PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?

Beispiel 1: PARKBEFRIEDUNG

Als Reaktion auf die mit dem Bau des umstrittenen Tiefbahnhofes drohende Rodung des Schlossgartens und seines Jahrhunderte alten Baumbestandes, versuchten Aktivisten direkt nach dem „Schwarzen Donnerstag“, diesen zu besetzen. An diesem Tag waren einige Demonstranten zum Teil schwer verletzt worden, als bei der gewaltsamen polizeilichen Räumung mit Pfefferspray und Wasserwerfern den Stuttgartern klar gemacht wurde, wie ökonomische Interessen in den kommenden Jahren vor Ort durchgesetzt werden sollten.

Die Parkbesetzung war ein schwieriges Unterfangen, da zu diesem Zeitpunkt beiden Seiten klar war, dass es sich auch um einen „Krieg der Bilder“ handeln würde. Der Wert von Medienbildern, wie dem des Rentners Dietrich Wagner, dem mit einem Wasserwerferstrahl die Augen aus dem Kopf gedrückt wurden, war zum symbolischen Kapital der Projektgegner geworden und die Polizei war ängstlich darauf bedacht, keine weitere Bilder-Schlacht mit der Gegenseite so kläglich zu verlieren. Räumungsaktionen sollten daher in Zukunft möglichst unauffällig vonstatten gehen, die S21-Gegner wollten hingegen mit passenden Bildern einen hohen Sympathiewert in den Medien erzielen.

Die Park-Besetzung erfolgte daher in einer Salamitaktik, bei der das Verbot, Zelte in öffentlichen Grün-Anlagen aufzustellen, mit Witz umgangen wurde, indem zunächst Sonnenschirme als provisorische Behausungen genutzt wurden, die sich jedoch mit der Zeit subtil in „Schirmburgen“ verwandelten. Eine Strategie, gegen die die Polizei machtlos war und die sogar in einem Architektur-Fotographie-Wettbewerb preisgekrönt wurde. Eins zu Null für die ästhetischen Strategien der S21-Gegner.

Diese ersten Siege wurde jedoch von den S21-freundlichen Stuttgarter Medien schnell wieder gegen die S21-Gegner gewendet, indem sie das Camp im Park als angeblichen „Schandfleck“ im sauberen Stuttgarter Stadtbild diffamierten. Spätestens mit Wintereinbruch gaben die unter den Schneemassen begrabenen Behausungen tatsächlich kein fotogenes Bild mehr her, dazu kam die Bedrohung durch eisige Temperaturen und nächtliche Angriffe von Projekt-Befürwortern, die sogar vor Brandanschlägen nicht zurückschreckten. Der Widerstand im Park kam schon beinahe zum Erliegen, als Mitglieder der Künstlergruppe SOUP (Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene) mit einer künstlerischen Intervention den campierenden Aktivisten zu Hilfe eilten.

Mit einem Wall aus großdimensionierten Fotoleinwänden, die Bildmotive des Brandenburger Tores in Originalgröße zeigten, umfriedeten sie kurzerhand das Camp und der Presse blieb nichts anderes übrig, als diesen Coup positiv zu würdigen. Selbst die Bild-Zeitung titelte „Was macht das Brandenburger Tor im Schlossgarten?“star (* 1 ). Die Schandfleck-Diskussion war ab diesem Zeitpunkt ihres Gegenstandes beraubt. Bei dieser Aktion kam die Uneindeutigkeit und das nicht festmachbare, objektivierbare Moment, das künstlerische Strategien von wissenschaftlichen Methoden unterscheidet, schon in der Überschrift des mitgelieferten „Bekennerschreibens“ zum Ausdruck: So sei die Aktion „Ein Akt der Parkbefriedung“.

