„Man muss jenseits der Politik agieren“

Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“

Was verstehst du unter medialer Ermächtigung und welche Strategien gibt es dabei?

Mediale Ermächtigung bedeutet für mich, dass ich auf der einen Seite Journalist_innen unterstütze, die zum Beispiel im Bereich der Chronikredaktionen über Migrant_innen berichten. Das heißt, dass wir sie in verschiedenste Workshops einladen, um uns mit ihnen diesbezüglich auseinanderzusetzen. Wir kontaktieren journalistische Institutionen, um mit ihnen eigene Programme zu entwickeln. Wir haben das oft in verschiedenen Zeitungen gemacht, wo wir Black Critique*1 *(1) gemacht haben. Ich glaube jede Zeitung ist glücklich, wenn Außenstehende Black Critique üben. Damit habe ich zumindest in Wien auch gute Erfahrungen gemacht.

Strategien gibt es mehrere. Für mich ist die erste Strategie, den ersten Schritt zu machen und der/dem Chefredakteur_in meine Idee vorzustellen. Man braucht in den Medien natürlich Menschen, die sich das anhören wollen. Vielleicht ist der Chefredakteur nicht offen dafür, aber der Herausgeber? Wenn ich sage, ich würde jetzt gerne eine Beilage zum Thema Muslime in Österreich machen, ist klar, dass manche das nicht wollen. Gleichzeitig argumentiere ich, dass es 500.000 Muslime in Österreich gibt. Ist es nicht ökonomisch gut für dich und deine Zeitung? Die Ökonomie spielt also eine weitere wichtige Rolle im Bereich der Strategie. Die dritte Strategie ist die politische Perspektive. Ich frage mich: „Brauche ich immer die Politik, um etwas machen zu können?“ Wenn ich überlege, heute eine Beilage über Muslime in Österreich zu initiieren, ist das nicht machbar. Wir haben Schwarz-Blau. Wer hätte da Interesse? Die Mainstream-Medien haben Angst, dass ihnen, wenn sie das Thema irgendwie berühren, vielleicht Anzeigen verloren gehen. Sie sind auch abhängig von Ministerien und von Förderungen. Wir sollten der Politik aber nicht zu viel Bedeutung geben. Es ist wichtig, sich in der Arbeit im Kunst- und Kulturbereich nicht von der Politik beeinflussen zu lassen, auch wenn sie das Geld, die Höhe der Förderungen usw. bestimmt. Wir können politisch nichts tun, wir können nur künstlerisch und kulturell etwas tun. Man muss jenseits der Politik agieren. Der vierte Punkt in Bezug auf Strategien ist für mich, Menschen einzubinden, die als Erstes betroffen sind. Wenn ich beim Beispiel von vorhin bleibe und eine Beilage innerhalb einer unabhängigen Zeitung machen will, werde ich primär Menschen einladen, um die es geht: Muslime. Erst an zweiter Stelle kommen Nicht-Muslime. Denn es geht hier um Selbstermächtigung. Das bedeutet aus meiner Perspektive, dass die, die betroffen sind, zu Wort kommen und die Sprache, in der über sie gesprochen wird, selbst bestimmen können.

Wo liegen die größten Hürden oder Herausforderungen für so ein Projekt oder, allgemeiner gefragt, für Teilhabe von „allen“ in Kunst und Kultur?

Die größte Hürde sind unsere Vorurteile gegenüber diesen Themen und gegenüber diesen Menschen. Man muss in der Gesellschaft viel Überzeugungsarbeit leisten! Ich denke, dass das Anliegen eines Kunst- und Kulturprojektes auch ist, dass man die eigene Perspektive auf bestimmte Sachen ablegt und sich sagt: „Stell dich auf die andere Seite. Wie siehst du das dann?“ Es braucht Zeit, bis die Leute bereit sind, etwas aus der anderen Perspektive zu betrachten. Das dauert und ist nicht so einfach. Aber ist der Kunst- und Kulturbereich etwas Einfaches? Nein.

