„Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“

Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen

Du hast gerade gesagt, dass das Publikum dann diverser war als üblicherweise im Museum erwartbar. Haben die Drag-Touren neue Leute ins Museum gebracht?

Ich habe bei meinen Führungen prozentuell viel mehr sichtbar queere Menschen dabei. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass diese normalerweise Hemmungen hätten, ins Museum zu gehen. Ja, ich spreche eine gewisse Zielgruppe an. Bedeutet das aber gleichzeitig, dass ich Barrieren abbaue? Haben die eigentlich eine Barriere? Es gibt ja das entgegengesetzt lautende Klischee, dass queere Menschen ganz besonders kulturaffin seien. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Vielleicht kannst du mir da mehr darüber sagen.

Ich denke viel über Ein- und Ausschlussmechanismen nach, nicht nur in Museen, sondern in der Kunst- und Kulturproduktion prinzipiell. Ich halte etwa elitäre und heteronormative Repräsentation für ein Ausschlusskriterium. Ich überlege mir schon zehn Mal, ob ich in eines der großen öffentlichen Museum gehen soll oder nicht. Als ich von deinen Drag-Touren gehört habe, hat mich das interessiert. Ich weiß aber, dass es viele Bilder gibt, die eine Auslöschung von allem Queeren, allem Bäuerlichen und allem Arbeiterischen sind. Es ist auch ein sehr weißes Museum mit kolonialen Strukturen. Ja, queeren Leuten wird ein akademischer bzw. bildungsbürgerlicher Hintergrund und damit eine höhere Kunstaffinität zugesprochen. Das halte ich beides jedoch nicht für richtig: Vielleicht gibt es von diesen Leuten mehr Zahlen, aber solche Zahlen muss man kritisch sehen.

Wenn du das Gefühl hast, in etablierten öffentlichen Museen geht es um königlich-kaiserliche, elitäre, weiße, heteronormative Geschichten, dann pflichte ich dir bei. Ist dann deine Entscheidung nicht hinzugehen eine Barriere oder ist das deine Entscheidung, nein zu sagen? Ist es so eine Art Desinteresse oder ist das dasselbe?

Es gibt Normalisierungsstrukturen, die Leute im gesellschaftlichen Leben ausschließen und ihnen Rechte verweigern, aufgrund derer etwa queere Jugendliche und Kinder zu einem viel höheren Prozentsatz Suizid begehen als nicht-queere. Ein Museum, das Teil des gesellschaftlichen Systems ist, reproduziert diese Strukturen. Insofern ist es ein Ausschlussmechanismus. Natürlich gibt es Leute, die trotzdem hingehen. Bei einem Museum ist queer vielleicht weniger ein Ausschlussmechanismus als Klasse oder Ableismus.

Mir ist in meinem Denken und meiner Arbeit immer ganz wichtig, das Publikum nicht zu unterschätzen und nicht zu bevormunden.

Foto: Livie Stellner

Foto: Livie Stellner

Vielleicht reden wir von verschiedenen Ebenen. Du bist stark auf der individuellen Ebene und ich bin eigentlich auf der System-Ebene. Welches System ist das? Welche Rollen, Unterstützung oder Widerstände haben bestimmte Einrichtungen, die in der Gesellschaft auch als etwas Hochwertiges angesehen werden? Auf der individuellen Ebene kann ich mich entscheiden, aber diese Entscheidung hängt immer auch von weiteren Faktoren ab.

Da würde ich zustimmen. Systemisch gedacht sind das Ausschluss- oder Distanzmechanismen.

Hast du eine Idee, wer an deinen Projekten wenig bis gar nicht teilgenommen hat oder teilnehmen konnte? Wo produzierst du Ausschlüsse?

Das allergrößte Thema bei Drag-Führungen im Museum ist die Frage: Kann ich es mir leisten hinzugehen? Der Eintritt kostet 15 Euro. Anfangs gab es kein Führungsentgelt, später wurde ein Entgelt von 4 Euro pro Person eingeführt. Das heißt, man muss insgesamt 19 Euro berappen, um dabei sein zu können.

Zu Beginn war so ein großer Andrang, dass wir einen Onlinevorverkauf eingerichtet haben. Die Karten waren mehrere Wochen vor der eigentlichen Führung ausverkauft. Wer nur zufällig spontan kurz vorher davon hörte, hatte keine Möglichkeit mehr zu kommen.

Persson Perry Baumgartinger, Tiefe Kümmernis ( 2019): „Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“. Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/queering-the-museum-beinhaltet-eine-kritik-am-kapitalistischen-neoliberalismus-der-kulturindustrie/