Perspektivenwechsel gefragt: Hin zu einer selbstreflexiven und kritischen kulturellen Teilhabe
Kulturelle Teilhabe: Die Forderung „Kultur für alle!“
Bereits 1948 formulierten die Vereinten Nationen das Recht „am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen“ als ein Menschenrecht (Artikel 27, Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen). Auf der UNESCO-Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexiko-Stadt wurde im Jahr 1982 weiters eine Demokratisierung der Kultur gefordert. In der kulturpolitischen Forderung der 1970er/80er Jahre „Kultur für alle!“ wird die Vision einer kulturellen Teilhabe „aller“ in einer heterogenen Gesellschaft lebenden Menschen eingefordert (Hoffmann 1981 [1979]) (*19) (s. zur historischen Dimension den Beitrag von Max Fuchs) – ein „Bürgerrecht Kultur“ (Glaser/Stahl 1983). (*15) „Kultur für alle“ bestand in der Forderung einer Demokratisierung von Kultur in der Verbindung von Teilhabegerechtigkeit und Abbau von Barrieren mit einer Wertschätzung alternativer kultureller Praxen und kultureller Bildung (Bockhorst/Reinwand/Zacharias 2012; (*4) Fuchs 2016b). (*11)
Im Zuge einer Kritik am elitären Kulturbegriff und paternalistischen Vorstellungen einer „Kultur für alle“ wurde aus dem zunehmend bedeutungsleeren Slogan zunächst ein „Kultur von allen für alle“ und in der Folge eine „Kultur mit allen“ (Benzer/IG Kultur Vorarlberg 2016). (*3) Zentral waren und sind dabei Debatten um kulturelle Diversität, Cultural Citizenship, critical dis_ability, einer Do-It-Yourself-Kultur und einer kritischen Kunst- und Kulturvermittlung. So fordert aktuell die „behindert und verrückt feiern“ Pride Parade am 15. Juli 2017 in Berlin: „ganzhaben statt teilhaben!“*6 *(6) In einem Interview erklären die Pride-Organisator_innen:
„Mit ‚Ganzhabe’ meinen wir die vollständige und umfassende Teilhabe für behinderte und verrückte Menschen. Mit dem 2016 erlassenen Bundesteilhabegesetz (BTHG) sollte beispielsweise die Teilhabe behinderter Menschen vergrößert werden. Tatsächlich gibt es kleinere Verbesserungen, aber die sind sehr überschaubar. Dafür enthält das Gesetz weitere Einschränkungen der Selbstbestimmung behinderter Menschen. ‚Ganzhaben statt teilhaben’ heißt: wir wollen die ganze Bäckerei statt nur Krümel. Wir wollen eine Gesellschaft, in der kein Mensch ausgegrenzt wird.“ (Siegessäule.de 2017) (*63)
Die Idee der „Ganzhabe“ stellt die selbstbestimmte und ermächtigende Teilhabe aller Menschen an allen Bereichen der Gesellschaft in den Mittelpunkt (s. dazu den Beitrag von Magdlener in diesem eJournal).
Zwar haben sich vor dem Hintergrund dieser Forderungen und Entwicklungen die Vielfalt des Kulturangebots und die Voraussetzungen für kulturelle Partizipation verbessert, allerdings ist kulturelle Teilhabe weiterhin eng mit „vererbtem“ Bildungsstand, Einkommensverhältnis, sozialer Herkunft und Sozialisation verbunden (Scheytt/Sievers 2010, (*49) vgl. zu kulturellen Ungleichheiten Fuchs 2016a, (*10) Pilić/Wiederhold 2015, (*46) Mandel 2016/2017). (*33) Mit Forderungen nach gleichen Bildungs- und Teilhabechancen sind zum einen Kulturinstitutionen aufgefordert, institutionskritisch ihre eigenen Ausschlussmechanismen, Privilegien und Hierarchien zu reflektieren und vermittlerische Bildungsarbeit mit einem möglichst gleichwertigen Austausch von Erfahrungen von Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen (Stöger 2002) (*54) einzusetzen. Zum anderen ist die Kulturpolitik dazu aufgefordert, das kulturelle Leben zu öffnen und Teilhabegerechtigkeit ausdifferenziert umzusetzen.
