„Let’s play Infokrieg! Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert“

Ein Resümee zum Online-Vortrag von Arne Vogelgesang am 4. Juni 2020 am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst

Arne Vogelgesang bezeichnete die Gaming-Branche als die erfolgreichste und umsatzstärkste Kulturindustrie der Welt und konstatierte, dass sie seit ca. einer Dekade das neue Leitmedium der Massenkultur sei. Aktuell beträgt der Jahresumsatz der Branche rund 135 Mrd. Dollar (vgl. Demary 2019: o.S.)star (*2) und das erfolgreichste im App Store und bei Google Play verfügbare Open-World-Spiel Minecraft hat weltweit über 300 Millionen aktive Spieler*innen (vgl. Ruch 2020: o.S.)star (*9)*1 *(1)

 

Ein ludisches Zeitalter

Zimmerman (2014: 20f.)star (*14) spricht von einem ludischen Zeitalter, in dem wir uns als Gesellschaft aktuell befinden. Sei es in der Schule, in der Gesundheitskommunikation oder in der Politik – ein spielerischer Ansatz begegnet uns in nahezu allen Lebensbereichen. „Wenn Information spielerisch wird, ersetzen Spiel-ähnliche Erlebnisse lineare Medien. Medien und Kultur im ludischen Jahrhundert sind immer stärker systemisch, modular, flexibel und partizipativ. Spiele verkörpern all diese Eigenschaften in einem sehr unmittelbaren Sinne.“ (Zimmerman 2014: 21)star (*14) Das bedeutet, sie sind eingebettet in übergeordnete Systeme, deren Komponenten über Schnittstellen miteinander interagieren können und die situationsspezifischer, aktiver Entscheidungen bedürfen.

Spiele wie Pokémon Go, die Spielelemente mit Augmented Reality verknüpfen, werden etwa auch für Marketingzwecke genutzt. Gerade Pokémon Go, bei dem virtuelle Fantasiewesen eingefangen, gesammelt und weiterentwickelt werden müssen, zeigt aber auch, wie weit die Gamification der Gesellschaft schon fortgeschritten ist. Im ersten halben Jahr seit Veröffentlichung des Spieles im Sommer 2016 legten Millionen von User*innen auf der Suche nach Pokémons im realen Raum eine Strecke zurück, die ausreichen würde, um unser Sonnensystem zu verlassen. Bis Ende des Jahres 2018 wurde das Spiel über eine Milliarde Mal heruntergeladen (vgl. Dietzke 2019: o.S.).star (*3) Die große Nachfrage und die anhaltende Begeisterung für Spiele erklärt Vogelgesang mit der intrinsischen Motivation zu spielen, die fest in vielen Menschen verankert ist. Spielen macht Spaß, da es auf einer freiwilligen Entscheidung beruht und den User*innen zudem ein Gefühl von Handlungsmacht verleiht.

 

Vom Sagbaren und Spielbaren zum Machbaren: Gamification innerhalb rechtsextremer Onlinekommunikation

Vor diesem Hintergrund stellte Vogelgesang in seinem Vortrag die Frage, was passieren könne, wenn Prinzipien und Techniken der Gamification innerhalb rechtsextremer Strukturen für demokratiefeindliche Aktivitäten adaptiert würden. Längst haben Rechte und rechtsextreme Gruppierungen das Potenzial von digital vernetzten Medien und insbesondere Spielen und Gaming-Plattformen erkannt. Mittels Gamification verbreiten sie Hassbotschaften und versuchen vor allem Jugendliche für rechtes Gedankengut zu gewinnen. Rechte sind in der Gaming Szene fest verankert und sie gamifizieren auch ihre Politik (vgl. Heid 2020: o.S.).star (*5)

In diversen rechtsradikalen Online-Communities und mitunter auch in der Gaming-Szene verwurzelt waren auch die Protagonisten der mörderischen und rechtsextremen Anschläge in Oslo/ Utøya, Christchurch, Halle und Hanau. Der Täter in Halle beispielsweise verwendete sowohl in der Ankündigung seiner Tat als auch während er die Morde ausführte, Fachtermini aus der Gamingszene. Nicht nur vom Sagbaren zum Machbaren (vgl. Séville 2019: o.S.),star (*10) sondern auch vom Spielbaren zum Machbaren gibt es deutliche Verbindungen (vgl. Klaus 2020).star (*6) Jean-Philipp Baeck und Andreas Speit (2020)star (*1) sprechen vor diesem Hintergrund in ihrem Buch Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat von einer „Gamification des Terrors“. So empfiehlt etwa der rechtsextreme Attentäter von Norwegen, der im Jahr 2011 77 Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche, ermordet hat, bestimmte Computerspiele als Vorbereitung für künftige Attentate zu spielen.

 

Das Überschreiten von Grenzen

Im Vortrag wurde beschrieben, wie die Breitenwirkung des Phänomens der Gamification von Neonazis für eine zielgruppengerechte Ansprache genutzt wird, etwa in sogenannten Chans, also Internet Imageboards. Ein Beispiel dafür ist die rechtsextreme, Gewalt verherrlichende und den Holocaust leugnende Seite daily stormer. Der Name orientiert sich an der nationalsozialistischen und antisemitischen Wochenzeitung der NSDAP Der Stürmer, einem zentralen Propagandainstrument zur Vorbereitung und vorgeblichen Begründung des Holocaust. Im daily stormer werden vor allem Memes produziert, die die beschriebene Wertehaltung widerspiegeln. Darüber hinaus orchestriert die Seite eine Trollarmee, organisiert also virtuelles Stalking- und Hetzkampagnen, die in sogenannten raids gipfeln, also Überfällen gegen politisch Andersdenkende.

