Die Stiftung FUTURZWEI: „Wie wollen wir gelebt haben?“

Geschichten zum Gelingen eines sozial-ökologischen Wandels

Elke Zobl und Timna Pachner im Gespräch mit Dana Giesecke von FUTURZWEI

Interview am 08.06.2020

Die Stiftung für Zukunftsfähigkeit FUTURZWEI beschäftigt sich mit Zukunftsthemen und versucht, Zukunft aus einem ermutigenden und optimistischen Blickwinkel zu betrachten. Gründungsmitglied Dana Giesecke spricht im Interview mit Timna Pachner und Elke Zobl unter anderem über Geschichten des Gelingens, über den Rat für digitale Ökologie oder darüber, wie schwer es eigentlich ist, über Zukunft nachzudenken und diese Gedanken zu verbalisieren.


Könnten Sie uns kurz erzählen, worum es sich bei FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit handelt?

Die Stiftung FUTURZWEI wird bald zehn Jahre alt, ist sozusagen schon ein alter Hase auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitskommunikation. FUTURZWEI ist ursprünglich entstanden, weil Harald Welzer und ich festgestellt haben, dass über bestimmte ökologische und ökologisch-gesellschaftliche Krisen oder soziale Missstände meist negativ gesprochen wird. Entweder wird mit wissenschaftlichen Daten und Grafiken oder mit Horrorszenarien argumentiert, die einfach nur Angst hervorrufen. Deshalb beschlossen wir, uns auf die Suche nach einem neuen Narrativ zu machen; nach einer positiven Erzählung darüber, wie man Gesellschaft ökologisch und sozial nachhaltig gestalten kann. Wir hatten vorher schon beobachtet, dass es in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen durchaus Handlungspraxen gab, die ganz anders als das wachstums- und profitorientierte, umwelt- und menschenzerstörende ‚Business as usual‘ funktionierten und erfolgreich waren. Doch leider gelangen diese Praxen nur in kulturellen Nischen und in kleinen und experimentellen Räumen. Wir suchten daher die gesellschaftlichen Akteur*innen auf, die solche Handlungspraxen verfolgten, und befragten sie. Basierend darauf fingen wir an, kleine, ‚handliche‘ Geschichten darüber zu erzählen, die wir Geschichten des Gelingens nannten. Sie kamen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – es geht um Landwirtschaft, Mobilität, Konsum, um das Reisen, um ein anderes Wirtschaften, um minimalistische Lebensweisen oder Lebensstile, alles Mögliche eben. Diese kleinen Geschichten streuten wir dann in Kooperation mit etablierten Medien in die Zivilgesellschaft, in der Hoffnung, dass sie weitererzählt werden würden. Das war der Trick dabei. Storytelling und konstruktiver Journalismus sind mittlerweile zwar nicht mehr neu, aber damals war das durchaus noch ungewöhnlich. Deshalb war FUTURZWEI, obwohl wir so klein sind, Pionierin in dieser Sparte der Kommunikation.

 

Sie haben gerade erzählt, wie die Arbeit an FUTURZWEI begonnen hat. Wie hat es sich weiterentwickelt? Sehen Sie eine Entwicklung in eine andere Richtung, oder sind die Geschichten des Gelingens die Basis geblieben, mit der gearbeitet wird?

 

