Neue Auftraggeber: Wenn Menschen ganz konkret etwas von der Kunst wollen

Marcel Bleuler im Gespräch mit Alexander Koch über die Potenziale einer Kunstproduktion im Bürger*innen-Auftrag

 

Die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung besteht also aus deiner Sicht nicht?

Natürlich achten die Mediator*innen sehr sorgsam darauf, dass ein Projekt nicht parteipolitisch instrumentalisiert wird. Wir hatten so einen Fall, da bekam ein Projekt plötzlich eine bestimme parteipolitische Farbe, und da mussten wir gegensteuern und deutlich machen, dass wir ein Kunstprojekt machen, das überparteilich ist, wie alles, was wir tun, und wir das aus der politischen Färbung wieder herausholen müssen. Gäbe es einen rechtspopulistischen Zugriff auf unser Projekt, würden wir natürlich ganz besonders gegensteuern.

 

Es könnte ja auch sein, dass Künstler*innen ein Projekt für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ich meine jetzt gerade Rimini Protokoll, die können sich ja dann auch profilieren, oder sagen wir mal ihr eigenes Ding verfolgen mit so einem Projekt. Siehst du da eine Gefahr?

Ich glaube, alle verfolgen eigene Interessen in solchen Projekten. Auch Dorfbürgermeister*innen, die das vielleicht unterstützen, erhoffen sich vielleicht, dass sie dann auch die nächste Wahl gewinnen, weil sie ein gutes Projekt unterstützt haben. Die Ehrenamtlichen – übrigens sind die Auftraggeber ja letztlich Ehrenamtliche –haben natürlich zum Teil auch das Interesse, dass zum Beispiel etwas an ihrem Ort entsteht, das sie dann auch hinterher nutzen können. Also die kriegen ja etwas. Und dass die Künstler*innen das natürlich in ihr Portfolio nehmen, ist auch klar. Aber wenn es gut ist, ist es ja eigentlich für alle eine Win-Win-Situation.

 

„Mit Neue Auftraggeber kann künftiges Kulturerbe bottom-up aus den Interessen und im Dialog mit der Bevölkerung entstehen“

 

Du hast ja gesagt, dass die Ursprungsidee der Neuen Auftraggeber auf einer Frustration darüber fußt, dass die Kunst trotzdem immer noch in Galerien und Museen zu Hause ist. Du bist ja selbst auch Galerist. Kannst du etwas darüber sagen, warum du zu diesen Neuen Auftraggebern gekommen bist und wie sich das vereinbaren lässt mit deiner Arbeit als Galerist?

Ich würde sagen, als Galerist und Kurator und Kunsttheoretiker habe ich über die Jahre die Erfahrung gemacht, dass der eigene Handlungsraum systemisch immer wieder sehr begrenzt ist. Du kannst noch so viele Ausstellungen machen, die sehr gesellschaftspolitisch ambitioniert sind, du erreichst am Ende immer nur eine ziemlich kleine Community. Das kann auch ganz schön frustrierend sein. – Also die Limits unseres eigenen Milieus und der Öffentlichkeit, die sich darüber herstellen lässt. Und wenn man jetzt, wie es bei mir der Fall ist, sich seit Mitte der 90er Jahre die Frage stellt, wie man Kunst als eine gesellschaftliche Kraft und auch als Teil eines progressiven gesellschaftlichen Prozesses stärken kann, reichen viele bisherige Praxismodelle und Gestaltungsinstrumente einfach nicht aus.

 

Aber für dich schließt die Welt der Galerien und Ausstellungen nicht aus, dass es auch Auftragskunst der Zivilbevölkerung geben kann?

Gar nicht. Ich sage mal, das ist eine additive Maßnahme. Es ist komplementär. Man könnte sagen, wir haben viele tolle Dinge erfunden von Museen bis Kunstmarkt und Kunst am Bau. Neue Auftraggeber fügt jetzt nochmal etwas hinzu, was es in dieser Form noch nicht gab. Nämlich Kunst im Bürger*innenauftrag. In Einzelfällen hat es das gegeben, aber nicht systemisch, nicht als gesellschaftliche Praxis und gesellschaftliche Institution. Da gibt es auch noch viel zu tun. Ich glaube, es hat bislang etwa 60 Mediator*innen gegeben, und die mussten sich diese Rolle und die Anerkennung sehr stark erkämpfen. Es ist ja nicht so, dass alle einen einladen, mit Geld überhäufen und darauf warten, dass man zu machen beginnt. Es gehört sehr viel Überzeugungsleistung dazu. Im Prinzip ist Neue Auftraggeber ein toller Vorschlag für eine europäische Kulturpolitik. Und zwar deshalb, weil es das bislang erste Programm sein könnte, wo alle Leute eine gleiche Methode teilen, aber alle Entscheidungen lokal von den Leuten selbst getroffen werden. Das heißt, niemand würde sagen, dass Brüssel vorgegeben hat, was man jetzt genau machen soll. Denn das geben die Bürger*innengruppen vor und dann im Dialog mit den Künstler*innen. Wenn man sich vorstellt, dass Auftraggeber*innen-Gruppen aus allen möglichen europäischen Regionen auch in einen Austausch treten, voneinander lernen, sehen würden, wie andere ähnliche Herausforderungen angegangen haben, kommt ein extrem interessantes, dynamisches Bild, auch von einer europäischen Kulturproduktion der Gegenwart, heraus. Denn das kulturpolitische Hauptproblem ist, dass wir heute kaum noch in kulturelle Neuproduktionen investieren, sondern eigentlich in die Verwaltung von Kulturerbe. Das, was Neue Auftraggeber beiträgt, ist, dass künftiges Kulturerbe bottom-up aus den Interessen und im Dialog mit der Bevölkerung entstehen kann.

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Achim Könneke (Hg.): Clegg & Guttmann: die Offene Bibliothek; the Open Public Library. Cantz, Ostfildern 1994.

Marcel Bleuler, Alexander Koch ( 2020): Neue Auftraggeber: Wenn Menschen ganz konkret etwas von der Kunst wollen. Marcel Bleuler im Gespräch mit Alexander Koch über die Potenziale einer Kunstproduktion im Bürger*innen-Auftrag. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/neue-auftraggeber/