Partizipation in der zeitgenössischen Kunst
Von der postmodernen Condition d’Etre hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt*1 *(1)
The emancipated spectator und Antagonismus – Kontroversen um den Effekt der Emanzipation und Demokratisierung
Gerade wenn partizipative Kunst als Modell für Selbstermächtigung aufgefasst wird, stellt sich eine kontrovers diskutierte Problemstellung: Wird die Ermächtigung nicht zugleich untergraben, wenn sie von einer Autorität angewiesen ist und die Adressat_innen dem Ruf nach Emanzipation folgen? Diese Frage steht im Zentrum des viel beachteten Aufsatzes The emanicipated spectator (2007) (*21) des Philosophen Jacques Rancière. Darin bezeichnet es Rancière als Missverständnis, dass die Betrachter_innen zu Aktivität und kritischer Response veranlasst oder gar gezwungen werden müssen, um einen emanzipatorischen Effekt zu erleben(2007: 279). (*21)*4 *(4) Er argumentiert, dass solche Ansätze bei genauer Betrachtung ein Machtgefälle zwischen Künstler_innen und Publikum perpetuieren. Er bezeichnete es als zutiefst paternalistische Haltung, den Zuschauer_innen zuerst eine unkritische Passivität zuzusprechen und sie dann aus dieser Position herausführen zu wollen. Damit fasste er in Worte, woran sich vorher schon Andere gestoßen hatten: Eine künstlerische Arbeit, die ihre Adressat_innen anweist, aktiv und kritisch zu werden, spricht ihnen das Vermögen ab, von sich aus aktiv und kritisch zu sein.
Mit seiner ebenso präzisen wie zugänglichen Abhandlung gab Rancière jenen ein Instrumentarium an die Hand, die sich an der erstarkenden Tendenz hin zu didaktischen künstlerischen Arbeiten störten. Zu diesem Lager zählte insbesondere Bishop. Bereits drei Jahre vor Erscheinen von Rancières Aufsatz kritisierte sie, dass die unter den Relational Aesthetics aufgeführten Kunstprojekte kaum je den Anspruch einlösten, emanzipatorische oder demokratisierende Effekte zu haben. In ihrem Aufsatz Antagonism and Relational Aesthetics (2004) arbeitet Bishop die Mängel an Bourriauds Demokratiebegriff heraus. Er habe schlicht behauptet, dass alle künstlerischen Ansätze, die ihre Betrachter_innen einbeziehen und Dialog ermöglichen, demokratisch und letztlich politisch seien (vgl. Bishop 2004: 65). (*2) Seinem vage konzeptionalisierten Demokratiebegriff hält Bishop eine Referenz entgegen, die sie aus Rosalyn Deutsches Monografie Evictions: Art and Spacial Politics (1996) (*9) übernimmt: Das Konzept der „radikalen Demokratie“ von Laclau/Mouffe (1991 [1985]) (*16), dem sie insbesondere den Begriff des Antagonismus abgewinnt, mittels dessen sie die Versprechen von partizipativer Kunst, demokratische Ermächtigung zu erzielen, reflektiert.
