Das Projekt SISI: Ein „Spekulatives Institut für Soziale Interventionen“

Ihr habt euch im Rahmen des Projekts SISI dazu entschieden, den digitalen Raum für euch aufzumachen, bzw. ihn einzubeziehen. Wo, glaubt ihr, liegen Potenziale, wo Herausforderungen und Schwächen?

 

JPL: Es gibt zwei Aspekte, die ich in diesem Kontext erwähnen möchte. Das ist einerseits die fehlende Haptik. Die Wahrnehmung im digitalen Raum ist im Vergleich zum konkreten Raum – zum Stadtraum zum Beispiel – einfach eine andere, weil unser Körper und unsere Sinne ganz anders involviert sind. Aber das sind Prozesse, die wir mit zunehmender Digitalisierung lernen müssen. Der zweite Aspekt ist der der sozialen Praktiken. Ein Leben, beispielsweise in der Stadt, ist immer etwas Soziales. Wir sind soziale Wesen und auch die Art und Weise, wie wir miteinander interagieren und kommunizieren, ist ein sozialer Prozess. Die sozialen Praktiken, die wir in der Stadt oder auf dem Land schon gelernt haben und die wir immer wieder aufs Neue lernen müssen, weil wir neuen Menschen begegnen oder weil sich Strukturen ändern, müssen wir auch im digitalen Raum verstehen lernen. Ich glaube, daran müssen wir noch schwer arbeiten. Das war einer der Kernpunkte, weswegen wir bei SISI diesen Mechanismus entwickelt haben, dass die digitalen Räume nicht für sich selbst existieren können, die konkreten Räume aber auch nicht. Eigentlich ist es der Versuch einer Verbindung genau dieser beiden Aspekte, die ich gerade beschrieben habe. Ich finde es gegenwärtig, im Zuge der Corona-Pandemie, sehr spannend zu beobachten, ob wir diese sozialen Praktiken in dieser Zeit ein bisschen mehr verstehen lernen.

TM: Was mich an der Umsetzung und an der Verbindung des digitalen Raumes mit dem öffentlichen Raum gestört hat, ist der Umstand, dass die QR-Codes, die wir verwendeten, nicht funktionierten. Das war oder ist kein gutes Instrument. Man nutzt sie, man hat das Gefühl, dass im öffentlichen Raum so viele existieren, aber ich komme nicht auf die Idee, mir so einen QR-Code zu scannen. Wenn ich mir das vorstelle, auch für SISI, das im September vielleicht noch einmal stattfindet, möchte ich aus der gestalterischen Rolle heraus eher etwas Physisches im Raum haben, das mir ein Tor in die Digitalität im Raum eröffnet. Wie so eine kleine Inszenierung im öffentlichen Raum, wo ich wirklich sitze und in den digitalen Raum wechsle. Ich habe das Gefühl, dass so etwas den Zugang für Menschen erleichtern könnte, die ihn per se nicht haben. Das konnte ich während der Umsetzung von SISI in Wien konkret beobachten. Kinder kamen mit ihren Eltern vorbei, die schon Probleme damit hatten, überhaupt zu verstehen, wie sie in einen digitalen Raum hineinkommen und wie der Scan von QR-Codes funktioniert. Weil wir gerade über das Spielerische gesprochen haben: Ich denke mir, dass man das zukünftig noch mehr implementieren könnte.

Gibt es in eurem Projekt Bezüge, die zu den aktuellen gesellschaftlich relevanten Fragen Klimawandel bzw. nachhaltige Entwicklung passen?

 

TM: Ich glaube, nicht direkt. Es gab aber auf jeden Fall Situationen, die sich damit in Verbindung setzen lassen. An einem Abend haben wir einen Live-Stream gemacht. Wir haben Freund*innen bzw. eine Band, die ein Konzert in Nantes in Frankreich gespielt hat, gebeten, einen Live-Stream für uns zu starten, sodass wir es in Wien live miterleben konnten, obwohl die Band nicht vor Ort war. Das war sehr schön. Wir mussten keine Ressourcen aufwenden, dass sie hierher fliegen, fahren oder was auch immer und haben trotzdem ein Gefühl für ihre Musik bekommen. Das ist ein Punkt, der mir einfällt, wenn ich über das Reisen nachdenke.

JPL: Wie gesagt, war dieser direkte Bezug nicht gegeben, ich denke auch deshalb, weil nicht die Leute gekommen sind, die gesagt haben: „Das ist mein Thema.“ Das heißt aber nicht, dass es keine Relevanz hatte. Beim Begriff Nachhaltigkeit finde ich die soziale Komponente wichtig, also die soziale Nachhaltigkeit. Ich glaube, ohne das Ökologische kriegt man das nicht hin. Ich sehe aber ein Problem darin. Von der Bevölkerung wird aktuell viel gefordert. Die Leute gehen wieder auf die Straße, weil sie unzufrieden damit sind, wie mit dem Klima und mit den Ressourcen umgegangen wird. Die Politik kann aber nicht im Alleingang von oben herab Entscheidungen treffen. Jemand muss zwischen den Parteien vermitteln. Das meine ich mit sozialer Nachhaltigkeit. Über alles, was im Stadtraum passiert, muss viel mit den Leuten gesprochen werden. Die Leute müssen involviert werden, sodass auch eine Stadtgemeinschaft entstehen kann, die mit den Ressourcen verantwortlich umgeht. Das Ziel sollte sein, dass es gar keine harten Einschränkungen oder sogenannte Verbotsgesetze von Seiten der Politik braucht.

TM: Was aber auch ein großer Punkt ist, ist das Stadtplanerische und das Infrastrukturelle, die Stadtstruktur. In Wien ist es so, dass jedes Grätzel eine eigene Wirtschaft und Infrastruktur hat. Natürlich geht es da auch um das Thema Leerstand. Was kann ich dort tun? Was kann ich meinem Grätzel zurückgeben? Was kann dort passieren, damit ich die Leute dazu bringe, in meinen kleinen Einzelhandelsladen zu kommen und lokale Dinge zu konsumieren, statt online einzukaufen? Es gibt das große Projekt Franz-Josefs-Bahnhof im 9. Bezirk, wo das Vienna Design Festival stattgefunden hat und wo die Hauptzentrale war. Dort soll ein riesengroßes Bauprojekt umgesetzt, ein Einkaufszentrum gebaut werden, in das neue Gebäude sollen Büros hineinkommen. Es wird angedacht, öffentliche Plätze auf Dachterrassen zu errichten. Das schließt bestimmte soziale Gruppen aus, weil genau um den Bahnhof herum Gruppen existent sind, die zum Beispiel in weniger gut angesehenen Schichten der Gesellschaft zu Hause sind. Das ist immer ein bisschen schwierig. Wir haben natürlich versucht, das anzusprechen und die Leute ein bisschen zu triggern, um zu fragen, was sie denn eigentlich davon halten. In anderen Gesprächen sind wir oft mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel in Berührung gekommen. Da scheint es viel Redebedarf zu geben.