„Man muss jenseits der Politik agieren“

Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“

Kannst du Beispiele für so ein Initiativwerden nennen?

Ich habe in Wien von 2007 bis 2012 bei der Tageszeitung Die Presse eine wöchentliche Seite namens Migranten schreiben für die Tageszeitung „Die Presse“ als Projekt initiiert. Damals waren Migration und Diversität in Zeitungen und Medien noch nicht so „in“. Ich habe mir gesagt: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich schimpfe mein ganzes Leben lang, dass Österreich so schlecht ist, oder ich überlege mir ein Projekt und gehe von Tür zu Tür und frage einfach Leute, ob sie mitmachen wollen.“ Im Projekt sind wir davon ausgegangen, dass die Bilder, die wir über Migrant_innen haben, durch Medien entstehen, und es gut wäre, wenn die Medien eine „Integrationsleistung“ erbringen würden. Ich bin bei den Medien von Tür zu Tür gegangen, bis dann Die Presse ja gesagt hat. Für die linksliberalen Medien, die ich damals kontaktierte, war es nicht interessant. Ich war positiv überrascht, dass Die Presse – damals unter der Leitung von Michael Fleischhacker als Chefredakteur – sagte, das sei das Thema der Zukunft und Redakteur_innen brauchen diese Perspektive. Dann ging ich mit dem Konzept zur Stadt Wien und fragte, ob sie Interesse hätte. Ich konnte die Integrationsabteilung und die Medienabteilung der Stadt Wien für das Projekt gewinnen.

Bei einem anderen Beispiel geht es darum, Rassismus in Österreich an öffentlichen Schulen zu bekämpfen. Vor drei Jahren habe ich festgestellt, dass es in den Schulbüchern ein Problem in Bezug auf Rassismen gibt. Ich habe ein Projekt konzipiert und Termine mit Schulbuchherausgeber_innen und dem Bildungsministerium vereinbart. Es ist ein riesiges Projekt, da in Österreich fast 8000 Schulbücher herausgegeben werden. Am Anfang war der Widerstand heftig und groß! Aber ich bin drangeblieben. Wir können nicht jeden Tag sagen, wir brauchen eine rassismusfreie Gesellschaft und gleichzeitig in den Schulbüchern Rassismus-Inhalte verbreiten. Wenn wir in Bezug auf Antirassismus innerhalb unserer Gesellschaft langfristig arbeiten wollen, müssen wir das Thema Diskriminierungen in Schulbüchern ernsthaft angehen. Es geht nicht nur um Rassismus, sondern auch um Antisemitismus und Homophobie. Es ist viel zu tun!

Wichtig für unser Projekt war, dass das Diskriminierungsverbot und die Bekämpfung von Rassismus in Österreich im Artikel 7 der Verfassung stehen. Das heißt, was die verschiedensten Herausgeber machen, ist eigentlich verfassungswidrig! Das war dann der Grund, warum manche gesagt haben: „Wir müssen etwas tun.“ Es gab viele Diskussionen zwischen uns Projektmitarbeiter_innen und Repräsentant_innen von österreichischen Schulbuchherausgeber_innen, aber wir haben gemeinsam einen Weg gefunden. Es geht darum, dass man auch Neues entwickelt – etwas hat dann vielleicht zuerst einmal meine Perspektive, aber man braucht zusätzlich immer auch die österreichische Perspektive. Ich sage immer, wenn es um das Gemeinsame geht, muss man unbedingt die andere Perspektive hinzufügen.

Siehst du in Bezug auf kulturelle Teilhabe und eigene Projekte Unterschiede zwischen ländlichen Räumen und städtischen Gebieten?

Zwischen Stadt und Land sehe ich keinen großen Unterschied, außer dass es im ländlichen Bereich nicht das breite Spektrum an Angeboten gibt. Bei meinen Urlauben in Österreich, die ich immer im ländlichen Raum verbrachte, habe ich festgestellt, dass die Menschen einfach extrem neugierig sind. Eigentlich beginnt das Leben für mich, wenn Leute neugierig werden. Zum Beispiel habe ich mit einem Bauern auf 1200 Metern in den Bergen im Norden von Kärnten diskutiert, wie das Leben der Bäuerinnen in Kamerun ist. Ich habe dort auch mit ihm oder mit seiner Familie gearbeitet, wir haben Heu transportiert, wir waren gemeinsam in der Kirche – es war eine evangelische Kirche, ich bin römisch-katholisch. Plötzlich gab es im Dorf vom Pfarrer Interesse: „simon, vielleicht kannst du uns zeigen, wie man in Kamerun lebt?“ Über die Kirche habe ich viele Kinder im Dorf erreicht. Ich war in fünf Jahren dort mehrmals auf Urlaub und jedes Mal gab es einen Kamerun-Schwerpunkt.

Schwierig ist das Politische im ländlichen Raum. Wenn man versuchen würde, jenseits des politischen Spektrums zu agieren, könnte man viel gewinnen. Die Politik polarisiert extrem. Kulturelles Kennenlernen funktioniert aber gut. Wenn ich in Wien oder außerhalb von Wien Gespräche mit Politiker_innen aus der konservativen Ecke habe, trage ich im Sommer meine Lederhose. Da passiert dann etwas Anderes, als wenn ich komme und sage: „Ich will jetzt mit meinen Ideen imponieren.“ Es geht um die Art und Weise, wie wir jenseits dieses sogenannten „Du musst dich anpassen“ agieren können, um zu einem gemeinsamen Nenner zu kommen. Und der gemeinsame Nenner ist immer die Neugierde und die Art und Weise, wie wir mit anderen umgehen. Wenn man es im ländlichen Raum nicht extrem politisch anlegt, hat man viel mehr Möglichkeiten in Bezug auf Begegnungen. Ich glaube, die beste Möglichkeit, wie wir zusammenkommen, ist jenseits der Politiksprache zu agieren.

Das Konzept der Black Critique kommt aus den Postcolonial Studies und den Black Studies und plädiert für die Rezeption soziologischer Phänomene vor dem Erfahrungshintergrund von Schwarzen. Black Critique „is aimed at transforming the conditions of enunciation at the level of the sign“, sagt Homi Bhabha (1994: 247), „not simply setting up new symbols of identity, new ‘positive images’ that fuel an unreflective ‘identity politics’”.

Anita Moser, simon INOU ( 2018): „Man muss jenseits der Politik agieren“. Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“ . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/man-muss-jenseits-der-politik-agieren/