Thematisch begannen wir mit dem Klimawandel; also mit Geschichten, die ein alternatives Handeln innerhalb des Kontextes Klimawandel erzählen. Uns wurde aber ziemlich schnell klar, dass sich auch positive Geschichten über eine andere, bessere und coolere Gesellschaft erzählen lassen, selbst unter der Annahme, es gäbe gar keine ökologische Krise. Nach drei Jahren hatten wir dann ungefähr 300 Geschichten im deutschsprachigen Raum gesammelt. Durch eine Kooperation mit dem Goethe-Institut expandierten wir daraufhin ins Ausland. Wir machten uns auf die Suche nach Geschichten des Gelingens aus Ländern, die weniger frühindustrialisiert als Deutschland oder Europa im Allgemeinen sind. Nach drei Jahren erlebten wir eine institutionelle Veränderung in der Stiftung. Bis dahin waren wir komplett privat gefördert. Dann versuchten wir, selbstständig zu werden. Wir stellten Förderanträge und fanden schließlich eine Finanzierungsmöglichkeit, die sowohl öffentliche Förderprojekte als auch private Spender*innen und Zustiftungen zulässt. Durch die Beantragung von Fördermitteln erweiterte sich unser Portfolio etwas. Wir kamen von den Geschichten des Gelingens, die sehr eindimensional waren, ein bisschen weg. Die Geschichten waren in ihrem Format immer gleich: Es waren typische Erfolgsstorys. Jemand ist auf eine gute Idee gekommen, hat den ersten Schritt gemacht, hat den zweiten Schritt gemacht, ist dadurch erfolgreich geworden und hat Selbstwirksamkeit erfahren. Die Geschichten endeten meist mit einem Blick in die Zukunft. Infolge unserer institutionellen Veränderung versuchten wir, diese Geschichten in anderen, weniger eindimensionalen Formaten zu erzählen. Es wurden zum Beispiel Comics, Filme oder Lieder produziert. Die Erweiterung unseres Repertoires geschah zusammen mit jungen Medienschaffenden und Journalist*innen – in der Hoffnung, dass diese Art des Erzählens und des Narrativs in alteingesessene und etablierte Medienhäuser und Verlage transportiert werden würde.

Wie groß ist FUTURZWEI?

 

Zuerst waren wir nur zu zweit, Harald Welzer und ich. Wir hatten die Idee und wir bauten die Stiftung gemeinsam auf. Unterstützt hat uns am Anfang ein privates Stifterehepaar. Im Laufe der Zeit hat sich das Personal verändert. Derzeit sind wir fünf Festangestellte und eine Praktikantin. Wir haben noch freie Mitarbeiter*innen und kleine Satelliten. Wir nennen sie liebevoll ‚Satelliten‘, aber es sind junge Engagierte, die uns aus anderen Städten zuarbeiten. Meist ehrenamtlich. Wir sind so froh und dankbar darüber. So kommt es auch, dass wir in der Außenwirkung größer erscheinen, als wir tatsächlich sind.

Seit zwei Jahren geben wir zusammen mit der taz ein Printmagazin heraus, das sich thematisch mit Zukunft und Politik auseinandersetzt. Es war immer ein Traum von uns, ein eigenes Medium zu haben. Deshalb war es wirklich ein Glücksfall, dass wir diese Kooperationsmöglichkeit gefunden haben, denn die gesamte Logistik und den Vertrieb einer Zeitschrift hätten wir alleine nicht geschafft. Das Magazin erscheint vierteljährlich in einer Auflage von rund 20.000 Exemplaren. Das ist eine Reichweite, über die wir uns sehr freuen.

Ein weiteres Thema, mit dem wir uns mittlerweile beschäftigen, ist das der Digitalisierung. Wir hätten uns niemals gedacht, dass das unser Beritt ist, weil bei FUTURZWEI eigentlich nicht technische Lösungen, sondern das menschliche Handeln im Mittelpunkt stehen. Es ging uns immer um Verhaltensveränderungen. Jetzt widmen wir uns sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf journalistischer Ebene aber auch diesem Themenbereich. Das hat den Grund, dass wir festgestellt haben, dass Digitalisierung in den letzten Jahren in bestimmten Sektoren sehr euphorisch begrüßt und bejubelt wird. Aber Interdependenzen werden zu wenig diskutiert. Damit meine ich gegenseitige Beeinflussungen von gesellschaftlichen Bereichen des Sozialen und des Miteinanders, aber auch die Fragen darüber, was es bei uns als Menschen auslöst, dass immer mehr digitalisiert wird. Es wird auch zu wenig darüber diskutiert, ob wir in Zukunft wirklich alles smart und durchdigitalisiert haben wollen. Wo bleibt eigentlich der gesellschaftliche Diskurs darüber, außerhalb von Interessensgruppen, Hersteller*innen oder Leuten, die an der Digitalisierung verdienen?

