Pinpointing Workshops

4. Resümee

Der feine Unterschied: Der Workshop als Praxis im Feld der Kunst und der Workshop im Feld der postfordistischen Ökonomie

Die Suspendierung des „Zwecks“, die den Freiraum der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnet, führt zwar zu einer Offenheit der Teilnehmer_innen, aber während die virtuose Rede, die in der Diskussion eingeübt wird, im Zeitalter der Salons zum Ausgangspunkt für die Entstehung einer öffentlichen Meinung, einer bürgerlichen Öffentlichkeit mit neuen Werten wurde, wird sie im Postfordismus zum Bestandteil der Sphäre der Arbeit, und dadurch entpolitisiert. Die immaterielle, kooperative – also virtuose (vgl. Virno 2005)star (* 9 ) Arbeit erzeugt Räume, die strukturelle Ähnlichkeit mit der (politischen) Öffentlichkeit haben. Fähigkeiten, die zum Gebiet des politischen Handelns gehörten, werden zu Fähigkeiten, die im Bereich der Arbeit notwendig sind, und Kommunikation wird zu einem Produktionsmittel und zu einem Produkt. Und auch in den Workshops im Feld der Kunst wird dieser Konflikt nicht aufgelöst. Denn auch wenn bei AG Arbeit über kapitalismuskritische Themen gesprochen wird, werden im Workshop das Sprechen innerhalb einer Gruppe, Kooperation und Vernetzung sowie das gemeinsame Erzeugen von Wissen geübt – und damit Fertigkeiten des sozialen und politischen Handelns, die gleichzeitig die Chancen der Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Doch während im Feld der postfordistischen Ökonomie die Verantwortlichkeiten und Abhängigkeiten verschleiert werden, um durch die behauptete Gleichheit der Sprecher_innen die notwendige Voraussetzung für das Versprachlichen von Wissen für die Produktion von kollektivem (Firmen-)Wissen zu schaffen, werden die Hierarchien der Sprecher_innen bei den Workshops von AG Arbeit bewusst ins Blickfeld gerückt und immer wieder umverteilt. Die Strukturen der Situation werden so für die Teilnehmer_innen sichtbar und auf andere Felder – mitsamt den Handlungsoptionen – übertragbar.

Was bleibt: Potentiale und Herausforderungen des Workshops als Praxisfeld der Kunst

Jeder Gegenstand, jedes Thema versammelt ein spezifisches Publikum – ein Publikum, das bezogen ist auf den Gegenstand und auf die eine oder andere Weise mit ihm bereits verbunden ist. In den Worten Bruno Latours schafft die res (Gegenstand, Sache, Wesen) ein Publikum um sich (Vgl. Latour 2005: 13)star (* 4 ).

Der Begriff des Workshops, der Werkstatt, betont das Produzieren, das Konstruieren – ähnlich wie Latours Bild einer Baustelle. Die hier besprochenen Workshops lassen sich als Übungsfelder zu einer Artikulation von „unwissenden“, „behinderten“ Sprecher_innen beschreiben.

AG Arbeit konzentrieren sich bei ihrem Workshop „Klasse Bewusstsein!“ aus der Reihe „Absahnen“ auf die Einladung ähnlich auf das Thema Bezogener und versuchen, für diese und dieses die Voraussetzungen zu finden, um zu einer eigenen Artikulation von Problemen zu gelangen und diese im Kontext der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu betrachten. AG Arbeit schaffen es, eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen, ohne die eine Entfaltung der je eigenen Probleme nicht möglich wäre. Durch die verschiedenen experimentellen Methoden erzeugen sie eine Artikulation von „unwissenden“, „behinderten“ Sprecher_innen.

Diese Artikulation wird nicht nach außen getragen, nicht einem unbeteiligten Publikum vermittelt. Dadurch stellt sie auch keine Forderung, erstreitet sich keinen Platz in einer erweiterten öffentlichen Diskussion.