Der Titel „Parkbefriedung“ intoniert eine Doppeldeutigkeit, die sich weder eindeutig auf die eine noch die andere Seite der „Stuttgarter Gegnerschaften“ aufrechnen lässt. Die Frage nach einer „Befriedung“ der gespaltenen Bevölkerung beschäftigt seit Jahren die Stuttgarter Medien. Einen Schutzwall, der die Projektbefürworter vor dem Anblick eines angeblichen Schandfleckes bewahrt und zugleich die dahinter hausenden Projektgegner vor Wind, Wetter und Angriffen schützt, als „Befriedungsmaßnahme“ zu deklarieren, zeugt von einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit. Als die Polizei nach zwanzig Minuten am Gelände eintraf, war das Werk vollendet, der Schutzwall geschlossen und die uniformierten Einsatzkräfte ratlos. Der Mehrwert künstlerischer Strategien zeigte sich hier zugleich in der Öffnung einer festgefahrenen Diskussion als auch in der „Unangreifbarkeit“ der Aktion – sowohl konkret als auch diskursiv. Die Politik scheute sich, dieses friedliche Bild kollektiver Kreativität gewaltsam räumen zu lassen, der Wall blieb in den Folgemonaten tatsächlich unangetastet bestehen. Das nun vor dem disziplinierenden staatlichen Blick geschützte Parkbesetzer-Camp konnte unauffällig ausgebaut und stabilisiert werden – und ein schönes Bildmotiv für die Medienberichterstattung und Protest-Touristen gab es gratis dazu.

Zugleich war der Wall um das Camp eine Einladung zur weiteren ästhetischen Okkupation des Schlossgartens. Unter anderem zierten Transparente mit Textapplikationen die schützende Struktur, ebenfalls mit ästhetisch kodierter Mehrdeutigkeit. Neben dem Hinweis auf die Website der Errichter des Walls (www.schlossgartenfreiheit.de) waren Botschaften wie „TANZ DEN WIDERSPRUCH“, „WE ARE THE MULTITUDE“ oder „WIR SIND SOUVERÄN“ zu lesen. Während das Zitieren des Multitude-Begriffes von Hardt/Negristar (* 2 ) zum Ausdruck bringen wollte, dass im Park tatsächlich eine klassenübergreifende Solidarisierung von Menschen stattfand, verbunden durch ein gemeinsames biopolitisches Interesse, nämlich den Schutz ihrer Stadt gegen Investoren-Interessen, bezog sich der Hinweis auf den Souveränitätsbegriff auf die Hinterfragung der politischen Macht an diesem Ort: Ist eine Staatsgewalt, die sich so offensichtlich gegen Bürgerinteressen auf die Seite von Investoren schlägt und die Polizei derart gewalttätig einsetzt noch demokratisch legitimiert? Oder greifen hier bereits Überlegungen einer juristischen Grundsatzdiskussion, die ein zivilgesellschaftliches Widerstandsrecht gegen die Aushebelung des Grundgesetzes durch Machtmissbrauch geltend macht? Sich selbstbewusst als Souverän zu bezeichnen, spielt mit der Doppeldeutigkeit des Wortes, je nachdem ob es als Adjektiv oder Substantiv gelesen wird. Im ersteren Fall gibt es eine selbstbewusste Selbsteinschätzung wieder, im zweiten eine politische Klarstellung. Jedenfalls war das Transparent mit dieser Aufschrift fortan auf vielen Medienbildern zu sehen, die damit eine Diskussion eröffnete. Dementsprechend möchte ich die Frage „Sind wir schon souverän?“ im Folgenden noch vertiefen.

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Bild-Zeitung vom 3.1.2011, Ausgabe Stuttgart, S. 3.

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Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire Campus 2004.

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Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970; 13. Aufl., 1995. S. 159.

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„Teilhabe erlebbar machen.“ Kommentar von Nikolaus Forstbauer im Kulturteil der den Stuttgarter Nachrichten vom 5. März 2012.

Das Wortspiel wurde erfunden vom SOUP-Mitglied Karin Rehm anlässlich eines SOUP-Beitrages zum Symposium „Bürger. Macht. Staat“ an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen.

Andreas Mayer-Brennenstuhl ( 2013): PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/partihihizipation-oder-sind-wir-schon-souveran/