Pinpointing Workshops

1. Fragestellung:

Wenn Kunstrezeption als „civilizing ritual“ (vgl. Bennett 2010)star (* 1 ) fungiert, und bürgerliche Verhaltensnormen einübt, welches Verhalten wird durch die Rezeption von dialogischen, Workshop-ähnlichen Kunstformen eingeübt? Wodurch zeichnet sich ein Workshop als partizipatives Format aus?

Kollaborative Wissensproduktion im Workshopformat

Der Begriff des Workshops kommuniziert einen Modus der Teilnahme. Wer an einem Workshop teilnimmt, erwartet aktiv teilzuhaben und in irgendeiner Form auch etwas zu lernen. Außerdem kommuniziert der Begriff, dass die Teilnahme keine speziellen Fähigkeiten voraussetzt. Die Teilnehmer_innen werden im Workshop in den Arbeitsprozess einbezogen und identifizieren sich mit diesem.

Doch sind die primären Charakteristika eines Workshops – Prozessorientierung, Einbeziehung des Publikums, Experimente mit pädagogischen Formen, die lebenslanges Lernen als Wert vermitteln – nicht auch jene, die von der postfordistischen Ökonomie gefordert werden? Auch in der – auf arbeitsteilige, flexible Produktionsformen ausgerichteten – Wirtschaft werden Workshops als „partizipative“ Arbeitsform genutzt: um Mitarbeiterwissen aus verschiedenen Arbeitsbereichen miteinander zu verknüpfen und das implizite Wissen der Mitarbeiter_innen der Firma zugänglich zu machen. Kooperation und Teamarbeit werden gleichzeitig mit Kontrolle und somit der Nachvollziehbarkeit des individuellen Beitrags verknüpft. Chantal Mouffe weist im Interview mit Markus Miessen auf diese Doppelnatur von Partizipation hin. „Es gibt heute ganz klar einen hegemonialen Kampf um die Frage der Partizipation. Es geht darum, welche Bedeutung Partizipation bekommt, die akzeptiert wird. Manche Auffassungen von Partizipation können subversiv sein, während andere dem Kapital in die Hände arbeiten, weil sie die Leute dazu bringen, an ihrer eigenen Ausbeutung mitzuarbeiten.“ (Miessen 2012: 113)star (* 2 )

Lena: Letztens habe ich einen eintägigen Workshop von zwei Künstlern mitgemacht, bei dem ich im Nachhinein sehr lange über den Status der Teilnehmer_innen nachgedacht habe – war ich Füllmaterial? War es nicht letztlich eine Subsumtion meiner freiwilligen und kostenfreien Arbeit unter die Autorschaft der Künstler? Andererseits hatte ich natürlich mitgemacht, um die Künstler kennenzulernen.

Was unterscheidet einen Workshop als Praxis im Feld der Kunst von Workshops im Feld der postfordistischen Ökonomie? In diesem Text werden wir Workshop-ähnliche Praxen betrachten, die kein Ergebnis im Sinne des Erlernens einer vorher kommunizierten praktischen Fähigkeit haben und in denen auch nicht die Workshop-Initiator_innen als Personen im Vordergrund stehen, sondern in dem der Dialog an sich sowie eine kollektive Wissensproduktion das Ziel bildet. Anhand der Analyse der Veranstaltungsreihe „Absahnen“ von AG Arbeit in der Galerie für Zeitgenössische Kunst und der Projekt- und Hörgalerie A und V in Leipzig sowie der Veranstaltung „Voicing Responsibility“ von Well Connected im KW Institute for Contemporary Art in Berlin wird nach der Art und Weise der Einbeziehung des Publikums gefragt. Wie soll das Publikum partizipieren? Welche Öffentlichkeiten werden dabei hergestellt? Mit Latour: „Wer versammelt sich? Wer spricht? Wer entscheidet?“ (vgl. Latour 2001 und 2005)star (* 3 ) star (* 4 )

Der Workshop als Kunst/Vermittlungs/Format

Lena: Ich frage mich, wie dieser Begriff „Workshop“ in die Kunst kommt, wieso er jetzt in der Kunst auftaucht. (…) Es ist ja ein bestimmtes Labeling.

