„Let’s play Infokrieg! Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert“

Ein Resümee zum Online-Vortrag von Arne Vogelgesang am 4. Juni 2020 am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst

Interventionen der Rechten gegen eine demokratische Kultur und kritische Kunst  

Als Gamergate wurden die Angriffe gegen die Journalistin Anita Sarkeesian bekannt. Sie veröffentlichte Ergebnisse eines via Crowdfunding finanzierten Projekts, in dem sie aus feministischer Perspektive kritisch untersuchte, welche Bilder von Frauen in Games vorherrschen. Das Ergebnis wurde in einer Reihe von spannenden Videobeiträgen veröffentlicht. Als Folge dieser Veröffentlichungen erhielt Anita Sarkeesian Morddrohungen, Androhungen von sexueller Gewalt, es wurde sogar ein Spiel veröffentlicht, dessen einziger Inhalt es war, die Journalistin zu verprügeln. Sie musste ihren Wohnort wechseln, unter Polizeischutz gestellt werden und ihre öffentlichen Auftritte mussten mehrfach wegen Bombendrohungen abgebrochen werden.

Ein anderes Beispiel zeigt, wie sich die radikale Rechte auch gegen eine kritische Kunstproduktion wendete. He will not divide us, eine Kunstinstallation des New Yorker Museum of the Moving Image, an der u.a. der Schauspieler Shia LaBeouf beteiligt war, musste 2017 aufgrund von rechten Attacken und Sabotagen vorzeitig abgebrochen werden. Da sich der Konflikt um diese Kunstinstallation über einen Zeitraum von über einem Jahr zog, wird er an dieser Stelle ausführlich dargestellt:

Als Reaktion und politisches Statement auf die umstrittene Präsidentschaftswahl von Donald Trump stand die Botschaft „HE WILL NOT DIVIDE US“ in schwarzen Versalien an einer weißen Außenwand des Museums. Darüber war eine Kamera installiert, deren Aufnahmen rund um die Uhr via Livestream im Internet übertragen wurden. Intention der Installation war es, möglichst viele Menschen dazu aufzufordern, die Botschaft vor der Kamera in Form eines Mantras laut auszusprechen. Das Mantra sollte hierbei als ein Zeichen von Widerstand, Beharrlichkeit, Opposition und Optimismus fungieren. He will not divide us zielte dabei auf ein US-Amerika ab, das nach der Präsidentschaftswahl zwischen den Anhängern Donald Trumps und der demokratischen Opposition tief zerrissen war. Die Installation sollte während der gesamten Amtsdauer von Donald Trump im Museum ausgestellt werden.

Auf den Imageboard-Websites 4Chan und Reddit wurde die Installation zunächst lediglich kommentiert. Nach und nach erschienen dann Personen vor der Kamera, die Basecaps mit dem Trump-Slogan „Make America Great Again“ trugen und im Hintergrund den Hitlergruß zeigten und Bilder von der Troll-Ikone Pepe the Frog hochhielten. Aufgrund zunehmend rassistischer und antisemitischer Äußerungen, in denen z.B. Neonazis ihre angeblich rassische Überlegenheit propagierten, andere Hillary Clinton mit unaussprechlichen Kraftausdrücken beschimpften und wieder andere mit Waffen posierten, musste die Installation bereits nach einer Woche abgebrochen werden (vgl. LaBeouf et al. 2017: o.S.).star (*7)

Auch ein zweiter Anlauf, diesmal an der Außenwand des El Rey Theaters in Albuquerque, New Mexico, musste aufgrund ähnlicher Troll-Aktionen und Vorfälle nach ca. drei Wochen aufgegeben werden. Das Künstlerkollektiv um LaBeouf zog seine Lehren aus den beiden missglückten Aktionen und setzte das Projekt in einem dritten Versuch in einer etwas anderen – vermeintlich nicht so ‚störanfälligen‘ – Form fort (vgl. Thomanek 2017: o.S.).star (*12) Der Fokus der Livestream-Kamera war diesmal nicht auf die an der Installation teilnehmenden Menschen, sondern auf eine mit dem Satz „HE WILL NOT DIVIDE US“ bedruckte Flagge, die an einem unbekannten Ort gen Himmel ragte, gerichtet (vgl. LaBeouf et al. 2017: o.S.).star (*7) In weniger als 24 Stunden gelang es den Imageboard-Communities, den Ort ausfindig zu machen und die Flagge durch ein „Make America Great Again“-Basecap sowie durch ein T-Shirt des Internet-Memes Pepe the Frog zu ersetzen – hinterlassen als Siegeszeichen jener Trolle, die online zur Sabotage der Aktion aufgerufen hatten.

