte bereits vor Thomas Herzig Tradition und blickt auf ein paar sehr bekannte architektonische Konstruktionen zurück. Die Vorteile dieser Bauweise liegen auf der Hand: Sie ist umweltfreundlich, kostengünstig, leicht zu transportieren und auszubessern. Pneumo-Architektur gibt es in vielen verschiedenen Facetten, wobei Herzig die Aufteilung in gleichmäßige Bauteile eigen ist. Wie bereits erwähnt, ist die natürliche Zelle das Vorbild für Herzigs Bauweise – auf diese Art vereint er ein hypermodernes Aussehen mit natürlichen gegebenen und historischen Formen. Wird technologischer Fortschritt oft als Utopie gesehen, so ist Herzigs Architektur als Fortschritt hin zum Rückschritt in Richtung Natur zu sehen, wobei Transzendenz (wortwörtlich) und Gemeinsinn erhalten bleiben star (* 11 ). Dieses Paradoxon zieht eine Ablösung von der Materie mit sich, die für unsere Zeit typisch ist, aber nie ganz vollendet werden kann, da stets ein Rest an Stofflichem übrig bleiben muss. Den Trend zur Entmaterialisierung sieht Herzig vor allem im High-Tech-Bereich: „Die ersten Computer waren groß wie Wohnzimmer, heute stecken wir iPhones mit einem Vielfachen der Rechenleistung in unsere Hosentaschen. […] Oder in der Musik: Wir kaufen keine CDs, sondern laden MP3-Dateien herunter. Wir ersetzen Materie durch Information. Was bleibt, ist die Idee und die Materie verschwindet.“ (Machek 2012: 68)star (* 12 )

Obwohl man den Trend von materieller Umwandlung in Information sehr gut beobachten kann, ist auch Pneumo-Architektur nicht fähig, Materie komplett zum Verschwinden zu bringen. Es bleibt die Frage, ob die Luftpavillons Materie tatsächlich ersetzen wollen oder diese eher nachahmen.

Um den Einsatz von pneumatischen Konstruktionen nicht als komplett utopisch darzustellen, sondern um auch deren Nützlichkeit und erstaunliche räumliche Wirkung zu zeigen, möchte ich hier noch zwei Beispiele für dauerhafte Pneumo-Konstruktionen einbringen:

Eden Project – Grimshaw and Partners: In Bodelva, Cornwall steht der größte Gewächshauskomplex der Welt. Dieser riesige Garten, der über 100.000, teils vom Aussterben bedrohte Pflanzensorten beherbergt, besteht aus mehreren, mit Luft betriebenen Kuppeln aus Folienkissen. Die Stabilität der Konstruktionen erlaubt die Nachahmung verschiedener Klimazonen und erhält für die Pflanzen gleichzeitig ein natürliches Flair. 2011 wurde der Garten von über einer Millionen Besuchern besichtigt.

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Eden Project (http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Eden_Project_geodesic_domes_panorama.jpg)

Amococo – Architects of Air: Das Luftlabyrinth, das in seinem Aufbau verschiedenste architektonische Stile nachahmt (unter anderem islamische und griechische Architektur und gotische Kathedralen), führt den Besucher über verschlungene Pfade durch sein Inneres. Der Komplex ist leicht abbaubar und wurde bereits auf vielen Messen präsentiert. Ziel der Architekten war es, den Besuchern über Lichtspiele im Labyrinth die Schönheit und Wirkung von Farben zu zeigen. Die Besucher konnten sich frei im Labyrinth bewegen oder sich hinlegen und die Farben auf sich wirken lassen.

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Amococo (Foto: http://www.architects-of-air.com/luminaria/amococo.html)

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Elisabeth Schmirl über ihre Arbeit Squares. In: Salz – Zeitschrift für Literatur, 138. Heft (Jg. 35/11), Dezember 2009, S. 2.

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Website der Campus Party: https://www.campus-party.eu/2012/index.html , abgerufen am 27.11.2012

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Daniela Kuka (2012): The Social Quantified Self. Video. http://www.youtube.com/watch_popup?v=Pvr7HsR96jI#t=0m31s

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Wunderling, Jens (2008): default to public. interventions in the field of digital self-exposure and physical privacy using the example of twitter. Online im Internet unter: http://www.defaulttopublic.net/ (20.11.2012)

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Zettel, Claudia (2009): Zehn Facebook-Freunde sind einen Burger wert. Burger King belohnt das Eliminieren von Online-Bekanntschaften. Pressetext. Online im Internet unter: http://www.pressetext.com/news/20090112032 (25.02.2013)

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Wang, Regina (2012): WATCH: Who Would You Unfriend on Facebook? Online im Internet unter: http://newsfeed.time.com/2012/11/19/watch-who-would-you-unfriend-on-facebook/ (23.02.2013)

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Kimmel, Jimmy (2012): Hey Jimmy Kimmel, Meet My Best UnFriend. Online im Internet unter: https://www.youtube.com/watch?v=-ltzszPmE1w (25.02.2013)

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Zuckriegl, Margit (2008): Die Rhetorik des Poetischen. Zur Bildsprache der frühen Fotografien von Nobuyoshi Araki. In: Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Nobuyoshi Araki. Silent Wishes. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 9 – 12.

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Westlicht (2006): Nobuyoshi Araki: Diaries (Love by Leica). Online im Internet unter http://www.westlicht.com/index.php?id=nobuyoshiaraki (24.11.2012).

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Brehm, Margit (2005): Die Melancholie des Körpers in der Stadt. In: Huslein-Arco, Agnes/ Museum der Moderne Salzburg (Hg.): Die sinnliche Linie. Klimt – Schmalix – Araki – Takano un der japanische Holzschnitt. Weitra: Verlag publication PN°1, S. 131-136.

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vgl. Fraunholz,Uwe / Hänseroth, Thomas / Woschech, Anke: Hochmoderne Visionen und Utopien – Zur
Transzendenz technisierter Fortschrittserwartungen. Dresden 2012. 15.

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Macheck, Alexander: Am Ende war das Wort. In: The Red Bulletin, 2012/9. 68.

periscope:project:space; Sterneckstraße 10, 5020 Salzburg; www.periscope.at

( 2013): Kunst & Social Media. Ausgewählte künstlerische Positionen zum Web 2.0. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-social-media/