Ländliche Räume, Kulturorte und Unterstützungsprogramme im Wandel

Ein Bericht aus dem Harz

Auf die Frage, was die größte Herausforderung für die Kulturinstitutionen in ihrer Region sei, sagte die Bürgermeisterin von Clausthal-Zellerfeld, Britta Schweigel, in einem Interview: „Das ist schnell gesagt: mit dem Mangel umzugehen.“ (Harz|Museen|Welterbe 2019: 12)star (*1) Sie sprach dabei die „desolate finanzielle Situation“ an, in der sich die Stadt befindet und die eine Bedrohung der kulturpolitischen Arbeit sei (vgl. ebd.).star (*1) Ein Mangel an Geld bedeutet unter anderem, dass bezahlte Stellen im Kulturbereich weitgehend fehlen, obwohl die Bewältigung der vielfältigen und umfangreichen Arbeitsfelder auf ehrenamtlicher Basis unzumutbar ist.

Daher war eine weitere wichtige Einsicht aus dem Projekt im Oberharz, dass es für die nachhaltige Entwicklung von Kulturorten in den Regionen eine Entlastung der primär ehrenamtlich tätigen Kulturakteur_innen braucht. Dies sollte durch verschiedene Maßnahmen geschehen, vorrangig durch eine kontinuierliche hauptamtliche Stelle, die organisatorische Aufgaben übernimmt. Bei der Abschlussveranstaltung wurde von kulturpolitischer Seite in Aussicht gestellt, dass diesbezügliche Veränderungen angestrebt und im Oberharz eine bezahlte Kulturverwaltungs- bzw. Koordinationsstelle geschaffen werden soll. Zu klären, wo diese örtlich und strukturell am besten anzusiedeln wäre und wer denn die idealen „Kümmerer“ sein könnten, werden nun die nächsten dringlichen Schritte sein.

 

Vielheit von Bevölkerung im Fokus? − Ein Resümee

Förderungsmaßnahmen, wie sie TRAFO in ländlichen Räumen Deutschlands setzt, bergen grundsätzlich großes Potenzial in sich. Anhand der umgesetzten Projekte zeigt sich, dass neben einer ausreichenden Finanzierung und professionellem Know-how die Aktivierung der Bevölkerung unerlässlich ist für die Veränderung von Kulturorten. Grundlegend ist zudem, dass der Wandel über einzelne Kultureinrichtungen hinausgehend sich auch auf Unterstützungsangebote und -strukturen für regionale Kulturarbeit auswirkt und diese – an den Bedarfen orientiert und entsprechend gut ausgestattet – niederschwellig zugänglich sind. Erst dadurch können Kunst und Kultur in ländlichen Räumen sowie Möglichkeiten der Entwicklung nachhaltig gesichert werden. Dass im Oberharz diese Veränderungen angestrebt werden und eine bezahlte Koordinationsstelle geschaffen werden soll, ist – wie oben dargestellt – ein zentrales Ergebnis aus dem Projekt.

Insgesamt ist im Oberharz in der dreijährigen Projektlaufzeit einiges in Bewegung, einiges aber auch zu kurz gekommen, zumindest in meiner Wahrnehmung als Außenstehende. Clausthal-Zellerfeld ist eine überaus multiethnische Stadt. Diese Vielheit spiegelt sich in den verschiedenen Projektteilen nicht wider. Auch für Neuzugezogene dürfte das Andocken schwierig gewesen sein. So erzählte mir eine Frau in einem Pausengespräch, dass sie vor mehr als zehn Jahren aus einem anderen Gebiet Deutschlands nach Clausthal-Zellerfeld gezogen sei, sich nach so vielen Jahren aber immer noch nicht zugehörig und eingeladen fühle, sich kulturell einzubringen. Dass im Zuge des Projektes die Sichtbarkeit der Bergwerksmuseen erhöht werden konnte, ist zweifelsohne positiv – insbesondere für den Tourismus. Ob dadurch auch Menschen aus der Region die Einrichtungen und deren Angebote öfter in Anspruch nehmen, ist fraglich.

