Perspektivenwechsel gefragt: Hin zu einer selbstreflexiven und kritischen kulturellen Teilhabe
In diesen Prozessen hat die Herstellung von Bedingungen für kollektive und kollaborative Wissensproduktion eine zentrale Bedeutung. Dabei geht es um das Anerkennen einer Gleichwertigkeit unterschiedlicher Wissensformen, wie jener des Erfahrungswissens und des akademischen Wissens, sowie um die Thematisierung von und einen bewussten Umgang mit ungleichen strukturellen Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Akteur_innen (vgl. Landkammer 2012). (*27) In diesem Kontext wurden Ansätze der partizipativen Forschung im Feld der Kunst- und Kulturvermittlung aufgegriffen (Mörsch 2008, (*38) 2012; (*42) Landkammer 2012; (*26) Settele 2012, (*51) Wöhrer et al. 2017). (*58) Partizipative Forschung ist dabei nicht nur Werkzeug zur Weiterentwicklung der kritischen Kunst- und Kulturvermittlung, sondern konstitutiver Bestandteil eines Methodensets zur gesellschaftskritischen und transkulturellen Bildungs- und Kulturarbeit.
Die Kunstwissenschaftlerin Rachel Mader hat im Kontext partizipativer Kunst und der Herstellung von Öffentlichkeit argumentiert, dass künstlerische Praxen differenzierter und vielschichtiger als theoretische Positionen mit diversen Öffentlichkeiten interagieren und Auseinandersetzungen anregen. Würde man all die Theorien – wie das Konzept zu Öffentlichkeiten (im Plural), die durch Aushandlungsprozesse hergestellt werden – ernst nehmen, erfordere dies umfassende theoretische Analysearbeit, die aber kaum alle Momente von Öffentlichkeit und unkontrollierbaren Widersprüchlichkeiten, die durch diese Kunstpraxen hergestellt werden, fassen kann, sondern immer nur Fragmente und damit in „eindimensionalen Urteilen“ verfangen ist (Mader 2014: 109). (*32) Sie argumentiert: „Diese Vielschichtigkeiten genauso zu benennen und interpretative Offenheit und Unsicherheiten auszuhalten, das erscheint mir eine Kompetenz, die die Kunst gegenwärtig besser beherrscht als die Wissenschaft.“ (Ebd.: 110) (*32) Diese Praxis ist so vielschichtig, komplex, widersprüchlich und prozesshaft, dass wir sie auf theoretischer Ebene nur in Teilen mit ganz konkreten Fragen und abseits von disziplinären Grenzen fassen können. Dies ist ein wichtiger Punkt, umgelegt auf teilhabeorientierte kulturelle Praxis. Gefragt sind daher inter- und transdiziplinäre Ansätze sowie teambasierte und partizipative Forschung, die diese wichtigen Fragen aus verschiedenen Perspektiven kontextualisieren und diskutieren können.
Kein Fazit: Handlungsfelder kritischer kultureller Teilhabe
„Kritisches Denken gibt uns die Mittel, die Welt so zu denken, wie sie ist und wie sie sein könnte.“ (Wacquant 2006: 669 zitiert in Hark 2009, Hervorhebung i.O.) (*56)
Die bisher diskutierten Aspekte werfen wichtige Fragen auf: Wie lassen sich die Forderungen nach Teilhabe, nicht-diskriminierenden Sprachpolitiken und der Öffnung von Institutionen tatsächlich einlösen? Wie sieht eine transformative, emanzipatorische und solidarische Arbeit in Kunst und Kultur aus, die neue und andere Denk- und Erfahrungsräume kultureller Teilhabe erschließt? Dies sind komplexe, vielschichtige Fragen, die jeweils und konkret in den verschiedenen Kontexten wiederum neue, unabschließbare Fragen, Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten aufwerfen.
Verschiedene Aspekte erscheinen mir besonders wichtig, um hin zu einer kritischen kulturellen Teilhabe (auch neue) Zugänge zu ermöglichen, Ausschlüssen entgegenzuwirken und neue Perspektiven einzunehmen: Aus den erläuterten Positionen und Handlungsfeldern wird klar, dass es einerseits notwendig ist, Machtverhältnisse zu thematisieren, kritisch zu beleuchten und offen zu legen: Damit einher geht ein bewusster Umgang mit ungleichen strukturellen Machtverhältnissen der beteiligten Akteur_innen und ein Infragestellen von Sprechpositionen. Dazu gehört auch die Selbstreflexion, das Hinterfragen von (z.B. eurozentristischen) Grundannahmen und das Abgeben von Privilegien auf individueller Ebene sowie die grundlegende Transformation von Institutionen (im Rahmen von angebotenen Programmen, Publikum und Personal). Andererseits steht die Entwicklung und Umsetzung von ermächtigenden und solidarischen Möglichkeiten der Teilhabe und der Selbstrepräsentation von und mit den Beteiligten im Rahmen von diskriminierungssensiblen Kooperationen und Allianzen im Zentrum der Bestrebungen einer kritischen Praxis von kultureller Teilhabe. Um solche Prozesse anzustoßen (oder überhaupt umzusetzen), erfordert es ein permanentes Lernen und Verlernen, eine selbstreflexive Haltung und ein offenes Einlassen auf widersprüchliche und schwierige Prozesse, die viel Zeit und Raum benötigen.