Vogelgesang betonte, wie schwierig es sei, einerseits das Ausmaß und die Brutalität des Phänomens zu vermitteln und andererseits nicht verstörend auf das Publikum des Vortrages zu wirken. Zugleich, so betonte er, sei ein zentrales Prinzip der Gamification von rechts das Spielen mit und das Übertreten von Grenzen in der Gesellschaft. Die unterschiedlichen Chans spielen hierbei eine zentrale Rolle und der Übergang vom Hetzen gegen alles, was nicht weiß, männlich und rechtsradikal ist, hin zu physischen Übergriffen bis zum Terror verläuft fließend, wie der Künstler in seinen Ausführungen an verschiedenen Beispielen zeigte.

Ein Beispiel antisemitischer Hetze ist eine von 4chan, einem Chan mit sehr großer Reichweite, infiltrierte Kampagne eines Softgetränke-Herstellers in den USA. Ziel der Kampagne war es, die Kund*innen via Online-Voting über einen neuen Slogan abstimmen zu lassen. Die ersten zehn Plätze des Votings wurden allerdings durch Troll-Angriffe von 4chan belegt. Als sich der Slogan „Hitler did nothing wrong“ mit haushohem Vorsprung als Sieger abzuzeichnen begann, musste die Kampagne abgebrochen werden. Ein Ableger der 4chan Imageboards ist /pol/, wobei die Abkürzung für „politically incorrect“ steht. Die dort vorzufindenden Inhalte sind größtenteils rassistisch, sexistisch, nationalsozialistisch und rechtsradikal. (Zum Thema Online Hass vgl. auch Musyal/Stegemann 2020: o.S.)star (*8)

Im Besonderen emanzipatorische Inhalte, etwa pro-feministische und politisch progressive, werden als Angriffe gegen die (vorgeblich unpolitische) Online-Community der Gamer*innen gewertet. Durch verschiedene, oft als humorvoll verbrämte Aktionen wird eine kulturelle Umgebung der Brutalität geschaffen, die Hass und Gewaltbereitschaft steigert. Mit Gamergate und He will not divide us stellen wir im Folgendem zwei solcher Interventionen vor, auf die Vogelgesang in seinem Vortrag verwies.

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Baeck, Jean-Philipp/ Speit, Andreas (2020): Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. Berli: Christoph Links Verlag.

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Demary, Vera (2019): Gaming erzielt Umsätze in Milliardenhöhe. In: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft. Online unter: https://www.iwd.de/artikel/gaming-erzielt-umsaetze-in-milliardenhoehe-440882/ (10.06.2020).

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Fehr, Jacqueline (2018): Games. Ein aufstrebender Bereich des Kulturschaffens. Schweizerische Eidgenossenschaft. Online unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/ message/attachments/51746.pdf (05.06.2020).

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Heid, Ludger (2020): Rechter Terrorismus. Sie sind nicht allein. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/rechter-terror-rechtsextremismus-1.4881852 (08.06.2020).

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Klaus, Elisabeth (2020): Begrüßung und einleitende Worte zu Beginn der Videokonferenz.

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LaBeouf, Shia/ Rönkkö, Nastja Säde/ Turner, Luke (2017): He will not divide us. Online Unter: http://www.hewillnotdivide.us (13.06.2020).

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Musyal, Sören / Steegmann Patrick (2020): Christchurch, Halle, Hanau: Vom Online-Hass zum rechten Terror. Blätter für Deutsche und Internationale Politik, April 2020.

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Ruch, Thomas (2020): Minecraft: Mojang Studios enthüllen neue Spielerzahlen. Online unter: https://www.play3.de/2020/05/18/minecraft-mojang-studios-enthuellen-neue-spielerzahlen/ (10.06.2020).

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Séville, Astrid (2019): Vom Sagbaren zum Machbaren? Rechtspopulistische Sprache und Gewalt. In: Bundeszentrale für politische Bildung. Online unter: https://www.bpb.de/apuz/301138/vom-sagbaren-zum-machbaren-rechtspopulistische-sprache-und-gewalt (11.06.2020).

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Thomanek, Gregor (2017): Wie 4chan-Trolle Shia LaBeoufs Livestream zerstörten und seine Geheimlocation aufspürten. Online unter: https://www.vice.com/de/article/wnkzyb/wie-4chan-trolle-shia-labeoufs-livestream-zerstorten-und-seine-geheimlocation-aufspurten (13.06.2020).

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Zimmerman, Erlc (2014): Manifest für ein ludisches Jahrhundert. In: Beil, Benjamin/ Freyermuth, Gundolf/ Lisa Gotto (Hg.): New Game Plus. Perspektiven der Game Studies. Genres – Künste – Diskurse. Bielefeld: transcript, 19-24.

Als Open-World-Spiele werden solche bezeichnet, die den Spieler*innen nur wenige Vorgaben zum Spielablauf geben und so eine relativ autonome Spielführung ermöglichen.

Konstantin Vollmer, Felix Kramer ( 2020): „Let’s play Infokrieg! Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert“. Ein Resümee zum Online-Vortrag von Arne Vogelgesang am 4. Juni 2020 am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/lets-play-infokrieg-wie-die-radikale-rechte-ihre-politik-gamifiziert/