N. (Klasse Bewusstsein): Ich überlege gerade, wo mir der Begriff zum ersten Mal untergekommen ist. Es ist gerade ziemlich populär von Workshops zu reden, ziemlich einfach. Ich wohne in einem Hausprojekt und bin deshalb seit über einem Jahr immer mit Methoden beschäftigt, die alle immer nur unter dem Begriff Workshop subsumiert werden, ohne den Begriff zu hinterfragen.

M. (Klasse Bewusstsein): Die Frage, die sich mir in diesem Kontext gerade stellt, ist, ob darauf überhaupt der Kunstbegriff anwendbar ist.

Lena: Der Kunstbegriff hat sich ja ziemlich gewandelt, zum Künstler als Vermittler und nach Nina Möntmann „Service Provider“. Dazu passt meiner Meinung nach der Begriff des Workshops sehr gut.

Im Feld der Kunst wurden Workshops erstmals 2003/2004 thematisiert, und zwar im Kunstverein München mit der Reihe „Dispositive Workshop“. Diese subsumierte eine Vielzahl künstlerischer Praktiken und Repräsentationsformen unter den Begriff des Workshops und markierte ihn als künstlerische Form. Unter dem Begriff „Workshop-orientierte Kunstpraktiken“ wurden „zeitgenössische künstlerische Projekte“ versammelt, „die kontextspezifischen, partizipatorischen (kollaborativen), prozess- und kommunikations-orientierten Charakter haben und ihrer Form nach einem Workshop ähnlich sind“ (Schlieben 2004: 210).star (* 5 )

Well Connected verorten sich im Feld des kuratorischen Handelns. AG Arbeit wollen sich nicht einem Feld zuordnen lassen, auch wenn sie hauptsächlich im Kontext der Kunst agieren und künstlerische und pädagogische Formen mischen.

N. (Klasse Bewusstsein): Ich würde es eher zurückbringen und sagen: Bei dem, was wir machen, geht es um emanzipatorische Prozesse, hierarchiefreie Wissensvermittlung, hierarchiefreie Wissensaneignung, Selbstermächtigung. Und wir verwenden dafür Methoden aus dem Bereich der politischen Bildung, Methoden aus der Kunst. Für mich ist es ein Methodenpool, und für mich hat Kunst vor allem etwas damit zu tun, welche Haltung ich habe, aber nicht dass ich das für Kunst, in Kunst oder als Kunst mache.

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Bennett, Tony (2010): Der bürgerliche Blick. in:  von Hantelmann, Dorothea/ Meister, Carolin (Hg.). Die Ausstellung. Politik eines Rituals. Zürich, Berlin: diaphanes.

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Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve-Verlag.

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Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge: Für eine Politische Ökologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Latour, Bruno (2005): Von der Realpolitik zur Dingpolitik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin: Merve.

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Schlieben, Katharina (2004): Dispositive Workshop. in: Lind, Maria (Hg.): Gesammelte Drucksachen. Spring 02 – Fall 04. Frankfurt a. M.: Revolver Verlag.

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Bhabha, Homi K. (1998): Conversational Art. In: Jacobs, Mary Jane/Brenson, Michael (Hrsg). Conversations at The Castle: Changing Audiences and Contemporary Art. Cambridge, Mass.: M.I.T. Pr.

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Doherty, Claire (Hg.) (2004): Contemporary Art: from studio to situation. London: Black Dog Publ.

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Bishop, Claire (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London; New York: Verso.

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Virno, Paolo/Neundlinger, Klaus (2008): Grammatik Der Multitude: Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect: Individuation bei Duns Scotus und Gilbert Simondon. Wien: Turia & Kant.

Seit Ende 2012 agieren sie nun unter dem Namen Klasse Bewusstsein. http://klasse-bewusstsein.de/

Auszug aus der Veranstaltungseinladung

Eine Reflexion über den Workshop „Arbeitslose als Avantgarde“ ist nachzulesen in: Buurman, Nanne (2009): „Picknick im Palmenhain“. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung Bd. 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich, Berlin: diaphanes.

Auszug aus der Veranstaltungseinladung – http://www.kdk-leipzig.de/well-connected.html

Lena Brüggemann ( 2013): Pinpointing Workshops. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pinpointing-workshops/