Recht auf die Stadt – Soziale Bewegungen in umkämpften Räumen

Soziale Bewegungen in der Unternehmerischen Stadt
Die unter dem Label Recht auf Stadt zusammengefassten Mobilisierungen können im Kontext städtischer Veränderungen sehr unterschiedliche Funktionen einnehmen: von der Verteidigung sozialstaatlicher Artefakte wie des sozialen Wohnungsbaus in New Orleans (Davis 2005)star (* 9 ) über die graduelle Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen wie bei der Kampagne Justice for Janitors (Merrifield 2000)star (* 28 ) bis hin zu Einforderung von KünstlerInnen, an der Stadtrendite symbolischer  Aufwertungen teilzuhaben, wie es die Besetzung des so genannten Gängeviertels in Hamburg zeigt (Breckner 2010: 31 f.)star (* 4 ).

Der Erfolg sozialer Protestbewegungen ist dabei nicht nur von den eigenen Mobilisierungsressourcen, sondern auch von ihren Integrationspotenzialen in den jeweiligen Modus der Stadtentwicklung abhängig. So sind die Post-Katrina-Proteste der afroamerikanischen BewohnerInnen in den Sozialwohnungen von New Orleans mit der Forderung auf ein Recht auf Rückkehr nicht an ihrer Mobilisierungskraft gescheitert, sondern vor allem am stadtpolitischen Interesse einer nachhaltigen Aufwertung und Gentrification der Stadt (Davis 2006)star (* 8 ). Die Kampagne der Reinigungskräfte in den USA (Justice for Janitors) war nicht nur wegen ihrer enormen Mobilisierungskraft und Ausdauer erfolgreich, sondern auch weil mit der Internationalisierung ihrer Proteste ein Imageschaden für global agierende Immobilienunternehmen drohte, die sich weltweit in den Städten als zuverlässige Partner der Stadtentwicklung präsentieren wollten. Der partielle Erfolg der Hamburger KünstlerInnen, die neben der Verhinderung des Abrisses der historischen Gebäude mittlerweile auch mit der Stadtregierung über langfristige Pachtverträge verhandeln, wurde nicht zuletzt deshalb möglich, weil das Kooptieren rebellischer KünstlerInnen in das Stadtentwicklungsleitbild Hamburgs als „Creative City“ integriert werden konnte.

Unterschiedliche Erfolgsaussichten sozialer Bewegungen sind also immer auch im Kontext der jeweiligen Stadtpolitik zu betrachten. Aktuelle Stadtentwicklungspolitiken werden oft als Trend zur „unternehmerischen Stadt“ beschrieben. David Harvey (1989)star (* 15 ) und Bob Jessop (1997)star (* 21 ) haben drei Ebenen solcher Stadtpolitiken herausgearbeitet: 1. Die Konkurrenz von Städten zu anderen Städten in Form von Standortwettbewerben um Investitionen, steuerzahlende EinwohnerInnen, Tourismusströme und Großereignisse. Städte konkurrieren dabei wie Unternehmen um bestimmte Marktanteile. 2. arbeiten die beiden Autoren die Verbetriebswirtschaftlichung der eigenen Verwaltungsarbeit heraus: Unternehmerische Haushaltsführung, Neubewertung städtischer Eigenbetriebe und Wohnungsbestände und Auslagerung unrentabler Bereiche (z.B. Jugendkulturarbeit, Integrationspolitik etc.) stehen für die unternehmerische Organisation der Städte nach innen. 3. führen sie eine unternehmerische Orientierung des Handelns von Stadtregierungen an. Dabei wird – ganz im Zeitgeist neoliberaler Ideologien – die schöpferische Kreativität von UnternehmerInnen als Gegensatz zur konservativen Trägheit traditioneller EigentümerInnen aufgefasst und als dynamischer Entwicklungsmotor beschrieben. Public-Private-Partnership-Experimente sind typische Beispiele für solche unternehmerischen Strategien. Verbunden damit ist die Hoffnung, es könne Stadtverwaltungen gelingen, ganz mühelos und ohne wesentlichen eigenen Mitteleinsatz die Kraft privatwirtschaftlicher Investitionen zu bändigen und in die gewünschte Richtung zu lenken. Oft bleiben die Städte ohne Gegenleistungen auf den Kosten sitzen und müssen auf die sozialen Sickereffekte eines Aufschwungs hoffen. Gemeint ist die Illusion, dass Wohlfahrtseffekte durch die sozialen Schichten „sickern“ und eine Begünstigung von Besserverdienenden letztendlich auch den Habenichtsen der Gesellschaft zugute kommt. Wie dieses Sickern des Wohlstandes konkret aussehen soll, konnte bisher niemand erklären – der Attraktivität dieses Konzeptes hat es bis heute nicht geschadet. Soziale Bewegungen, die eine Umverteilung ökonomischer und städtischer Ressourcen einfordern, gehen somit immer in Opposition zu den Zielen solcher neoliberaler Stadtpolitiken.

Eine beliebte Form unternehmerischer Stadtpolitik ist die Creative-City-Orientierung. Ausgehend von Thesen des kanadischen Stadtplaners Richard Florida versuchen viele Städte, für die so genannte „kreative Klasse“ attraktive Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen (Florida 2002star (* 11 ), 2005star (* 10 )). Zur kreativen Klasse zählen dabei prinzipiell alle LeistungsträgerInnen der neuen wissensbasierten Wirtschafts- und Dienstleistungsbereiche. Angestellte in PR-Agenturen und WissenschaftlerInnen in Forschungslabors werden von Richard Florida ebenso zur kreativen Klasse gezählt wie Kulturproduzierende. Seine Untersuchungen beschreiben diese Kreativen als wählerische, fast divenhafte Gestalten, die nicht ihren Jobs hinterher ziehen, sondern ihre Arbeit mit in die Städte nehmen, in denen es ihnen so gut gefällt, dass sie dort auch leben wollen. Florida benennt vor allem weiche  Standortfaktoren als die entscheidenden Argumente im Wettbewerb um die Ansiedlung der kreativen Klasse: ein tolerantes Klima in der Stadt, individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und ein attraktives Kultur- und Freizeitangebot. Wie in den klassischen unternehmerischen Orientierungen geht es den Städten um die Herstellung einer besonderen Anziehungskraft für die umworbene Gruppe. Spätestens seit der Jahrtausendwende versuchen Großstädte weltweit, sich als Creative Cities ein neues Image zu geben (Helbrecht 2009: 2 f.)star (* 16 ). Diese Floridarisierung der Stadtpolitik hat als freundliches Gesicht der unternehmerischen Stadt ihre Anhängerschaft auch in grüne und alternative Politikmilieus ausweiten können. Insbesondere Gruppen und Initiativen aus den künstlerischen und kreativen Bereichen haben damit wesentlich bessere Chancen mit ihren Forderungen auch Partner in den städtischen Eliten zu finden.

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