 

In meiner Recherche bin ich auf den Rat für digitale Ökologie gestoßen, der sich mit solchen Fragen beschäftigt. Können Sie zu diesem Rat mehr erzählen?

 

Der Rat für digitale Ökologie hat sich vor ungefähr eineinhalb Jahren gegründet und ist ein Think Tank – tatsächlich nur ‚think‘, kein ‚do‘. Der Rat oder Beirat setzt sich aus Expert*innen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zusammen, zum Beispiel sind ein Menschenrechtler, ein Informatiker, ein Ökonom, Sozialwissenschaftlerinnen, eine Netzpolitikerin und eine Politikberaterin dabei. Es ist also ein sehr divers zusammengesetzter Rat, der sich regelmäßig trifft und dezidiert versucht, den gesellschaftlichen und medialen Diskurs dahingehend zu beeinflussen, dass Digitalisierung auch anders diskutiert wird. Das ist der eine Teil dieses Projekts. Im zweiten Teil ist jetzt geplant, einen Jungen-Rat der nächsten Generation zu gründen, weil im Rat für digitale Ökologie tatsächlich ganz schön alte Zöpfe sitzen. Das meine ich natürlich mit einem liebevollen Augenzwinkern. Die junge Generation, und zwar die ganz junge, also nur bis 30, soll einen ähnlichen Kreis bilden, in dem Digitalisierung im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen diskutiert wird. In einem weiteren Teil dieses Digitalisierungsprojektes gehen wir forschend vor. Wir initiieren derzeit Diskussionen in unterschiedlichen Kontexten, meistens aber in Arbeitskontexten und bringen potenzielle Diskussionspartner*innen zusammen. Beispielsweise gehen wir in ein Sanatorium und initiieren eine Diskussion zwischen Pflegepersonal, Ärzt*innenschaft, Angehörigen und Kranken: etwa darüber, was die Einführung eines bestimmten digitalen Elements für alle gemeinsam bedeuten wird. In solchen Diskussionen treffen ganz unterschiedliche Perspektiven aufeinander. Die Ergebnisse werten wir dann sozialwissenschaftlich aus.

Wenn es um die Vermittlung von diesem Wissen und das Weitergeben von Erfahrungen geht, was bedeutet dann Vermittlung für Sie?

 

FUTURZWEI würde nie sagen, dass es vermittelt. Wir haben immer gesagt: „Wir schießen etwas los. Wir werfen etwas in die Zivilgesellschaft und wenn es jemand aufnimmt und sich dafür interessiert, dann ist es sehr gut und wir freuen uns darüber. Wenn jemand andere Personen ansteckt, ist es noch besser.“ Dazu kann ich schöne Anekdoten aus der Vergangenheit erzählen. Zum Beispiel, als wir FUTURZWEI gegründet und eine Agentur gesucht haben, die unsere Außenwirkung, also unsere Website etc. gestaltet, wurden wir immer gefragt, wer denn unsere Zielgruppe sei. Wir haben gesagt: „Die Zivilgesellschaft. Alle.“ Damit konnten die Agenturen überhaupt nichts anfangen. Das hat sich aber bewahrheitet. Die kleinen Geschichten des Gelingens sind so vielfältig, dass jede*r eine Lieblingsgeschichte finden und von dieser begeistert und mitgerissen werden kann.

Auch entwickelten wir anfangs eine eher widerspenstige Website, wo man sich ‚langhaken‘ musste. Wir bekamen deshalb ganz böse Anrufe. Leute sagten: „Das kann ja nicht sein! Ich möchte an Informationen heran! Sie haben doch die öffentliche Bildung als Auftrag!“ Wir haben dann gesagt: „Ja, aber gesellschaftliche Veränderung gibt es nicht so einfach wie im Selbstbedienungsladen. Sie ist anstrengend. Sie kostet etwas. Sie müssen sich mit unseren Inhalten beschäftigen und das, was wir zu sagen haben, auch wirklich wissen wollen.“

Deswegen würde ich sagen, dass wir eine andere Perspektive auf Vermittlung haben. Auch dieses ‚auf Augenhöhe‘ oder so etwas würden wir gar nicht sagen. Wir freuen uns, wenn wir wahrgenommen und wenn unsere Inhalte rezipiert werden. Und das werden sie. Das lassen wir dann so stehen. Wir machen verdeckte Vermittlungsarbeit (lacht).

