PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?

Beispiel 2: UNSER PAVILLON
Ermutigt von diesem unvorhersehbaren Erfolg einer künstlerischen Aktion, beschloss ein Teil der Künstlergruppe SOUP, sich verstärkt im Schlossgarten zu engagieren und weitere bildhafte Interventionen in die Bewegung gegen S21 einzubringen. Eine längerfristige Okkupation des Parks wurde in Gestalt einer architektonischen Skulptur geplant, die eine Mehrfachfunktion von Begegnungsort, Schutzraum, Informations- und Ausstellungsraum übernehmen sollte. Drei Module, die auf Anhängern transportierbar waren, wurden in einer nächtlichen Aktion klammheimlich in den Park gebracht und dort zur Installation UNSER PAVILLON verbunden. Die Architektur griff dabei ein Motiv auf, das sich bereits bei der Skulptur Schichtung 107/Stuttgarter Tor – ebenfalls im Park aufgestellt – des Künstlers Thomas Lenk wiederfindet. Die Schichtungen dieser Skulptur aus den 1970er Jahren wurden beim Pavillon in Form von „Lamellen“ aufgegriffen, dadurch bekam er eine Form, die an einen Transformator mit Kühlrippen erinnerte. In einer Presseerklärung wurde UNSER PAVILLON dann auch noch zu einer „souveränen Erweiterung der autonomen Lenk-Skulptur“ erklärt. Damit verortete sich die illegale Aktion im „Schutzraum der Kunst“, eine Strategie die sich im weiteren Verlauf als sehr effektiv erwies. Die autonome Skulptur Stuttgarter Tor wurde sozusagen zum Eingangsportal ihrer eigenen souveränen Erweiterung in Form des funktional benutzbaren Innenraumes UNSERES PAVILLONS. Das Bild des angedockten PAVILLON-Containers verwies so auf eine paradoxe Denkfigur: Der Raum der Kunst als Ort der gesellschaftlich praktizierten Souveränität. Diese künstlerische Praxis ist nicht mehr, wie die Denkfigur der „Autonomie“ in Gestalt der Lenk-Plastik noch impliziert, als Entgegensetzung zwischen künstlerischer und politischer Sphäre konstituiert, sondern als deren Überschreitung im Sinne eines transversalen Bezuges von Kunst und Gesellschaft. Sie macht Ernst mit dem Paradoxon, das Adorno meinte, als er sinngemäß formulierte, es sei gerade der autonome Schein der Kunst, der ihre souveräne Wahrheit ausmachtstar (* 3 ).

Diesem neuen Raum der Souveränität wurde konsequenterweise im ersten Stadium seiner Nutzung keine eindeutige Funktion zugeordnet, sondern ein „Bild“. Seine räumlichen Eigenschaften als eine leere, dunkle Kiste wurden im Sinne einer Korrespondenz von Inhalt und Form thematisiert, indem er als Camera obscura genutzt wurde. Ein winziges Loch an seiner Stirnseite genügte, um diese Funktion tatsächlich zu ermöglichen. Im Inneren der begehbaren Kiste erschien auf einem transparenten Schirm das Bild des umkämpften Kopfbahnhofes – der Logik optischer Gesetze folgend auf dem Kopf stehend: Oben wurde Unten, Unten wurde Oben. Der Slogan der Stuttgarter Kopfbahnhof-Verteidiger (K21) „Oben bleiben“ bekam damit eine überraschende Bildhaftigkeit und UNSER PAVILLON eine interessante Vieldeutigkeit: beobachtend als Camera obscura sowie bildgebend für den Beobachtungsgegenstand, den Bahnhof. Das Bild, das sich im Pavillon zeigte, wurde später auch tatsächlich auf Fotopapier ausbelichtet, beschriftet mit den etwas irreführenden Richtungsangaben „unten“ und „oben“ und so zu einem ersten Artefakt der pavillonistischen Kunstproduktion. Reale Funktionalität und fiktionale Bildhaftigkeit gingen durch diesen Kunstgriff nahtlos ineinander über.

