Pinpointing Workshops

Der Workshop als Mikroparlament

„Ein Forscher käme nie auf den Gedanken, daß sein Untersuchungsplan für jedes beliebige Phänomen ein für allemal feststeht. (…) Unter dem Vorwand, daß die Menschen mit Sprache begabt sind, stellen sich die Politiker und viele Meinungsforscher, Soziologen, Journalisten und Statistiker vor, man könne über sie an ihrer Stelle sprechen, ohne sie je wirklich konsultiert zu haben, d. h.: ohne je die gewagte experimentelle Vorrichtung zu entdecken, durch die diese Menschen selbst ihre eigenen Probleme definieren können, anstatt bloß auf die gestellte Frage zu antworten.“ (Latour 2001: 217f.)star (* 3 )

Mit Latour können wir die Workshops als Form eines Mikroparlaments betrachten, ein Parlament für ein Ding/ein Thema, das mit dem Thema verbundene Sprecher_innen versammelt.

Versammeln, sprechen und entscheiden, um eine gute gemeinsame Welt zu schaffen, sollen diese Assoziationen von Menschen und nicht-menschlichen Wesen in Latours Modell eines Parlaments der Dinge, bestehend aus einem Zweikammersystem. Die erste Kammer soll dabei alle zu der Diskussion zu berücksichtigenden Propositionen versammeln, und für jede die geeignete Befragung finden, damit sie artikuliert wird, damit sie unter ihren eigenen Bedingungen ihre eigenen Probleme entfalten kann. Die zweite Kammer hat die Aufgabe des Ordnens, Hierarchisierens und Ausschließens, um über einen Prozess der Institutionalisierung, einer Szenarisierung, zu einer gemeinsamen Welt des Kollektivs zu gelangen, aus dem alle ausgeschlossen werden, die sich nicht in die Szenarisierung dieser gemeinsamen Welt einfügen ließen.

In diesem Text werden wir die experimentellen Anordnungen untersuchen, die in den Workshops von AG Arbeit und Well Connected vorgenommen wurden, um spezifische Sprecher_innen zu erzeugen und Themen zu artikulieren. Dabei konzentrieren wir uns auf bestimmte Aspekte der beiden Workshops: Während uns an der Praxis von AG Arbeit vor allem die Form der Erzeugung von Sprecher_innen interessiert, liegt der Fokus bei „Voicing Responsibility“ von Well Connected auf der Vermittlung an ein unbeteiligtes Publikum.

Partizipation und Dissens: Handlungsrahmen und Selbstermächtigung

Markus Miessen weist in „Albtraum Partizipation“star (* 2 ) darauf hin, dass gerade Partizipation aller ein Engagement verhindere und Verantwortung verschleiere. Die Teilnehmer_innen der Veranstaltungen von AG Arbeit und Well Connected partizipieren an der Diskussion, aber füllen dadurch den für sie eingeplanten Handlungsrahmen aus.

Lena: Gab es auch Situationen, in denen der Ablauf von den Teilnehmer_innen verändert wurde?

N. (Klasse Bewusstsein): Bei der „Fishbowl“-Methode gab es einen relativ starken Protest, die so durchzuführen, ansonsten kann ich mich nicht erinnern. Wir wären auf jeden Fall nicht abgeneigt für Vorschläge aus dem Publikum, da das Ganze ja darauf angelegt ist, dass die Leute etwas mit uns zusammen machen.

M. (Klasse Bewusstsein): Hinterher höchstens. Kritik, die aber in der Regel daraus speiste, dass es eine ungewohnte Rezeptionssituation war.

Während Markus Miessen kritisiert, dass eine (politische) Einladung zur Partizipation immer mit einer klaren Vorstellung darüber, wie man partizipieren soll verbunden ist, sind die Veranstalter_innen der Workshop-ähnlichen Veranstaltungen erfreut über Dissenz, eine Veränderung des von ihnen gesetzten Rahmens und damit eine Übernahme von Verantwortung. Hier scheint der „zweckfreie“ und experimentelle Raum der Kunst, der den Dialog in dieser Form möglich macht, eher Hindernis zu sein, denn die Regeln der von den Initiator_innen bzw. Organisator_innen aufgestellten Situation, die Hierarchien und Grenzen müssen von den Teilnehmer_innen erst in allen Konsequenzen erlebt werden, um dann wiederum in Frage gestellt und verändert werden zu können.

Welchen nicht eingeplanten Handlungsrahmen eignen sich die Teilnehmer_innen bei Voicing Responsibility durch das Auflösen der tradierten Parameter an?

Eine Tischgemeinschaft entschloss sich zusammen in den Hof umzuziehen, weil die Akustik des Kunstraumes dazu führt, dass schnell Lärm entsteht, wenn mehrere Menschen gleichzeitig reden. Im Grunde haben sie dadurch die – wenn auch nicht explizit ausgewiesen – vorgegebenen Regeln gebrochen und sich selbst ermächtigt die Strukturen zu verändern.

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Bennett, Tony (2010): Der bürgerliche Blick. in:  von Hantelmann, Dorothea/ Meister, Carolin (Hg.). Die Ausstellung. Politik eines Rituals. Zürich, Berlin: diaphanes.

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Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve-Verlag.

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Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge: Für eine Politische Ökologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Latour, Bruno (2005): Von der Realpolitik zur Dingpolitik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin: Merve.

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Schlieben, Katharina (2004): Dispositive Workshop. in: Lind, Maria (Hg.): Gesammelte Drucksachen. Spring 02 – Fall 04. Frankfurt a. M.: Revolver Verlag.

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Bhabha, Homi K. (1998): Conversational Art. In: Jacobs, Mary Jane/Brenson, Michael (Hrsg). Conversations at The Castle: Changing Audiences and Contemporary Art. Cambridge, Mass.: M.I.T. Pr.

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Doherty, Claire (Hg.) (2004): Contemporary Art: from studio to situation. London: Black Dog Publ.

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Bishop, Claire (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London; New York: Verso.

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Virno, Paolo/Neundlinger, Klaus (2008): Grammatik Der Multitude: Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect: Individuation bei Duns Scotus und Gilbert Simondon. Wien: Turia & Kant.

Seit Ende 2012 agieren sie nun unter dem Namen Klasse Bewusstsein. http://klasse-bewusstsein.de/

Auszug aus der Veranstaltungseinladung

Eine Reflexion über den Workshop „Arbeitslose als Avantgarde“ ist nachzulesen in: Buurman, Nanne (2009): „Picknick im Palmenhain“. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung Bd. 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich, Berlin: diaphanes.

Auszug aus der Veranstaltungseinladung – http://www.kdk-leipzig.de/well-connected.html

Lena Brüggemann ( 2013): Pinpointing Workshops. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pinpointing-workshops/