 

Undercover (lacht). Vielleicht noch einmal zurück zur inhaltlichen Ebene. Vor dem Hintergrund der Krise rund um die Corona-Pandemie inklusive Lockdown ist es speziell spannend, wie die Themen des Klimawandels und der nachhaltigen Entwicklung aufgenommen werden. Sehen Sie verstärktes Interesse an diesen Fragen? Sehen Sie die Chance, dass man danach möglicherweise nicht zurück zu ‚Business as usual‘ geht?

 

Das ist eine spannende Frage. Was an mich herangetragen wird, ist einerseits eine große Freude und auch ein Erstaunen darüber, dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass eine auf permanente Aktion fokussierte Gesellschaft plötzlich stillsteht und in einen tiefen Schlaf fällt. Das haben alle schlicht für komplett unmöglich gehalten. Darüber, dass Fabriken stillstehen, waren alle erstmal geschockt. Dann kam die zweite Phase, in der überlegt wurde, wie die Zeit genutzt werden kann, um Veränderungspotenziale für die Zukunft zu erkennen. Das könnte nun der große Moment von FUTURZWEI sein, in dem viele unserer Geschichten, die vielleicht schon vergraben oder verschüttet worden sind, eine Renaissance erleben könnten. Das wäre unsere große Hoffnung. Gleichzeitig haben wir aber große Angst vor vielen anderen Entwicklungen, die mit der Pandemie einhergehen. Vorgestern wurde zum Beispiel das neue Konjunkturpaket vorgestellt, das als erneuter Aufruf gesehen werden kann, weiter und mehr zu konsumieren. Die Wirtschaftsförderung infolge der Corona-Krise ist darüber hinaus so groß, dass die nächsten Generationen die Schulden abtragen oder das Defizit abarbeiten werden müssen, ohne jemals dazu die Zustimmung gegeben zu haben oder überhaupt gefragt worden zu sein. Und das, obwohl es Fridays for Future gibt, die genau dieses Problem öffentlich wirksam thematisieren. Wir wissen noch nicht genau, wohin die Reise gehen wird. Aber wir sind ja die Agentur für gute Laune. Das heißt, unsere Bedenken kommunizieren wir nicht wirklich. Berufsoptimistin (lacht).

Gutes Motto. Gefällt mir. Aber die Motivation muss man auch halten. Bei allem Optimismus und bei der Freude am Tun wird uns im Rahmen unseres Projektes immer wieder auch die Drastik des Themas und die Dringlichkeit, jetzt etwas zu tun, klar. Dass man eine positive Sichtweise behält und angesichts der Größe und Dimension des Ganzen auch noch etwas tut, ohne in eine Stockstarre zu verfallen, ist gar nicht einfach. Ich finde, FUTURZWEI zeigt da Lichtblicke auf, kann motivieren und Ideen anregen Die FUTURZWEI-Geschichten sind oft auch lustig.

Genau, wir versuchen in unseren Geschichten so gut wie nie über die große Öko-Krise zu sprechen. Es kommt auch kaum Nachhaltigkeitsvokabular wie Resilienz oder erneuerbare Energien vor. Nachhaltiges soziales Handeln hat neben der offensichtlichen Auswirkung, der Vermeidung der Öko-Krise, auch noch ganz andere ‚Nebenwirkungen‘. Das sind Gefühle von Gemeinsamkeit, von Solidarität, von einem besseren Leben, von mehr Zeit oder mehr Entspanntheit. Es gibt ganz viele Aspekte. Wir versuchen immer, besonders diese Dinge herauszustellen und dringlich zu machen. Auch, um tatsächlich Angst zu nehmen und zu sagen: „Hey, versuche es doch auch mal! Mach mal einen ersten Schritt!“ Der erste Schritt ist noch schwer. Der zweite ist schon einfacher. Irgendwann ist man dann gar nicht mehr mit zwei Schritten zufrieden. Dann will man unbedingt weitermachen.