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Dieser Beitrag entstand im Nachfeld der Gesprächsreihe „Kultur für alle – Kultur mit allen? Positionen, Reflexionen, Handlungsfelder kultureller Teilhabe“ am Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst im Wintersemester 2017/18 (Konzept: Elke Zobl, Elke Smodics, Dilara Akarçeşme, Laila Huber). Entwicklung und Durchführung der Gesprächsreihe im Rahmen des Projektes „Kulturelle Teilhabe in Salzburg“ sowie in Kooperation mit dem Salzburg Museum, periscope – initiative für kunst- und zeitgenoss_innen, ARGEkultur, Dachverband Salzburger Kulturstätten, Stadt Salzburg Beauftragtencenter. Ein Teil der Gesprächspartner_innen hat für diese eJournal Ausgabe Texte verfasst (Elisabeth Magdlener, Max Fuchs) ein Teil wurde interviewt (s. dazu in Practice). Ich danke allen Gesprächspartner_innen ganz herzlich, Laila Huber und Elke Smodics für ihre wichtigen Inputs und die Zusammenarbeit und Persson Perry Baumgartinger für das Feedback zur Überarbeitung dieses Textes!
Nähere Infos zur Gesprächsreihe
In einer transdisziplinären Arbeitsgruppe in dem Projekt „Kulturelle Teilhabe in Salzburg“ (2017-2020) erforschen wir Grundlagen, Möglichkeiten, Herausforderungen und Strategien kultureller Teilhabe allgemein und in Stadt und Land Salzburg im Besonderen. Dabei interessiert uns, welche Ausschlüsse im Kulturbereich stattfinden, wir eruieren, wo Handlungsbedarf besteht, und geben Impulse für Veränderungen.
Zum Projekt
Die Arbeiten des Institute of Art Education (IAE) an der Zürcher Hochschule der Künste unter der Leitung von Carmen Mörsch waren und sind für mich in der Entwicklung dieses Ansatzes zentral. Mörsch vertritt einen Ansatz der Kulturvermittlung als kritische und selbstreflexive Praxis, von dem ich sehr viel gelernt habe und auf den ich mich in dem Beitrag beziehe, s. Website des IAE.
Dies ist natürlich eine sehr verkürzte und kondensierte Darstellung, für eine weitergehende Diskussion siehe auch Fuchs in dieser eJournal-Ausgabe.
www.makingart.at. Für eine Zusammenstellung solcher Materialien siehe das Archiv für emanzipatorische Praxen, das im Projekt „Strategien für Zwischenräume. Neue Formate des Ver_Lernens in der Migrationsgesellschaft“ von trafo.K entwickelt wurde (http://verlernen.trafo-k.at/index.php), sowie die Materialiensammlung auf Taking Part (www.takingpart.at).
Mörsch fordert dies eingehend in ihrem Beitrag „Watch this space!: Position beziehen in der Kulturvermittlung“ (o.J), online unter http://www.theaterschweiz.ch/fileadmin/sbv/SBV/Basistext.pdf
MIND THE TRAP! https://mindthetrapberlin.wordpress.com/, Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene: http://www.vernetzt-euch.org/, dazu das Plakat „Strategien für eine kritische Kulturarbeit“: http://www.vernetzt-euch.org/wp-content/uploads/2016/02/Vernetzt-euch_doku_bildschirm.pdf. MAIZ: https://www.maiz.at/, Precarious Workers Brigade: https://precariousworkersbrigade.tumblr.com/, Iconoclasistas: http://www.iconoclasistas.net/
Der Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg geht einen wesentlichen Schritt in diese Richtung, offen bleibt derzeit noch dessen Umsetzung. S. http://www.kep-land-salzburg.at
Elke Zobl ( 2018): Perspektivenwechsel gefragt: Hin zu einer selbstreflexiven und kritischen kulturellen Teilhabe. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/perspektivenwechsel-gefragt-hin-zu-einer-selbstreflexiven-und-kritischen-kulturellen-teilhabe/