Politischer Antirassismus und Kunstinterventionen

Interventionen im Kunst- und Kulturfeld

Intervenieren heißt in erster Linie, dass wir uns als Subjekte setzen, um bestimmte Wirksamkeit zu erzielen. Die Wirksamkeit von Interventionen ist verschieden – entsprechend dem gesellschaftlichen Feld, in dem wir uns befinden, und je nachdem woher und wohin wir intervenieren. Eine Intervention ist ein Eingriff in einen Zusammenhang. Eine Kunstintervention ist eine Intervention mit den Instrumenten und Techniken aus dem Kunstfeld.

Was wird nun im Kunst- und Kulturfeld unter politischem Antirassismus verstanden und wie kommen hierbei Interventionen ins Spiel? Ein Feld, so Pierre Bourdieu (2013)star (*1), ist ein gesellschaftlicher Bereich, in dem es autonome Gesetzgebung gibt, das in einem höheren Maße autoreflexiv ist und auf eine eigene Entwicklungsgeschichte zurückblickt, um sich eine eigene Perpetuierung in der Zukunft zu ermöglichen. Ein Feld entwickelt zum Beispiel seine eigenen Kapitalsorten, die in anderen Feldern nicht zwangsläufig eine Bedeutung haben müssen. Ein/e KünstlerIn gilt in einem Physikseminar nicht als zugehörig, weil er/sie als unwissend, vielleicht sogar als naiv wahrgenommen wird. Das Wissen, also das soziale oder kulturelle Kapital, das in einem Feld hoch angesehen ist, hat in anderen Feldern keinen entscheidenden Wert. Das Kunstfeld hat mit dem politischen Feld* 5 *( 5 ) Gemeinsamkeiten, denn beispielsweise gäbe es diese Felder nicht ohne die „Außenkomponente“ des Volkes und der BetrachterInnen; es existieren aber auch Differenzen: Skandal ist z. B. im politischen Feld etwas Verpöntes, während er im Kunstfeld nahezu zu einem Teil des künstlerischen Werdeganges von vielen geworden ist.

DIE Figur der KünstlerInnen ist „ver-rückt“, weil ihre Werke außergewöhnlich sein müssen – während diejenige der PolitikerInnen „mittelmäßig“ und diese Mittelmäßigkeit bewusst setzend und pflegend, also hinterlistig, sein müssen. Die Politik muss „verständlich“ sein, weil sie diejenige ist, die alle im Staat, also die, die sie gewählt haben, wie auch jene, die sie nicht gewählt haben, repräsentiert. Zumindest gibt sie vor, ihr Tun sei an alle gerichtet und von allen nachvollziehbar. KünstlerInnen sind „interessant“, PolitikerInnen „langweilig“ – so können ihre Tätigkeiten und Handlungen, überspitzt formuliert, beschrieben werden. KünstlerInnen trifft man gerne, man hat sie gerne im eigenen Bekanntenkreis, ohne an sie Forderungen zu stellen. PolitikerInnen kennt man, weil sie einem „etwas“ weiterhelfen können. KünstlerInnen sind VermittlerInnen zum Werk, das wirkt. PolitikerInnen sind Wunschmaschinen. Sie wirken und sollen wirken, unmittelbar als „unsere“ RepräsentantInnen in den Entscheidungsstrukturen eines repräsentativ demokratischen Staates. Zumindest sollte das so sein. Das ist die gängige Meinung.

Was passiert, wenn die Kunst darum bemüht wird, in das politische Feld zu intervenieren? Was passiert, wenn „fremde“ Menschen in ein Feld intervenieren? Fremd, weil sie per Definition nicht dazu gehören. Das politische Feld, besser diejenigen, die die Normalität des Feldes ausmachen, ignorieren sie. Wenn das nicht mehr möglich ist, dann werden sie verharmlost, und wenn auch das nicht mehr geht, dann werden sie vereinnahmt. Das sind die drei strategischen Vorgangsweisen, die das Verhalten der PolitikerInnen gegenüber KünstlerInnen beschreiben.