Ganz ehrlich, wir funktionieren intern auch so: Einen ‚großen Masterplan‘ haben wir bei FUTURZWEI auch nicht. Auch wir experimentieren, probieren aus und wagen Neues. Das betrifft die unterschiedlichen Formen und Formaten, mit denen kommunizieren, aber auch die Inhalte. Ob wir was machen wollen, entscheiden wir im Team diskursiv. Das hat bisher gut funktioniert.

Einzig die Geschichten des Gelingens wurden von Anfang an erzählt und werden es noch wohl auch noch weiterhin. Dann gab es den Almanach, unsere Buchreihe im S. Fischer Verlag. Der Almanach war ein Buchformat und gleichzeitig auch ein hybrides Produkt. Am Anfang jedes herausgegebenen Almanachs standen unsere Best-of-Geschichten, dann gab es einen Schwerpunkt, dann wurde durch Infografiken gebrochen und am Ende waren meistens noch Zukunftsszenarien enthalten. Man weiß gar nicht, ob man ein Sachbuch vor sich hatte, ein Märchenbuch, oder was das eigentlich überhaupt war. Das war tatsächlich auch so beabsichtigt. Auch die Ausstellung, die wir im vergangenen Jahr gemacht haben, ist konzeptionell entstanden und kuratiert worden – also auch ein entwickeltes Format. Für unser Online-Magazin war von vornherein geplant, dass wir mehrere Formate veröffentlichen. Es war aber nicht festgelegt, in welchem Umfang dies geschehen sollte. Das Online-Magazin ist ein bunter Teller von allem und lässt viel Freiraum. Vor allen Dingen soll es auch eine Plattform für junge, kreative Personen und Medienschaffende sein, die einfach mitmachen, sich ausprobieren oder experimentieren wollen. Es kommt auch vor, dass sie woanders keine Möglichkeit haben, zu veröffentlichen und sich deshalb an den mittlerweile sehr großen Freundeskreis und an die Fangemeinde von FUTURZWEI wenden.

Alles andere, worin wir uns ausprobiert haben, etwa Film, Audio oder Illustration, ist uns immer durch Menschen zugetragen worden, die wir kennengelernt haben. Es gab immer Leute, die sich an FUTURZWEI gewandt und gesagt haben: „Ich möchte auch gerne Teil davon werden. Was kann ich tun? Wollen wir nicht zusammen etwas entwickeln?“

Wir arbeiten selbst viel mit Ausstellungen, deswegen interessiert uns dieses Format besonders. Könnten Sie darüber noch ein wenig erzählen?

Ja, gerne. Die Entwicklungsgeschichte der Ausstellung ist etwas komplexer und deswegen muss ich ein wenig ausholen. Sie war eigentlich der zweite Teil eines umfangreichen Forschungsprojektes. Dieses Forschungsprojekt hieß Zukunftsbilder der Nachhaltigkeit. FUTURZWEI ging bundesweit auf Reisen und besuchte junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 27 Jahren, um mit ihnen Gruppendiskussionen durchzuführen. Es waren sehr unterschiedliche Jugendgruppen, die aber in ihrer natürlichen Zusammensetzung interviewt wurden. Zum Beispiel sprachen wir mit einer jungen Theatergruppe, mit Pfadfinder*innen oder dem Schützenverein. Wir führten mit ihnen Gruppendiskussionen durch, in denen wir an die Teilnehmer*innen einfach nur die Frage stellten: „Wenn die Zukunft besser werden soll als das Heute, wie sähe sie dann aus?“ Ursprünglich entstand dieses Forschungsprojekt aus der Idee, positive Zukunftsbilder zu suchen. Wir müssen ja wissen, wohin wir uns entwickeln wollen. Wie sieht eine bessere Gesellschaft oder die nächste Gesellschaft aus? Über diese Fragen sollten doch wohl die jungen Leute am besten Bescheid wissen, die die meiste Zukunft vor sich haben. – So unser Ausgangsgedanke. Wir ließen also alle ziemlich frei diskutieren und hofften, daraus ganz irre Utopien ziehen zu können. Wir wollten die Gespräche auswerten und die Ergebnisse nicht in einem Forschungsbericht veröffentlichen, sondern sie umsetzen. Zum Beispiel im Rahmen einer künstlerischen Ausstellung oder als große Oper. Wir wussten im Vorfeld noch nicht genau, was daraus werden würde, aber wir wollten die Ergebnisse begreifbar machen und visualisieren. Letztendlich ist rein als Ergebnis dieser Gruppendiskussionen nichts Großartiges herausgekommen. Wir haben festgestellt, dass die jungen Erwachsenen eigentlich genau jene Zukunftsbilder wiederholten, die ihnen täglich vorgegeben werden. Selbstfahrende Autos, fliegende Taxen oder begrünte Häuserfassaden. Das kam alles, aber nicht wirklich etwas Neues, Unkonventionelles, Verrücktes. Hin und wieder blinkte mal die Idee einer Weltengemeinschaft auf oder irgendwelche neue Formen des Sozialen, aber nicht genug, um daraus tatsächlich ein begreifbares Zukunftsbild zu machen.