Die von Bourriaud hervorgehobene Kunst kritisiert sie dabei insofern, als dass diese viel zu reibungslos aufgehe. So beschreibt sie etwa in Bezug auf Tiravanijas Untitled (Free/Still), dass hier keine demokratische Verhandlung, sondern vielmehr eine normative „togetherness“ stattfinde. Die Menschen, die zusammenkommen, würden größtenteils aus derselben Kunstszene stammen, sich bereits kennen und sich für dieselben Dinge interessieren. Sie bilden eine Gemeinschaft, die destabilisierende Aspekte reguliert (oder sie durch Ein- und Ausschlüsse bereits reguliert hat). Wie Bishop vor dem Hintergrund von Laclau/Mouffe argumentiert, widerspreche ein solcher regulierter sozialer Raum demokratischen Verhältnissen: „ […] a democratic society is one in which relations of conflict are sustained, not erased. Without antagonism there is only the imposed consensus of authorian order – a total suppression of debate and discussion.“ (Bishop 2004: 66) (*2)
Auf dieser Basis nimmt sie eine allgemeine Kritik an den Relational Aesthetics vor. Bishop spricht von einer „Feel-Good“-Kunst (ebd.: 79), die „togetherness“ und allenfalls kollektive Kreativität pflege, wobei von einem Effekt der Demokratisierung nicht die Rede sein könne, wenn man diese als antagonistische Dynamik versteht. Eine solche Dynamik würde vielleicht dann einsetzen, wenn zum Beispiel betrunkene Passant_innen in Tiravanijas Ausstellung reinkommen und zu randalieren beginnen. Dann könnte eine allgemeine Destabilisierung entstehen und man hätte sich mit den antagonistischen Kräften, die im Sinne Bishops eine Demokratie ausmachen, zu befassen.
Bishop prägte damit eine wichtige Diskursfigur. Zusehends wurde von Kunst gesprochen, die beabsichtige, antagonistische Dynamiken auszulösen. Natürlich stellt sich hier – ähnlich wie in Bezug auf das Paradox einer Anregung zur Emanzipation – die Frage, inwiefern eine ‚antagonistische‘ Gemeinschaftsstruktur tatsächlich antagonistisch sein und den Effekt einer Demokratisierung erreichen kann, wenn sie von Küstler_innen erwünscht oder gar veranlasst wird.
Bishop selbst geht nicht auf diese Frage ein. Stattdessen kritisiert sie, dass der Hype um partizipative Kunst zu einem „ethical turn“ (2006: 178) (*3) geführt habe. Kritiker_innen würden sich nicht mehr auf ästhetische, sondern lediglich auf ethische Fragen konzentrieren. Jeder Hinweis auf Ausbeutung würde sofort ins Visier genommen und alles, was nicht durch Konsens-basierte Prozesse hervorgebracht wird, als künstlerischer Egozentrismus und Machtausübung angeklagt (ebd.: 180) (*3). Bishop prangert an, dass diese ethische Empfindlichkeit zu einer überbetonten Didaktik und letztlich einer künstlerischen Belanglosigkeit führe.
In Abgrenzung dazu hält sie Arbeiten von Künstler_innen hoch, die soziale Trennungen und die Unausgewogenheit von Machtverhältnissen tatsächlich aufklaffen lassen. Zwei dieser Künstler sind Thomas Hirschhorn und Santiago Sierra, die generell hoch kritisch diskutiert wurden. Hirschhorn und Sierra arbeiten meist mit sozial und wirtschaftlich schwach gestellten Menschen. Anstatt dabei die Illusion zu erwecken, dass die „participants“ durch die Kunstprojekte eine Handlungsmacht und Mitsprache erhalten, exponieren die Künstler auf jeweils andere Weise die Schwierigkeiten eines gesellschaftlichen Zusammenkommens. Bishop: „[…] their work acknowledges the impossibility of a ‚microtopia‘ and instead sutains a tension among viewers, participants, and context.“ (2006:70) (*3)
In dieser konfrontativen und schwer ertragbaren Spannung sieht Bishop den wirkungsvollen Gegenpool zum naiven Versprechen der Relational Aesthetics, einen Raum zu schaffen, in dem das Individuum zu Handlungsmacht kommt. Bishops Kritik lässt sich dahingehend auf den Punkt bringen, dass die unter den Relational Aesthetics geführten Kunstprojekte mit ihren regulierten Spielräumen und der Zelebrierung von „togetherness“ jene Machtverhältnisse und Unterdrückungsmechanismen reproduzieren, die sie zu überwinden vorgeben.
Marcel Bleuler ( 2020): Partizipation in der zeitgenössischen Kunst. Von der postmodernen Condition d’Etre hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/partizipation-in-der-zeitgenoessischen-kunst/