Dass für die Öffnung von Kulturorten eine gezielte Adressierung, Involvierung und Anerkennung der vor Ort lebenden Menschen – die sich auch in den Museen selbst (z.B. in gemeinsamen Ausstellungen mit persönlichen Perspektiven) wiederfinden sollte – zentral ist, war in dem TRAFO-Projekt ein wichtiger Ausgangspunkt. Doch wer ist ‚die Bevölkerung‘, die man ansprechen wollte? Implizit scheint dem Oberharzer Projekt eine normative Vorstellung von der Bevölkerung eingeschrieben gewesen zu sein, die von einer recht homogenen Gruppe ‚Alteingesessener‘ ausging. Eine Diversifizierung des Bildes der adressierten Personen – in Bezug auf Alter, Geschlecht, soziale Zugehörigkeit, Behinderung, Kultur etc. – würde neue Dynamiken in Gang setzen und produktive, bisher wenig berücksichtige Fragen ins Zentrum rücken, beispielsweise: Wie können die unterschiedlichen Bewohner_innen mit ihren alltäglichen Anliegen und Interessen involviert werden? Wo finden Ausschlüsse statt und welche Barrieren lassen sich identifizieren? Wie können sich Menschen in die Geschichte des Bergbaus einschreiben und in die Häuser einbringen, auch wenn sie keinen (lokalen, familiären, schulischen oder anderen) Bezug dazu haben?

Eine Fokussierung auf gesellschaftliche Vielheit und unterschiedliche Lebensentwürfe – samt entsprechend offener, teilhabeorientierter Vermittlungsmaßnahmen – könnte den Menschen im Oberharz neue Möglichkeiten der Identifikation und des sich Einbringens eröffnen. Dies könnte auch dazu führen, dass partizipative Projekte keine temporären Einzelinitiativen bleiben, sondern Kultureinrichtungen von den Bürger_innen zunehmend als offene Räume wahrgenommen und genutzt werden: als Räume also, in denen eine plurale Gesellschaft und unterschiedliche Sichtweisen aufeinandertreffen und Themen verhandelt werden, die über die Bergbauhistorie hinausgehend den Alltag der lokalen Bevölkerung berühren.

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Harz|Museen|Welterbe (2019) (Hg.): Im Verbund. Dossier 2, Mai 2019.

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HAWK. Fakultät für Gestaltung Hildesheim (o.J.) (Hg.): Glück auf 2.0. Ideen und Konzepte für Bergwerksmuseen im Oberharz. Hildesheim.

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Land Salzburg/Abteilung Kultur, Bildung und Gesellschaft (Hg.) (2018): Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg. Visionen – Ziele – Maßnahmen. Salzburg. Online unter https://www.salzburg.gv.at/kultur_/Documents/WebNeu_Kulturentwicklungsplan.pdf

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Lenz, Gerhard (2019): Der Berge Zauberwort: Glück auf! In: Harz|Museen|Welterbe (2019) (Hg.): Im Verbund. Dossier 2, Mai 2019, S. 8-9.

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UNESCO-Welterbe/Stiftung Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft (Hg.) (o.J.):  ShortStories. Objekte erzählen ihre Geschichte. Goslar.

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Website TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel: https://www.trafo-programm.de/programm/1806_uber_trafo/n

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Website Kulturstiftung des Bundes: https://www.kulturstiftung-des-bundes.de

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Website UNESCO-Welterbe im Harz: http://www.welterbeimharz.de

Der im März 2002 durch die deutsche Bundesregierung gegründeten Stiftung stehen jährlich aus dem Haushalt des Staatsministeriums für Kultur 35 Millionen Euro zur Verfügung. Neben der Förderung von Projekten Dritter ruft die Kulturstiftung des Bundes durch ihren Vorstand eigene Programme zu aktuellen kulturellen Themenstellungen (wie eben TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel) ins Leben (vgl. Website).

In einer zweiten Phase werden von 2020 bis 2023 weitere fünf Regionen gefördert. Darüber hinaus hat TRAFO 2018 und 2019 deutschlandweit achtzehn Regionen bei der Entwicklung eigener Transformationsvorhaben beraten und gefördert. Insgesamt stellt die Kulturstiftung des Bundes für TRAFO Mittel in Höhe von 22,8 Mio. Euro bereit. Von Seiten der Ministerien, Landkreise und Kommunen erhalten die beteiligten Regionen eine Kofinanzierung von 20 Prozent. Darüber hinaus stellen sie Personal der Kommunal- oder Kreisverwaltungen zur Mitarbeit in den TRAFO-Projekten frei. Die beteiligten Kultureinrichtungen haben die Zusicherung, dass die öffentlichen Förderungen während der Programmlaufzeit nicht gekürzt werden (vgl. Website).

Das Bergwerk Rammelsberg, die Altstadt von Goslar und die Oberharzer Wasserwirtschaft sind Teil des UNESCO-Welterbes (vgl. Website).

Die großen Welterbe-Häuser wie u.a. das Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar und das Zisterzienser Kloster Walkenried haben sich der Gestaltungslinie der vier kleinen Welterbe-Museen im Oberharz angeschlossen (vgl. Harz|Museen|Welterbe 2019: 4).

Anita Moser ( 2019): Ländliche Räume, Kulturorte und Unterstützungsprogramme im Wandel. Ein Bericht aus dem Harz. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/laendliche-raeume-kulturorte-und-unterstuetzungsprogramme-im-wandel/