Wichtig ist dabei, die eigene Positionierung und das jeweilige Verständnis von Kunst, Kultur und Bildung offenzulegen und zu begründen.*11 *(11) Schließlich geht es vor allem darum, einen selbstreflexiven und kritischen Perspektivenwechsel vorzunehmen und aus einem anderen – transdisziplinären, offenen, diskriminierungssensiblen – Blickwinkel auf Zugänglichkeiten, Barrieren und kulturelle Produktion zu schauen, bisher unbekannte kulturelle Praktiken wahrzunehmen und auf dieser Grundlage sich selbst sowie institutionelle Zielsetzungen, interne Strukturen und Programmpolitik zu verändern.
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Dieser Beitrag entstand im Nachfeld der Gesprächsreihe „Kultur für alle – Kultur mit allen? Positionen, Reflexionen, Handlungsfelder kultureller Teilhabe“ am Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst im Wintersemester 2017/18 (Konzept: Elke Zobl, Elke Smodics, Dilara Akarçeşme, Laila Huber). Entwicklung und Durchführung der Gesprächsreihe im Rahmen des Projektes „Kulturelle Teilhabe in Salzburg“ sowie in Kooperation mit dem Salzburg Museum, periscope – initiative für kunst- und zeitgenoss_innen, ARGEkultur, Dachverband Salzburger Kulturstätten, Stadt Salzburg Beauftragtencenter. Ein Teil der Gesprächspartner_innen hat für diese eJournal Ausgabe Texte verfasst (Elisabeth Magdlener, Max Fuchs) ein Teil wurde interviewt (s. dazu in Practice). Ich danke allen Gesprächspartner_innen ganz herzlich, Laila Huber und Elke Smodics für ihre wichtigen Inputs und die Zusammenarbeit und Persson Perry Baumgartinger für das Feedback zur Überarbeitung dieses Textes!
Nähere Infos zur Gesprächsreihe
In einer transdisziplinären Arbeitsgruppe in dem Projekt „Kulturelle Teilhabe in Salzburg“ (2017-2020) erforschen wir Grundlagen, Möglichkeiten, Herausforderungen und Strategien kultureller Teilhabe allgemein und in Stadt und Land Salzburg im Besonderen. Dabei interessiert uns, welche Ausschlüsse im Kulturbereich stattfinden, wir eruieren, wo Handlungsbedarf besteht, und geben Impulse für Veränderungen.
Zum Projekt
Die Arbeiten des Institute of Art Education (IAE) an der Zürcher Hochschule der Künste unter der Leitung von Carmen Mörsch waren und sind für mich in der Entwicklung dieses Ansatzes zentral. Mörsch vertritt einen Ansatz der Kulturvermittlung als kritische und selbstreflexive Praxis, von dem ich sehr viel gelernt habe und auf den ich mich in dem Beitrag beziehe, s. Website des IAE.
Dies ist natürlich eine sehr verkürzte und kondensierte Darstellung, für eine weitergehende Diskussion siehe auch Fuchs in dieser eJournal-Ausgabe.
www.makingart.at. Für eine Zusammenstellung solcher Materialien siehe das Archiv für emanzipatorische Praxen, das im Projekt „Strategien für Zwischenräume. Neue Formate des Ver_Lernens in der Migrationsgesellschaft“ von trafo.K entwickelt wurde (http://verlernen.trafo-k.at/index.php), sowie die Materialiensammlung auf Taking Part (www.takingpart.at).
Mörsch fordert dies eingehend in ihrem Beitrag „Watch this space!: Position beziehen in der Kulturvermittlung“ (o.J), online unter http://www.theaterschweiz.ch/fileadmin/sbv/SBV/Basistext.pdf
MIND THE TRAP! https://mindthetrapberlin.wordpress.com/, Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene: http://www.vernetzt-euch.org/, dazu das Plakat „Strategien für eine kritische Kulturarbeit“: http://www.vernetzt-euch.org/wp-content/uploads/2016/02/Vernetzt-euch_doku_bildschirm.pdf. MAIZ: https://www.maiz.at/, Precarious Workers Brigade: https://precariousworkersbrigade.tumblr.com/, Iconoclasistas: http://www.iconoclasistas.net/
Der Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg geht einen wesentlichen Schritt in diese Richtung, offen bleibt derzeit noch dessen Umsetzung. S. http://www.kep-land-salzburg.at
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