Well Connected haben bei „Voicing Responsibility“ eine große Bandbreite auf ein Thema bezogener Stimmen versammelt. Durch die Präsenz der eingeladenen Expert_innen, die unterschiedlich mit dem Thema verbunden sind, ergab sich ein Publikum, das weniger homogen zusammengesetzt war als bei dem Workshop „Klasse Bewusstsein!“ von AG Arbeit. Dafür erinnert die Diskussion der Teilnehmer_innen mit den Expert_innen an den Tischen eher an die distinguierte Atmosphäre des Salons. Die Sprecher_innen an den Tischen beschäftigen sich auf einer weit abstrakteren Ebene mit dem Thema der Veranstaltung als bei den Workshops von AG Arbeit. Die Artikulation in Form eines „behinderten“, subjektiven Sprechens wird in ihrem Workshop eher auf der Ebene der Bot_innen, mit der subjektive, ausschnitthaften Vermittlung der Gespräche an die unbeteiligten Hörer_innen des Radio-Livestreams, das Publikum zweiter Ordnung herausgestellt. Die komplexe Vielfalt von Stimmen wird im Prozess der Artikulation durch den subjektiven Bericht der Bot_innen und durch Nachfragen und Wiederholen von Begriffen durch die Radiomoderator_innen subjektiv hierarchisiert und nur wenige Begriffe werden für das Publikum zweiter Ordnung über die Zeit der Radioübertragung präsent gehalten. Dadurch werden eine Auswahl, ein Ausschluss und eine Ordnung geschaffen. Das in den Tischgesprächen entstehende kollektive Wissen wird in seiner Konstruktion, seinem Entstehungsprozess für das Publikum zweiter Ordnung erlebbar.

Die dialogische Versammlung von auf ein Thema bezogenen Sprecher_innen im Workshop hat das Potential, ein Übungsfeld für das Erlernen einer Virtuosität eines unwissenden –„behinderten“ – politischen Sprechens zu bilden, ein Übungsfeld für die Konstruktion eines Mikroparlaments der Dinge.

Der Alternativlosigkeit der Politik, die aus der Trennung in „sprechende“ Subjekte und in „stumme“ Tatsachen entsteht, können im „zweckfreien“ Feld der Kunst neue Artikulationen von Sprecher_innen, neue experimentelle Formen des Zum-Sprechen-Bringens entgegengesetzt werden. Ein Weiterleben der geschaffenen Artikulation über den Rahmen des Workshops hinaus als Initiation einer erweiterten öffentlichen Diskussion bleibt jedoch weiterhin eine Herausforderung.

 

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Bennett, Tony (2010): Der bürgerliche Blick. in:  von Hantelmann, Dorothea/ Meister, Carolin (Hg.). Die Ausstellung. Politik eines Rituals. Zürich, Berlin: diaphanes.

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Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Merve-Verlag.

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Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge: Für eine Politische Ökologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Latour, Bruno (2005): Von der Realpolitik zur Dingpolitik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin: Merve.

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Schlieben, Katharina (2004): Dispositive Workshop. in: Lind, Maria (Hg.): Gesammelte Drucksachen. Spring 02 – Fall 04. Frankfurt a. M.: Revolver Verlag.

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Bhabha, Homi K. (1998): Conversational Art. In: Jacobs, Mary Jane/Brenson, Michael (Hrsg). Conversations at The Castle: Changing Audiences and Contemporary Art. Cambridge, Mass.: M.I.T. Pr.

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Doherty, Claire (Hg.) (2004): Contemporary Art: from studio to situation. London: Black Dog Publ.

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Bishop, Claire (2012): Artificial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. London; New York: Verso.

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Virno, Paolo/Neundlinger, Klaus (2008): Grammatik Der Multitude: Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Mit einem Anhang: Die Engel und der General Intellect: Individuation bei Duns Scotus und Gilbert Simondon. Wien: Turia & Kant.

Seit Ende 2012 agieren sie nun unter dem Namen Klasse Bewusstsein. http://klasse-bewusstsein.de/

Auszug aus der Veranstaltungseinladung

Eine Reflexion über den Workshop „Arbeitslose als Avantgarde“ ist nachzulesen in: Buurman, Nanne (2009): „Picknick im Palmenhain“. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung Bd. 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich, Berlin: diaphanes.

Auszug aus der Veranstaltungseinladung – http://www.kdk-leipzig.de/well-connected.html

Lena Brüggemann ( 2013): Pinpointing Workshops. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/pinpointing-workshops/