Später wurde die Installation in Europa gezeigt und die Flagge auf den Dächern unterschiedlicher Museen gehisst. In den einschlägigen Imageboards wurde daraufhin rege diskutiert, wie die Sicherheitssysteme der Kunsteinrichtungen am besten überwunden und die Fahne ‚erobert‘ bzw. zerstört werden könnte. Letzten Endes fielen auch die Installationen in den europäischen Standorten zahlreichen rechten Angriffen zum Opfer, woraufhin das Kunstprojekt in seiner ursprünglichen Form in das Muzeum Sztuki, ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in der polnischen Stadt Lodz, verlegt wurde (vgl. ebd.).

Neben solchen Interventionen gegen kritische Kunst vereinnahmen auch viele rechte, rassistisch motivierte Projekte das Label ‚Kunst‘ und legen sich den Mantel der ‚Freiheit der Kunst‘ um, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Ein verdeckt operierendes, rechtsextremes Netzwerk, das unter anderem über einen Videokanal zur „Rückeroberung Deutschlands“ aufruft, inszenierte in einem Video beispielsweise Soldaten mit Stahlhelm und Gewehr neben einem Volksempfänger. Anschließend wurde dies als „ironisches Kunstprojekt“ beschrieben, wobei sich die Gruppe offiziell von jeglichen Formen der Gewalt distanzierte.

 

Stochastischer Terrorismus

Das Phänomen der medial und digital verbreiteten Herabwürdigung bestimmter Gruppen mit dem Ziel, zu Gewalttaten gegen deren Angehörige aufzurufen, sehen Sicherheitsbehörden auch in Deutschland und Österreich mittlerweile als immer größeres Problem. Seit März 2020 wird dieses Thema im deutschen Bundestag unter dem Begriff des Stochastischen Terrorismus debattiert, den auch Vogelgesang in seinem Vortrag verwendete. Der Begriff stammt aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung und benennt das zufällige, nicht vorhersehbare Eintreten eines Ereignisses. Dramatisches Abbild davon waren die Anschläge in Halle (Saale) und Hanau, bei denen die Täter insgesamt elf Personen ermordeten. Beide Anschläge waren rassistisch und antisemitisch motiviert und beide Täter haben ihre Taten im Internet angekündigt und waren in einschlägigen Chans aktiv. Der Täter in Halle baute Waffen nach Vorlagen im Internet via 3D-Druck nach, kündigte seine Tat anschließend auf einem Imageboard an und postete einen Link auf die Streaming-Plattform Twitch, die eigentlich zum Streamen von Videospielen dient, um dort seine Tat live zu senden. Die Kommentare des Attentäters im Livestream waren durchtränkt von Rassismus, Antisemitismus und Anti-Feminismus.

 

Resümee

Arne Vogelgesangs Vortrag Let’s play Infokrieg. Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert führte nicht nur die zunehmende Bedeutung von (Online-)Videospielen und Gamifizierung der Gesellschaft eindrucksvoll vor Augen, sondern zeigte v.a. auch, welches bedrohliche Potenzial in Games und Gamifizierung steckt, wenn rechte Gruppierungen diese dazu nutzen, ihre Hassbotschaften und ihr rechtes Gedankengut zu verbreiten. Welche Rolle wiederum die Künste und künstlerische Verfahrensweisen einnehmen können – sowohl in rechter Internetpropaganda als auch im Zusammenhang mit Widerstand gegen diese – thematisiert Arne Vogelsang in einem Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser (vgl. „Kunst mit politischem Material ist für mich nur dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“).

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Als Open-World-Spiele werden solche bezeichnet, die den Spieler*innen nur wenige Vorgaben zum Spielablauf geben und so eine relativ autonome Spielführung ermöglichen.

Konstantin Vollmer, Felix Kramer ( 2020): „Let’s play Infokrieg! Wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert“. Ein Resümee zum Online-Vortrag von Arne Vogelgesang am 4. Juni 2020 am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/lets-play-infokrieg-wie-die-radikale-rechte-ihre-politik-gamifiziert/