Die Idee der Camera obscura war darüber hinaus die Blaupause zu einem Coup, mit dem die Aufstellung des Pavillons im polizeilich schwer bewachten Mittleren Schlossgarten überhaupt erst möglich wurde. Im Vorfeld der Aktion beantragte SOUP beim Ordnungsamt eine „Genehmigung zur temporären Aufstellung einer Kamera obscura zum Zwecke einer Langzeitbelichtung des Stuttgarter Bahnhofes“. Verschwiegen wurde dabei die tatsächliche räumliche Dimension dieser Kamera. Die Strategie ging auf: Als bei der illegalen nächtlichen Aufstellung des PAVILLONS die Polizei erschien, konnte das Schreiben bewirken, dass eine Klärung des Sachverhaltes mit dem Ordnungsamt erst am folgenden Tag möglich und UNSER PAVILLON bis dahin fertig aufgebaut war sowie als Camera obscura funktionieren würde. Der durch diese Strategie reklamierte Status als Kunstwerk schützte im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit den Behörden tatsächlich vor einer Vollstreckung der ansonst permanent angedrohten Räumung. Die Undercover-Strategie, ein Kunstprojekt quasi als „Trojanisches Pferd“ für die Realisierung eines gesellschaftspolitischen Anliegens zu benutzen, ging auf, trotz seines rechtlich illegalen Charakters konnte UNSER PAVILLON fast ein ganzes Jahr im Park verbleiben.

Eine weitere Intervention kann die paradoxe Strategie der „PAVILLONISTEN“ in Hinblick auf ihre uneindeutige Verortung zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis noch weiter verdeutlichen. Eine der ersten Aktionen von SOUP war die REINIGUNG DER LENK-SKULPTUR, eine quasi rituelle Aktion, in deren Verlauf der mit Aufklebern verschandelten Lenk-Skulptur die „Aura der Autonomie“ zurückgegeben wurde. Man könnte dies als eine affirmative Haltung sehen, die die Kunst lediglich behüten will vor heteronomen Vereinnahmungen. Bedeutsam war jedoch, dass bei dieser Aktion die Vandalismus-Spuren gesammelt wurden, um anschließend in UNSEREM PAVLLON als „Kunst“ wieder gezeigt zu werden. Mit dieser Geste wird ein diskursiver Raum eröffnet, der die Fiktionalität der Kunst in einen komplexen Zusammenhang bringt mit der gesellschaftlichen Realität: Es ist alles eine Frage des Kontextes, ästhetisch/fiktionale/autonome Strategien können nahtlos übergehen in eine gesellschaftlich/reale/souveräne Praxis und umgekehrt, Widersprüche inbegriffen.

Während UNSER PAVILLON an seinem okkupierten Ort verblieb, bot er Raum für zahlreiche Aktivitäten: Ausstellungen, Performances, Video-Präsentationen, Konzerte und weitere künstlerische Formate verschmolzen mit Info-Veranstaltungen, Vorträgen und Diskussionsrunden zu einer kulturellen Dimension des Widerstandes, die eine Unterscheidung zwischen künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis als zu kurz greifende Interpretation der tatsächlichen Komplexität obsolet werden ließ. Die uneindeutigen und damit jedes politisch-rationale Kalkül unterlaufenden Strategien der SOUP-Künstler wurden zunächst von einigen politischen Aktivisten als irritierend und irrelevant empfunden und umgekehrt hatten einige Künstler ihre Schwierigkeiten mit klaren politischen Ansagen, mit der Zeit wuchs jedoch das gegenseitige Verständnis dafür, dass die unterschiedlichen Intentionen gerade in ihrer Widersprüchlichkeit ihr spezifisches Potential entfalten können.

Deutlich wurde dies beispielsweise, als nach der verlorenen Volksabstimmung die PAVILLONISTEN ihre strahlend weiße Architektur mit schwarzem Filz umhüllten. Während einige S-21-Gegner dies als Ausdruck der Resignation deuteten und daher ablehnten, erinnerte andere dieses Erscheinungsbild an die Ästhetik des „Schwarzen Blockes“ und sie verstanden es als Hinweise auf eine militantere Positionierung des Widerstandes. Auch die Text-Applikation „WARM ANZIEHEN“ auf der schwarzen Hülle trug wenig zur eindeutigen Erhellung bei: War dies nun ein guter Ratschlag an die Tiefbahnhofsgegner gegen die winterliche Kälte oder eine subtile Drohung an die Adresse der Befürworter? Als ästhetisch formulierte Botschaft blieb dies prinzipiell offen und damit auch justitiabel irrelevant.

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Bild-Zeitung vom 3.1.2011, Ausgabe Stuttgart, S. 3.

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Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire Campus 2004.

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Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970; 13. Aufl., 1995. S. 159.

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„Teilhabe erlebbar machen.“ Kommentar von Nikolaus Forstbauer im Kulturteil der den Stuttgarter Nachrichten vom 5. März 2012.

Das Wortspiel wurde erfunden vom SOUP-Mitglied Karin Rehm anlässlich eines SOUP-Beitrages zum Symposium „Bürger. Macht. Staat“ an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen.

Andreas Mayer-Brennenstuhl ( 2013): PARTIHIHIZIPATION! Oder: Sind wir schon souverän?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/partihihizipation-oder-sind-wir-schon-souveran/