„Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“

Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen

Da gibt es ja schon eine lange Diskussion über Kunst und Kultur für alle. Das ist eben da auch ein großer Kritikpunkt. Erstens von wem, zweitens für wen, wer ist überhaupt alle? Was haben die davon, die sich da reinkämpfen und dann eigentlich in unterschiedlichen Bereichen nicht viel zurückbekommen? Manche queere Community-Kulturorte wollen vielleicht auch gar nicht dorthin, weil sie entweder vereinnahmt oder die Inhalte verändert werden würden. Du hast ja als Kulturvermittler da noch relativ guten Spielraum, nehme ich an, da du deins ja durchführen konntest.

Wenn es aber dann darum geht, Dauermomente zu schaffen oder ein Werk in die Dauerausstellung reinzubringen, dann würden wahrscheinlich auch wieder bestimmte Kriterien wirken, die in einem gesellschaftlichen Diskriminierungssystem wirksam sind.

Klar, das muss dann brav und nett und akzeptabel sein.

Kannst du etwas zum Unterschied zwischen Wien und Salzburg sagen, in Bezug auf Queering the Museum oder Queering the Kulturarbeit oder the Vermittlungsarbeit?

Die ehemalige Leiterin der Vermittlungsabteilung vom Museum der Moderne hat mich 2018 auf eine Tagung eingeladen. Ich habe die Tagung dort als sehr engagiert wahrgenommen und mit Personen aus der Salzburger Kulturvermittlung gesprochen. Eine Frau vom Domquartier hat mich gefragt, ob ich meine Kümmernis-Führungen nach Salzburg zu ihnen ins Domquartier bringen könnte. Ich finde das grundsätzlich sehr interessant. Die Frage ist aber, wo man sich finanziell treffen kann, damit sich das lohnt. Ich bin ja als dauerhafter Kunstvermittler mit den Sammlungen des Museums, in dem ich arbeite, vertraut und kann diese Einarbeitungszeit schneller wieder auffangen. Da fällt auch keine Anreisezeit an. Sobald ich das in einer Stadt auswärts machen würde, ginge es auch um Dinge wie Übernachtung. Ich müsste die Sammlung kennenlernen, abklopfen und dann zu den ausgewählten Kunstwerken recherchieren, wenn sie kein gutes Archiv haben, wo die Artikel rausgezogen werden können. Das wird für die anbietende Institution teuer.

Was denkst du über digitale Möglichkeiten in Bezug auf kulturelle Teilhabe? Nützt du das?

Videos sind eine gute Möglichkeit. Eine Verbindung von Kunstwerken, Referenzabbildungen und einer Person, die das Ganze präsentiert, funktioniert in einem professionell geschnittenen Video großartig, fast besser als vor Ort im Museum. Es ist schon so, dass man am originalen Objekt mehr Dinge als an einem Druck beispielsweise erkennen kann. Da geht es aber hauptsächlich um Themen wie Wertschätzung des Originals, während es bei meinen queeren Museumsführungen eher um die dahinterstehende Geschichte geht. Ich lege bei meinen Drag-Führungen im Museum selten die Aufmerksamkeit auf die Gemachtheit des Originals oder auf die Restaurierungsgeschichte. Gerade in dem Bereich sehe ich eine große Chance, was Videos angeht. Ich finde auch großartig, dass die Videos im Internet kostenlos und jederzeit abrufbar sind. Mich haben schon Leute außerhalb Wiens angeschrieben, weil sie meine Museumsführungen so interessant finden, sie es aber leider nicht schaffen, zu diesem Zeitpunkt nach Wien zu kommen. Facebook, Instagram und ähnliche Social Media sind aber hauptsächlich PR-Tools. Man kann sich Dinge ins Bewusstsein rufen, aber als Partizipation würde ich das Lesen und Liken eines Instagramposts noch nicht bezeichnen.

Würdest du das Anschauen eines Videos als Partizipation sehen?

Ja, insofern, als eine Auseinandersetzung oder Aneignung von Inhalten stattfindet, die das Bildungsziel der Institution erfüllen. Gleichzeitig bringt es auch der Person etwas, die es sich aneignet. Es ist jedoch eine Monologsituation nach dem klassischen Sender-Empfänger-Modell, insofern ist es nicht partizipativ. Andererseits kann bei Museumsführungen, wenn die Leute körperlich da sind, auch ein Dialog zwischen ihnen und mir oder unter den Menschen entstehen. Das ist super, aber das wird gerade bei meinem Format nicht forciert. Da wäre ein Workshop oder ein offenes Gespräch viel geeigneter. Ich muss ja mehrere pro Tag machen, damit es sich lohnt. Da habe ich nach hinten hin nicht offen Zeit für persönliche Gespräche. Das ist dann gar nicht so anders als ein Video. In dem Moment, wo ich den partizipatorischen Aspekt des Videos in Frage stelle, muss ich konsequenterweise auch mein ganzes monologisches Führungsmodell und seine partizipatorischen Qualitäten in Frage stellen. Ich habe jetzt bei einer Ausstellung ein Kunstgespräch-Modell versucht, wo ich moderiere und offene Fragen stelle. Mit den Fragen soll schon klar sein, dass ich auf gewisse Themenkomplexe hinauswill. Anhand der Sachen, die zurückkommen, vertiefen wir das Gespräch. Es gibt ein paar Abzweigungen, die ich immer nehme. Ein Beispiel ist die Darstellung des heiligen Sebastian. Was ist an diesem Körper jetzt besonders männlich? Was besonders weiblich? Durch die Beiträge entstehen immer andere Gesprächsverläufe und unterschiedliche Meinungsbilder. Es ist ein relativ ungezwungenes Setting, man gibt etwas von seinen Gedanken, seinen Vorurteilen und seiner Meinung preis. Das finde ich ein schönes soziales Modell.

In vielen Museen werden Onlinekurse und Apps verwendet, die multimediale Führungen durchs Museum möglich machen. Die würde ich auch nicht als partizipatorisch bezeichnen. Das ist fast wie ein Audioguide oder eine monologische Führung. Auf Anhieb fällt mir in der Museumswelt wenig ein, was digital und partizipativ ist. Alle Museumsvermittlungsmethoden, die ich kenne und die partizipativ sind, sind analog, persönlich und personalintensiv. Das wurde zu Beginn der 80er Jahre hochgehalten. Es ist ein Heidenaufwand, es kostet Zeit und Geld, aber es lohnt sich auch.

Persson Perry Baumgartinger, Tiefe Kümmernis ( 2019): „Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“. Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/queering-the-museum-beinhaltet-eine-kritik-am-kapitalistischen-neoliberalismus-der-kulturindustrie/