Deshalb gingen wir schließlich anders an das Material heran. Wir stellten uns die Frage, woran es liegt, dass es für junge Leute so schwierig ist, eigene Fantasien zu entwickeln, Zukunftsbilder zu entwerfen, darüber zu sprechen und das anderen mitzuteilen. Über diese Herangehensweise entdeckten wir unterschiedliche kommunikative Muster. Wir stellten fest, dass die jungen Leute sich gegenseitig immer wieder auf den Boden der Realität gezogen hatten, dass sie sehr stark an den Krisen und an dem Nicht-Machbaren hängengeblieben waren, anstatt über das Vielleicht-Machbare zu sprechen. Es wurde uns klar, dass es für die jungen Leute überhaupt keine Möglichkeit gibt, frei über Zukunft nachzudenken. Es gibt keinen sozialen Raum, in dem man frei von Normen und Herrschaft über Zukunft reden darf. Deswegen gingen wir dazu über, eine Ausstellung zu konzipieren, in der wir zeigen wollten, wie offen Zukunft eigentlich ist. Dass Zukunft gestaltbar ist und dass man darüber reden und demokratisch streiten kann. Dass es nicht nur eine Zukunft, sondern viele Zukünfte gibt. Wir versuchten, diese Idee mittels unterschiedlicher künstlerischer Positionen und zu unterschiedlichen Themenbereichen darzustellen.

 

Gab es im Rahmen der Ausstellung dann eine künstlerische Arbeit, in der das Material der Gruppendiskussionen aufgegriffen wurde?

 

Die einzige ausgestellte Arbeit, in der ein Künstler tatsächlich mit dem Material aus dem Forschungsprojekt gearbeitet hat, war Hörweg in einem Handlungsraum. Der österreichische Künstler Christoph Mayer griff hier Gesprächsmitschnitte auf und machte daraus eine Montage und einen Hörweg. Er versuchte damit, die Zukunft und die Offenheit der Möglichkeiten am ganzen Körper erfahrbar zu machen. Darüber hinaus hatten wir fotografische Arbeiten, eine Videoinstallation und ein partizipatives Kunstwerk, das sich mit dem Thema Pflanzenretten beschäftigte. Im Zuge dessen installierten wir eine Pflanzenklappe, bei der – ähnlich einer Babyklappe – anonym ungeliebte Zimmerpflanzen abgegeben und in Obhut werden konnten. Wir hatten auch ein altes Futtersilo auf dem Hof stehen, das nun als Teehaus, also als Treffpunkt im urbanen Raum, fungierte. Es gab eine Fahrradrikscha, auch ein Upcyclingobjekt, aus einem Müllcontainer. Es gab auch einen Übungsraum, wo man sich im Debattieren und Kritisieren üben konnte. Denn wer etwas verändern will, muss erstmal den Status Quo kritisieren oder einschätzen können. Das war eine tolle Ausstellung. Und wir haben noch ein Veranstaltungsprogramm dazu gemacht.

 

Mit Workshops und Gesprächen?