Das heißt, die größte Hürde für mich liegt in den Köpfen, in der Sozialisationsperspektive einer Person in Bezug auf das Thema. Wenn ich in meinen Workshops zum Beispiel thematisiere, dass Ägypten in Afrika liegt, dass eine der brillantesten Zivilisationen der Welt eine afrikanische Zivilisation ist, sind Leute oft überrascht. Weil in verschiedensten Schulbüchern nur Ägypten steht und nicht, dass das Land in Afrika ist. Und wenn wir auf die Afrika-Karte schauen, kommt: „Ach so, ja!“ Deshalb glaube ich, das Mindset ist immer die größte Hürde. Es zu verändern, nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Man müsste eigentlich eine Art von langfristiger Öffentlichkeitsarbeit machen.

Welche Visionen und Wünsche hast du in Bezug auf kulturelle Teilhabe in Salzburg?

In Bezug auf Salzburg wünsche ich mir konkret, dass wir es mit der musikalischen Ikone Mozart aufnehmen und jenseits von den normalen klassischen Rezitationen agieren. Man sollte schauen, wie Mozart weltweit rezipiert wird und dazu eine große Ausstellung im öffentlichen Raum von Salzburg machen, also dort, wo sie gut sichtbar ist. Mozart in Indien, vielleicht gibt es musikalische Darbietungen dazu, Mozart in Südafrika, Mozart in Senegal, Mozart in den USA, Mozart bei den Pygmäen. Wir können nicht immer wiederholen, was vor mehr als zwei-, dreihundert Jahren passiert ist. Wir müssen auch in der Lage sein, zu sagen: „Interpretieren wir Mozart anders!“ Mozart hat vor mehr als 250 Jahren das und das gesagt, aber wie sehe ich Mozart aus einer kamerunischen Perspektive? Wie sehe ich ihn aus einer Perspektive, die nicht österreichisch ist? Ich habe vor kurzem mit einem Künstler gesprochen, der die afrikanische Trommel Djembé spielt. Er erzählte, dass er damit in Paris jahrelang in einem klassischen Orchester gespielt hat. Er begleitet Mozart mit Djembé. Ich glaube, Kunst und Kultur ermöglicht, jenseits der eigenen Grenzen zu gehen und dort die spannendsten Sachen zu erleben.

Mein zweiter Wunsch wäre, dass Medien in Salzburg anfangen, sich mit der Realität in Salzburg jenseits von plakativen Meldungen auseinanderzusetzen, zum Beispiel im Rahmen eines Projektes, das von einem Salzburger Institut initiiert und mit den Salzburger Nachrichten oder mit einem anderen Medium in Salzburg umgesetzt wird. Meine Vision wäre auch, dass die Salzburger Nachrichten zum Beispiel einen Tag lang von einem anderen Redaktionsteam geleitet werden. Welche Themen kommen dann vor? Das wäre interessant. Man kann das umsetzen, indem man Stars wie David Alaba als Chefredakteur für einen Tag einlädt, eine Person, die für diese Themen sensibilisiert und bekannt ist. Das kann durch eine Person von der Universität begleitet werden. Wenn ich österreichweit denke, brauchen wir klarerweise im Medienbereich Diversity-Beauftragte. In Zeiten von Diversität muss man das haben, auch beim ORF. In Europa gibt es sehr viele Medien, die in diesem Bereich etwas machen.

Mein dritter Wunsch wäre, dass in Salzburg Vereine, die im Bereich Musik jenseits von Folklore aktiv sind, zu den Salzburger Festspielen eingeladen werden. 2017 gab es dort einen amerikanischen Regisseur, der mit schwarzen Schauspielern gearbeitet hat. Das war wirklich sehr gut. Man sollte die, die der sogenannte „Rand“ der Gesellschaft sind, in das Zentrum holen, indem man sagt: „Ihr seid in Salzburg willkommen, gestalten wir diese Sache zumindest für einen Tag zusammen. Schauen wir, was herauskommt.“ Das wird ein anderes Flair geben, jenseits des sogenannten klassischen Weges.

Danke für das Gespräch!

Das Konzept der Black Critique kommt aus den Postcolonial Studies und den Black Studies und plädiert für die Rezeption soziologischer Phänomene vor dem Erfahrungshintergrund von Schwarzen. Black Critique „is aimed at transforming the conditions of enunciation at the level of the sign“, sagt Homi Bhabha (1994: 247), „not simply setting up new symbols of identity, new ‘positive images’ that fuel an unreflective ‘identity politics’”.

Anita Moser, simon INOU ( 2018): „Man muss jenseits der Politik agieren“. Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“ . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/man-muss-jenseits-der-politik-agieren/