Einen wichtigen Teil des politischen Feldes macht die Kultur- und Kunstpolitik aus. Kultur und Kunst werden seitens der Verwaltung als wichtig erachtet, weil diese Felder zu einem Bedürfnis gehören, das sich teilweise mit dem politischen Bedürfnis der modernen Gesellschaften deckt. Welches Bedürfnis? Jenem nach dem Gestalten der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit, die Sphäre des Gemeinsamen und des Austausches zwischen beliebigen Individuen und Gruppen, ist eine prinzipielle Ebene innerhalb der bürgerlichen Gesellschaften. Diese wird durch die informationsvermittelnden und -schaffenden Einrichtungen, die „Medien“, hergestellt und durch Kunst- und KulturproduzentInnen immer wieder erneuert. Innerhalb der Öffentlichkeit, als Bestandteil der politischen Sphäre, tobt ein Richtungskampf. Es wird darum gekämpft, was gesagt und was nicht gesagt werden darf, wer das Sagen hat und wer zum Schweigen verurteilt ist, wer einen Namen hat, also erkennbar, markierbar und hörbar ist, und wer als namenlos zum Schicksal der Unübersichtlichkeit verurteilt ist. Es tobt ein Kampf um die Worte und den Diskurs, der nicht harmlos ist, weil er u.a. über die Zuteilung der materiellen Werte und Ressourcen entscheidet. Die Themenvorgabe, also das, worüber die Öffentlichkeit diskutiert und wer als diskussionswürdig anerkannt wird, sind wichtige Fragen.

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Bourdieu, Pierre (2013) Politik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

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Bourdieu, Pierre (1993) Sozialer Sinn. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

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Bratić, Ljubomir (2012) Politischer Antirassismus. Wien: Löcker

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GEMMI (2005) 1000 Jahre Haft, Wien, Eigenverlag. Verfügbar unter: http://no-racism.net/upload/424899865.pdf (18.01.2014)

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Marx, Karl (1962) Kapital. Band I. Berlin: Dietz. Verfügbar unter: http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_000.htm (20.01.2014)

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Moulier Boutang, Yann (2002) Nicht länger Reservearmee. Thesen zur Autonomie der Migration und zum notwendigen Ende des Regimes der Arbeitsmigration. In: subtropen / Jungle World Nr. 28, 5. Verfügbar unter: http://jungle-world.com/artikel/2002/14/24171.html (18.01.2014)

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Ranciére, Jacques (2002) Das Unvernehmen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

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Schroer, Markus (2006) Räume, Orte, Grenzen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Wallerstein, Immanuel (2002) Utopistik. Wien: Promedia

1964 wurde der Anwerbevertrag zwischen Österreich und der Türkei und 1966 zwischen Österreich und Jugoslawien unterzeichnet. Wie befinden uns im Jahr 2014, also in einem Jubiläumsjahr: 50 Jahre nach der offiziellen Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei. Allerdings scheint ein halbes Jahrhundert Migration nach Österreich für die offiziellen Stellen in Österreich nicht sehr inspirierend zu sein, um mit den üblichen Feierlichkeiten an das Jubiläum zu erinnern.

Praxis wird hier im Sinne von Bourdieus „Praxeologie“ (Bourdieu 2003) gedacht. Diese ist folglich unumkehrbar, dringlich und zeitlich bedingt. Sie erfolgt durch Leiblichkeit und sie ist distanzlos. Ein Beispiel aus der antirassistischen Praxis sind die Protestmaßnahmen gegen Abschiebungen oder die in Jahren 2000 und 2001 erfolgten Aktionen bei Gerichtsprozessen gegen 127 Personen, die während der „Aktion Spring“ (GEMMI 2005) verhaftet wurden.

Unter Politik wird hier die gesellschaftliche Ebene der Verwaltung, der Parteien und Interessensvertretungen, also alles das, was Jacques Ranciére (2002) Polizei nennt, verstanden.

Leider sind in den PDF-Versionen einige Sonderzeichen nicht richtig umgewandelt. Wir entschuldigen uns dafür!

Ljubomir Bratić ( 2014): Politischer Antirassismus und Kunstinterventionen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/politischer-antirassismus-und-kunstinterventionen/