„Man muss jenseits der Politik agieren“

Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“

Kennst du in Salzburg ein Projekt, das wichtige Impulse gesetzt hat?

Ich kenne eine Initiative in Salzburg, die jedes Jahr Schlittenfahren für Afrikaner organsiert. Diese Afrikanischen Rodelmeisterschaften sind das Projekt eines Salzburgers. Ich war einmal dabei und fand super, dass er das macht. Afrikaner_innen lernen dabei auch Ski zu fahren und parallel gibt es einige andere Aktivitäten. Das Projekt wird jedes Jahr größer und in den letzten zwei Jahren kamen sogar Leute aus Großbritannien und Deutschland zu der Afrikanischen Rodelmeisterschaft.

In deiner Arbeit ist unter anderem die mediale Entghettoisierung ein wichtiges Thema. Kannst du kurz umreißen, was darunter zu verstehen ist?

Als ich nach Österreich kam, habe ich festgestellt, dass Mainstream-Medien genauso wie Migrant_innen-Medien in ihren eigenen Ghettos leben. Jeder berichtet nur über die eigene Community, über eigene Veranstaltungen und darüber, was für sie kulturell wichtig ist. Das ist schön und gut, aber wir sind in Österreich, wo die Möglichkeit gegeben ist, dass wir zusammenkommen. Das bedeutet für mich, dass auf der einen Seite die Journalisten der Mainstream-Medien viel mehr lernen sollten, über Nicht-Mainstream-Gesellschaften zu berichten. Wenn wir verallgemeinern und von „schwarzafrikanischen Drogendealern“ und „muslimischen Terroristen“ sprechen, was auch in Qualitätszeitungen passiert, schaden wir beiden Communities. Daher wollte ich das ändern, indem wir beide Medien entghettoisieren. Das bedeutet, dass wir Redakteur_innen beider Medienwelten zusammenbringen. Es ist wichtig, dass Journalisten von Mainstream-Medien jenseits ihrer eigenen Ghettos gehen und Perspektiven verschiedener Communities – und worüber in diesen berichtet wird – kennen lernen. Ich habe manchen Journalisten in Österreich geholfen, die afrikanische Community besser zu verstehen. Auf der anderen Seite habe ich junge Journalisten aus der afrikanischen Community in die Mainstream-Medien hineingebracht, genauso wie junge türkische Journalisten sowie bosnische, kroatische oder serbische – damit wir diese starren Grenzen aufbrechen und mit Respekt und jenseits von Verallgemeinerungen journalistisch arbeiten.

Kannst du etwas mehr zu deinen diesbezüglichen Projekten erzählen?

Ich hatte 2008 ein Projekt zu der Frage: „Wie kann ich die Medienproduktion von Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich sichtbar machen?“ Ich dachte, ich gehe einfach in die verschiedenen ethnischen Lokale in Wien und schaue, welche Zeitungen hier produziert werden. Am Anfang waren es ungefähr 15 Zeitungen von den verschiedensten Communities in Wien, von der jüdischen bis zur türkischen. Ich bin dann zu Herausgebern und Redaktionen gegangen. Die Frage eines türkischen Herausgebers faszinierte mich: „simon, du als Afrikaner, was suchst du überhaupt bei den Türken?“ Ich habe gesagt: „Ich bin Medienmacher, du bist Medienmacher, aber anscheinend wissen da draußen nicht viele, dass wir Medienmacher sind. Man reduziert die Medienmacherei auf bestimmte Institutionen. Wir müssen das sichtbar machen!“ Daher habe ich die Medien.Messe.Migration organisiert und auch die sogenannten Mainstream-Medien dazu geholt und gesagt: „Diskutieren wir darüber: Wie viele Migranten habt ihr in der Redaktion?“ Das ist interessant – für die Mainstreamgesellschaft wie für die Nicht-Mainstreamgesellschaft. Oft fehlt nur der gemeinsame Nenner. In diesem Fall war der gemeinsame Nenner Medienproduktion.

Auch die sogenannten freien Medien können hier eine wichtige Rolle spielen. Meiner Meinung nach sollten freie Medien mit Qualitätsmedien stark kooperieren, damit die Themen zusammenkommen und damit sie eine große Masse erreichen. Wir wissen, dass die freien Medien vielleicht die kritische, aber nicht die breite Masse erreichen. Ich glaube, die Masse, die wir brauchen, ist nicht die der Standard– oder Falter-Leser_innen, sondern die der Krone-Leser_innen. In Bezug auf Radio denke ich an Ö1. Der ORF hat öffentlich-rechtliche Aufgaben zu erfüllen. Das schafft er nicht allein, wir von Radio Orange, wo ich die Ausbildungsabteilung leite, übernehmen einen Teil davon. Ich finde es wichtig, dass wir jenseits unserer eigenen Grenzen gehen.

Das Konzept der Black Critique kommt aus den Postcolonial Studies und den Black Studies und plädiert für die Rezeption soziologischer Phänomene vor dem Erfahrungshintergrund von Schwarzen. Black Critique „is aimed at transforming the conditions of enunciation at the level of the sign“, sagt Homi Bhabha (1994: 247), „not simply setting up new symbols of identity, new ‘positive images’ that fuel an unreflective ‘identity politics’”.

Anita Moser, simon INOU ( 2018): „Man muss jenseits der Politik agieren“. Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“ . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/man-muss-jenseits-der-politik-agieren/