Pinpointing Workshops

3. Analyse

Zweckfreiheit des Diskurses

Die hier besprochenen Workshop-ähnlichen Praktiken im Feld der Kunst machen sich die Erwartungshaltung des Publikums zunutze, um zu einer Vermischung von Rollen und Hierarchien zu gelangen, die die Unterteilung in Publikum und Autor_innen, Laien und Expert_innen temporär abschwächt und einen Raum für einen dialogischen Prozess erzeugt. Dabei vermeiden sie jedoch die Nachvollziehbarkeit des individuellen Beitrags, die Selbstdarstellung vor der Gruppe, die die Partizipation in ihrem sozialen Kern schwächt. Der Rahmen der Kunst führt dabei zu einer gewissen Offenheit der Teilnehmer_innen, sich auf experimentelle Formen einzulassen und Bewertung und Zweck zu suspendieren.

Der Workshop als primär/idealerweise zweckfreier Diskursraum

Die Workshops von AG Arbeit und Well Connected erzeugen einen Raum für Dialog, ähnlich dem des Salons, der nach Habermas die Brutstätte der bürgerlichen Öffentlichkeit war.

Lena: Ja, Habermas weist aber darauf hin, das im Salon vor allem die Idee einer bürgerlichen Öffentlichkeit entsteht und institutionalisiert wird. Es ging um die Konstruktion eines rein menschlichen Austauschs und das Absehen von ökonomischen Verpflichtungen. Ob das im Endeffekt so funktioniert hat, ist ihm letztlich nicht so wichtig.

Nanne: Es ging wahrscheinlich um das Feld des Zweckfreien. Aber da steckt natürlich schon eine starke Ökonomie dahinter, die Leute müssen es sich leisten können, keinen Zweck zu verfolgen.

Lena: Das war ja schon in der griechischen Polis der Fall.

Nanne: Ja, da habe ich auch gerade dran gedacht. Ich finde es spannend, weil ich mit Salons eine starke Exklusivität verbinde. Egal zu welcher Zeit; weil in dieser halb-öffentlichen Sphäre die Trennung zwischen Sprecher_in und Zuhörer_in nicht so stark ist. Jede_r ist potentiell Sprecher_in.

Durch das Räsonnement im Salon entstand ein Raum des Öffentlichen, ein politisch organisierter Raum. In der „snobbery of the salon” (Bhabha 1998star (* 6 )), Habermas’ Modell der Deliberation, ordnen sich autonome Individuen dem besten Argument als allgemeingültig unter.

Auch in Workshop-ähnlichen Kunstpraktiken ist jede_r potentiell Sprecher_in, jedoch mit einer anderen Konnotation als im Salon. Im Dialog innerhalb des Workshops wird versucht, den individuellen Haltungen und Perspektiven Artikulationsraum zu geben, diese weiterzuentwickeln und zu teilen, statt einer Konsensfindung, die durch eine abstrakte und subjektfreie Form den Anschein von Wahrheit und Vernunft erzeugt. Diese Wahrheitsfähigkeit, die Vorstellung eines politischen Körpers wird von Bruno Latour zugunsten der Vorstellung einer gemeinsamen Baustelle (Latour 2001: 206)star (* 3 ) verworfen. In seinem Buch „Von der Realpolitik zur Dingpolitik“ fordert er, uns als (politisch) behindert zu begreifen. (Latour 2005)star (* 4 )

Lena: Mein Bild vom Salon sieht so aus, dass dort die Geselligkeit im Vordergrund steht. Ein periodischer Zeitrahmen und eine Gastgeberin, die sich die Gesellschaft ins Haus holt.

Nanne: Genau, eher Geselligkeit als Selbstzweck. Im Workshop gibt es ja ein Ziel, ein Thema. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, das Salons Gemeinschaften von Produzenten sind, während die Definition des Publikums im Workshop eher defizitär ist im Sinne von etwas noch nicht wissen, etwas lernen wollen. In meiner subjektiven Assoziation versammeln sich im Salon lauter Wissende. Das ist wahrscheinlich nicht haltbar, aber meine Assoziation. Im Workshop steht dieses „noch nicht“ stärker im Vordergrund.

Ein Workshop als eine Versammlung von Singularitäten, die sich durch ein Lernen- Wollen, ein In-Bezug-treten-Wollen auszeichnen, besteht aus „unwissenden“, mit Latour „behinderten“ Sprecher_innen. Durch den ungewohnten, unbekannten Rahmen besteht eine Distanz, die die Sprecher_innen zwischen Partizipation und Reflektion, zwischen Teilnahme und Betrachtung der Situation oszillieren lässt.

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Bennett, Tony (2010): Der bürgerliche Blick. in:  von Hantelmann, Dorothea/ Meister, Carolin (Hg.). Die Ausstellung. Politik eines Rituals. Zürich, Berlin: diaphanes.

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Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve-Verlag.

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Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge: Für eine Politische Ökologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Latour, Bruno (2005): Von der Realpolitik zur Dingpolitik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin: Merve.

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Schlieben, Katharina (2004): Dispositive Workshop. in: Lind, Maria (Hg.): Gesammelte Drucksachen. Spring 02 – Fall 04. Frankfurt a. M.: Revolver Verlag.

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Bhabha, Homi K. (1998): Conversational Art. In: Jacobs, Mary Jane/Brenson, Michael (Hrsg). Conversations at The Castle: Changing Audiences and Contemporary Art. Cambridge, Mass.: M.I.T. Pr.

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Doherty, Claire (Hg.) (2004): Contemporary Art: from studio to situation. London: Black Dog Publ.

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Bishop, Claire (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London; New York: Verso.

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Virno, Paolo/Neundlinger, Klaus (2008): Grammatik Der Multitude: Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect: Individuation bei Duns Scotus und Gilbert Simondon. Wien: Turia & Kant.

Seit Ende 2012 agieren sie nun unter dem Namen Klasse Bewusstsein. http://klasse-bewusstsein.de/

Auszug aus der Veranstaltungseinladung

Eine Reflexion über den Workshop „Arbeitslose als Avantgarde“ ist nachzulesen in: Buurman, Nanne (2009): „Picknick im Palmenhain“. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung Bd. 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich, Berlin: diaphanes.

Auszug aus der Veranstaltungseinladung – http://www.kdk-leipzig.de/well-connected.html

Lena Brüggemann ( 2013): Pinpointing Workshops. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pinpointing-workshops/