 

Genau. Wir führten erneut Zukunftsgespräche, mit Schüler*innengruppen aus nahen Schulen. Einfach, um die Möglichkeit zu geben, über Zukunft zu sprechen. Denn auch wenn bei den Gruppendiskussionen nicht das herausgekommen ist, was wir uns vielleicht erhofft hatten, erzählten die jungen Leute im Nachhinein immer begeistert davon, wie frei, froh und glücklich sie sich danach gefühlt hätten. Deshalb haben wir diese Gespräche fortgeführt. Einfach, um zu ermöglichen: „Ihr könnt mal darüber nachdenken, wer ihr gewesen sein wollt.“ – Um es im Futur II zu sagen.

Wird die Ausstellung weiterentwickelt? Oder verbleibt sie jetzt einfach mal in diesem Stadium?

 

Also diese Ausstellung existiert in ihrer Konzeption. Es gibt einige Arbeiten, die uns wieder zur Verfügung stehen. Es gibt aber Objekte wie dieses Silo, das dann tatsächlich Raum und auch Transportgeld benötigt. Aber die Ausstellung ist so modular aufgebaut, dass man sie auch nur in Teilen und auf den jeweiligen Kontext und die jeweiligen Möglichkeiten abgestimmt zeigen kann.

Mich würde noch interessieren, wie Sie zu den Menschen kommen, deren Projekte Sie in Ihren Geschichten beschreiben. Und wie Sie grundsätzlich zu Ihren Kooperationspartner*innen kommen. Treten Sie an die Menschen, Vereine, Initiativen etc. heran und finden Anbindungen? Oder gibt es engagierte Medienschaffende, die an Sie herantreten? Oder haben Sie ein Netzwerk, wo das über sieben Ecken funktioniert?

 

Wir haben über die Jahre hindurch ein sehr großes Netzwerk aufgebaut und deswegen immer wieder Selbstbewerbungen oder Hinweise. Bei den Geschichten des Gelingens beispielsweise suchten wir am Anfang selbst mühsam danach und fragten uns durch. Nach sehr kurzer Zeit flatterten dann aber schon die ersten Selbstbewerbungen herein: „Hey, wir machen etwas Gutes!“ Viele Leute wenden sich auch an uns und sagen: „Bei uns in der Gemeinde gibt es einen sehr tollen Verein. Da denke ich jedes Mal an FUTURZWEI.“ Dann sehen wir uns das genauer an. Wir haben mittlerweile eine ‚geheime‘ Datenbank von Projekten, über die es zwar noch keine Geschichten gibt, in die wir aber manchmal bestimmte Leute hineinschauen lassen, Journalist*innen oder Wissenschaftler*innen zum Beispiel. Die Projekte in dieser Datenbank sind nach Themen getaggt. Zum Beispiel Ressourcen, Sparsamkeit, Müllvermeidung, Ernährung oder Mobilität. Es gibt auch eine Karte dazu. Man kann direkt einen Ort suchen und schauen, was es dort gibt. Das ist ein großer Schatz, den wir uns über die Jahre hindurch aufgebaut haben. Wir schaffen es gar nicht, alles abzuarbeiten. Und es sind ja eigentlich tolle Geschichten in dieser Datenbank, die nur erzählt werden müssen. Wir wollen sie nicht verschimmeln lassen. So gibt es zum Beispiel plan b. Das ist eine Sendungsreihe im ZDF, die ausschließlich konstruktiven Journalismus betreibt. FUTURZWEI ist Kooperationspartner von plan b. Die Sendungsmacher*innen lassen wir zum Beispiel in unseren Schatz gucken. Ansonsten benutzen wir natürlich Social Media, so wie alle anderen es auch tun.

Ihre Frage war, wie wir an die Leute herankommen … Meistens gehört dazu sehr viel Glück und vieles ist auch Zufall. Zur gesamten Geschichte von FUTURZWEI gehörte und gehört tatsächlich immer auch eine große Portion Glück dazu. Das muss miterzählt werden. Damals, als wir die Idee hatten, sagten wir, dass wir eine Promotionsagentur für eine Bewegung seien, die noch nicht weiß, dass sie eine ist. Das hätte auch im Sand verlaufen können.

