„Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“

Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen

Gibt es Praxisbeispiele kultureller Teilhabe, die du besonders gut findest? Und welche, die du als gescheitert empfindest?

Leider fallen mir da momentan keine mit LGBTIQ-Bezug ein, die ich aus nächster Nähe miterlebt oder mitgestaltet habe. Ich durfte aber schon bei ein paar großartigen und bereichernden Projekten dabei sein. Ich habe zum Beispiel 2015 im Essl Museum ein Praktikum gemacht, als gerade in Klosterneuburg ein paar hundert Meter weiter die Überlaufeinrichtung von Traiskirchen eingerichtet wurde. Dort waren in einer ehemaligen Kaserne viele Leute untergebracht, die auf den Beginn des Asylverfahrens warteten. Die Vermittlungsabteilung des Essl Museums hat mit Caritas Kompa eine Kooperation gestartet: Es gab einmal in der Woche jeden Freitagnachmittag ein offenes Atelier für die Menschen aus dem Wohnheim und die Klosterneuburger Bevölkerung. Die Klosterneuburger_innen waren bereits in der Gruppe „Klosterneuburg hilft“ selbstorganisiert. Die haben schon alles Mögliche gemacht: Deutschkurse, Schwimmen, Fußballturniere. Das Museum hat sich da eingereiht. Es fand jeden Freitag bei freiem Eintritt statt. Das Atelier stand offen, wir haben Kaffee gemacht, die Klosterneuburger_innen haben Gebäck, Früchte und Ähnliches mitgebracht. Da gab es jedes Mal ganz unterschiedliche Bedürfnisse, weil jedes Mal unterschiedliche Leute kamen. Mal ging es stärker um den gemeinsamen Austausch, das gegenseitige Kennenlernen, mal ging es stärker darum, Deutsch zu lernen und ein Vokabeltraining zu machen. Mal ging es stärker um das gemeinsame künstlerisch-praktische Arbeiten, mal stärker um den Ausstellungsbesuch. Bei Bedarf hat man sich auch getrennt, wir waren ja mehrere Kunstvermittler_innen. Das war eine fantastische Sache, obwohl wir am Anfang heillos überfordert waren. Niemand von uns hatte einen Hintergrund in der Arbeit mit Geflüchteten. Niemand hatte einen sprachlichen Hintergrund. Wir mussten uns alle erst mal auf die Situation einlassen, Vorurteile abstreifen und nicht klassisch das Kunstworkshop-im-Museum-Programm abfahren. Das Essl Museum wollte das, sie haben den kostenlosen Eintritt und das Personal zur Verfügung gestellt. Ich würde sagen, das war Partizipation auf dem intensivsten Niveau. Das wird übrigens jetzt vom mumok unter dem neuen Titel Weltbilder fortgeführt.

Foto: Christoph Leithe-Jasper

Foto: Christoph Leithe-Jasper

In den Museen gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob man eigentlich ein sozialer Ort der Begegnung sein möchte. Es gibt Leute, die auf Tagungen weltweit vom Museum als kulturellem Forum sprechen und sagen, dass das die Zukunft ist. Oder ist das eigentlich schon die Gegenwart? Das muss man noch viel stärker ermöglichen. Dagegen gibt es Tendenzen, sich vor nichtzahlungskräftigen Gästen abzuschotten. Das ist natürlich wieder das leidige Thema Geld. Ich denke zum Beispiel an die Diskussionen in etablierten Museen, ob man erweitern und anbauen will und wenn ja, wo man eigentlich hinbauen will. Wo kommt dann die Kasse hin? Wo kommt man rein? Das Vermittlungsteam hat ein relativ hohes Bewusstsein für solche Themen, aber selbst dort gab es keinen Konsens darüber, dass es einen kostenlos öffentlich zugänglichen Ort im Museum geben muss, wo die Leute erst mal ankommen können, noch jausnen, bereits das Museums-WLAN nutzen können, wo man sich treffen kann und wo danach erst irgendwann die Bezahlschranke kommt. In vielen Museen ist es ja aktuell auch so, dass man, dass man bei der allerersten Außentür bereits die Kassen hat. Ein Foyer, wo jeder kostenlos reinkommt, gibt es gar nicht – im Gegensatz zu den englischen Nationalmuseen.

Das erinnert mich an die Wiener Stadtbibliothek. Da kannst du reingehen, du kannst lesen, trinken und sonstiges. Zeitungen gibt es immer für alle. Das war auch vor dem Neubau schon so. Da wurde auch niemand vertrieben, soweit ich das beurteilen kann.

Ich finde es wichtig, solche konsumfreien, öffentlichen Orte zu schaffen, wo es einerseits Bereiche gibt, wo jeder jederzeit rein kann und andererseits Bereiche, wo man sich vielleicht auch mit einem geführten, moderierten Programm wie Workshops zurückziehen kann. Das finde ich großartig. Da stehen österreichische Museen leider zu sehr unter dem Finanzdruck, seit sie in die Teilrechts- oder Vollrechtsfähigkeit entlassen wurden. Die Subventionen steigen ja nicht, auch nicht inflationsbedingt, sondern sie bleiben immer gleich. Ich sehe da leider keine Chance in den nächsten Jahren.

Persson Perry Baumgartinger, Tiefe Kümmernis ( 2019): „Queering the Museum beinhaltet eine Kritik am Neoliberalismus der Kulturindustrie.“. Die Tiefe Kümmernis im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über LGBTIQ+ und kulturelle Teilhabe in Museen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/queering-the-museum-beinhaltet-eine-kritik-am-kapitalistischen-neoliberalismus-der-kulturindustrie/