Mir fällt noch eine Sache ein, was die Selektion von Aktionen betrifft. Harald Welzer hat ein Leitbild in die Stiftung gebracht: „Scheiße machen wir nicht.“ Wir funktionieren eigentlich so, dass wir immer im Team entscheiden, ob wir Lust darauf haben, etwas zu tun. Wenn es Widersprüche gibt, werden sie diskutiert. Aber wenn die Bedenken zum Beispiel zu groß sind, lassen wir die Finger davon. Wir machen da keine Kompromisse und keine faulen Sachen. Wir machen auch keine Dinge, bei denen wir nicht hundertprozentig Lust darauf haben, diese auch bis zum Ende durchzuführen. Dass uns irgendwelche Dinge zur Last werden, ist bisher noch nicht passiert. Aufgrund dessen, denke ich, macht es besonderen Spaß, hier zu arbeiten.

Kommen wir zur Abschlussfrage. In unserem Projekt geht es um Fragen kultureller Demokratie. Also darum, wie Menschen die Gesellschaft mitgestalten können. Wir haben auch an Museen gedacht, die oft ein Programm für eine gewisse Zielgruppe konzipieren, ohne diese Zielgruppe in die Entwicklung einzubeziehen. Uns geht es praktisch darum, davon auszugehen, wie man von den Erfahrungen, Wissensständen und Lebenswelten der Menschen ausgehend Ideen entwickeln und gesellschaftliche Mitgestaltung ermöglichen kann. Nicht nur ermöglichen. Ermöglichen fasst es nicht richtig. Sondern so, dass es praktisch passiert. Was braucht es aus Ihrer Sicht dazu? Können Kunst, Kultur und Medien Ihres Erachtens dabei eine spezielle Rolle spielen?

 

Das ist eine schwierige Abschlussfrage. Was mir dabei zuerst einfällt, ist – und das haben Sie eigentlich schon in Ihrer Fragestellung erwähnt – dass die Personen, die Zivilgesellschaft oder die betreffenden Zielgruppen viel zu selten als lebensweltliche Expert*innen begriffen werden. Wenn Sie über Räume sprechen, würde ich sagen, dass ich nicht über den Raum eines Museums, über das Foyer eines Museums oder die Veranstaltungsaula eines Museums spreche. Ich würde immer über den sozialen Raum des Museums sprechen. Über den Raum, in dem die Menschen sind, wo ihre Lebenswelt stattfindet und wo sie tun und handeln. Es kann durchaus sein, dass ein Museum einlädt, aber der demokratisch-kulturelle Raum muss sich nicht zwangsläufig im Museum befinden. Ein Repair-Café oder ein Gemeinschaftsgarten ist für mich zum Beispiel auch ein demokratisch-kultureller Raum. Unsere Räumlichkeiten der Stiftung sind so gesehen auch ein solcher Raum.

Bei demokratischen Räumen geht es natürlich auch immer – im Laufe Ihres Projektes werden Sie wahrscheinlich auch ähnliche Schlagwörter hören – um Begriffe wie Beteiligung, Diskussion, Dialog, aber eben auch Streit. Darum, immer wieder Fragen zu stellen und immer wieder neue Aspekte hereinzubringen. Aber eben auch darum, über Zukunft zu sprechen. Es geht immer wieder um die Frage, welche Gesellschaft wir sein wollen. Im Futur II: „Wer möchte ich am Ende gewesen sein?“ Und: „In welcher Gesellschaft möchte ich gelebt haben?“ Da wird gestritten und es werden vielleicht auch Vorschläge gebracht, die nicht realisierbar sind und es vielleicht niemals sein werden. Es gehört aber dazu, dass verhandelt und gemeinsam gesprochen wird, ohne irgendetwas von vornherein auszuschließen. Ich glaube, diese Zukunfts- und Möglichkeitsräume, über die FUTURZWEI im Rahmen der Ausstellung gesprochen hat, waren auch immer kulturell und demokratisch gemeint. Da gibt es wahrscheinlich eine Schnittstelle.