Die Stadt der Enklaven
Trotz dieser scheinbaren Schnittmengen von (sub)kulturellen Mobilisierungen und den stadtpolitischen Orientierungen an einem Creativ-City-Leitbild haben nur wenige dieser Initiativen tatsächlich Erfolg. In Berlin beispielsweise soll gerade das mittlerweile kommerzialisierte Flaggschiff der Alternativkultur „Tacheles“ in Berlin Mitte einem Büroneubau weichen. Die Kreativindustrie wird offensichtlich nur so lange gefördert und geduldet, wie sie einer immobilienwirtschaftlichen Verwertung nicht im Wege steht. Um die Spannungen zwischen verschiedenen Sektoren der Stadtökonomie zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die aktuellen Bedingungen der Immobilienwirtschaft.
Auf der Suche nach Anlagesphären des Finanzkapitals wird die Stadtentwicklung als Immobilienwertung zur zentralen Strategie des aktuellen Akkumulationsregimes (Chesnais 2004 (* 7 ), Harvey 2009 (* 13 )). Neben spektakulären Bauprojekten wie dem Dubai-Tower oder dem Federation-Tower in Moskau sind es vor allem Aufwertungsprozesse in bisher vernachlässigten Innenstadtvierteln und die Etablierung von Luxuswohnsegmenten in den städtischen Wohnungsmärkten, die für diesen aktuellen Modus der kapitalistischen Urbanisierung stehen (Smith 2002) (* 32 ). David Harvey beschreibt diesen Trend als geographische Lösungsstrategien systemischer Verwertungskrisen der kapitalistischen Produktion. Als Ausweg von Verwertungskrisen der Industrieproduktion – so Harvey – wurden in der Geschichte der kapitalistischen Ökonomie regelmäßig Investitionen in den so genannten „zweiten Kapitalkreislauf“, also in große Bauprojekte, Immobilienmärkte und Infrastrukturen getätigt. Er beschreibt diesen Vorgang als Absorption der Gewinne, um deren Reinvestition in Bereichen der Warenproduktion (‚„erster Kapitalkreislauf’“) einzuschränken (Harvey 2009) (* 13 ).
In der Folge dieser immobilienwirtschaftlichen Investitionen haben sich Gentrificationprozesse – also die Aufwertung von Stadtvierteln und Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen – von einem Sonderfall wegbewegt und als Standard der Stadtentwicklung etabliert. Wurden solche Aufwertungsprozesse noch in den 1980er Jahren als „Islands of Renewal in Seas of Decay“ (Berry 1985) (* 2 ) beschrieben, sprechen Elvin Wyly und Daniel Hammel 20 Jahre später von „Island of Decay in Seas of Renewal“ (Wyly/Hammel 1999) (* 34 ).
Bezogen auf die Stadtentwicklung können wir in unternehmerischen Städten von Immobilien-Verwertungs-Koalitionen sprechen, die weite Teile von Investorengruppen, der Bauwirtschaft, der finanzierenden Banken und einen Großteil der politischen Klasse umfassen. Die Durchsetzung solcher Strategien jedoch wirkt sich auch auf die Produktionsverhältnisse der sonst so umworbenen Wissensökonomie aus. Die Geographin Ilse Helbrecht verweist im Zusammenhang mit fortschreitenden Aufwertungsdynamiken auf die Etablierung von immer neuen Exklusionsmechanismen, die nicht nur entlang von sozialen Ressourcen erfolgt, sondern zu einer zunehmenden räumlichen Abtrennung verschiedener Lebensstilgruppen führt. Eine solche „Stadt der Enklaven“ ist durch die Konkurrenz und Abschottung „neuer sozialer Großgruppen der Wissensgesellschaft“ gekennzeichnet und lässt die traditionellen städtischen Qualitäten der Kommunikation, Ambiguität und Differenzerfahrung erodieren (Helbrecht 2009: 4 ff.) (* 16 ). Damit verschlechtern sich auch die Voraussetzungen für die von Hardt und Negri beschriebenen „freudvollen Begegnungen“ als Ressource der Produktivität der Multitude in den Städten (Hardt/Negri 2010: 115) (* 12 ). Die immobilienwirtschaftlichen Inwertsetzungsstrategien verschärfen nicht nur die sozialräumlichen Spaltungen in den Städten, sondern gefährden auch die lokalen Voraussetzungen für die wissensbasierten und kreativwirtschaftlichen Produktionsbeziehungen.
Diese Verwandlung der Gentrification zum neuen städtischen Mainstream hat auch die städtischen Protestkulturen verändert. Waren es in der Vergangenheit vor allem Mieterorganisationen und traditionelle Bürgerinitiativen in den betroffenen Quartieren, die sich gegen eine Verdrängung organisierten, gibt es heute ein breites Spektrum an Bewegungsansätzen in den Städten. Über die klassischen Mietermobilisierungen hinaus beteiligen sich zurzeit auch viele Kulturschaffende und bildungsbürgerliche Mittelklasseangehörige an Stadtteilinitiativen und stadtpolitischen Bewegungen.
In den bereits gentrifizierten Altbauvierteln von Berlin ist ein regelrechter „Aufstand der Mittelklasse“ (Holm 2007) (* 18 ) zu beobachten. Zur Verhinderung von Bauprojekten, Umgestaltung von Straßenzügen und zur Durchsetzung besserer Schulen haben sich in den letzten Jahren effektive und erfolgreiche Bürgerinitiativen in den aufgewerteten Nachbarschaften herausgebildet. Anders als die nachbarschaftlichen Massenmobilisierungen der Vergangenheit sind es meist zahlenmäßig kleine aber artikulationsstarke Gruppen, die es schaffen, ihre eigenen Interessen in öffentliche Angelegenheiten zu verwandeln. Dort, wo eine Verdrängung der AltmieterInnen nicht zu verhindern war, hat sich eine junge, gebildete und auch durchsetzungsfähige Bewohnerschaft etabliert, die ihre eigenen Interessen durchzusetzen weiß. Insbesondere für die steigende Zahl der Wohnungseigentümer in den Sanierungsgebieten geht es dabei um mehr als nur die Durchsetzung und Sicherung der eigenen Lebensstilvorstellungen. Die Aufwertung des Wohnumfelds, der freie Blick über eine Grünfläche und auch die ausreichende Versorgung mit hochwertigen Bildungsangeboten prägen die Nachbarschafts- und Lagequalität und damit den Wert des eigenen Besitzes. Im Gegensatz zu klassischen NIMBY-Revolten (Not In My Back Yard) jedoch verfolgen die neuen Bürgerinitiativen keine Abschottung nach unten, sondern mobilisieren in der Regel gegen die nächsten Stufen der Gentrification. Damit bieten sich auch neue Bündnismöglichkeiten innerhalb stadtpolitischer Mobilisierungen an – zugleich wächst die Gefahr von Spaltungslinien innerhalb der städtischen Protestbewegungen.
So beteiligten sich an der Kampagne gegen die Investitionsplanung Mediaspree (geplante Neubebauung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg) in Berlin nicht nur Mietergruppen, ökologische Initiativen und Gruppen aus dem Spektrum der besetzten Häuser und Wagenburgen, sondern auch ClubbetreiberInnen, KünstlerInnen und Stadtteilinitiativen aus den Ostberliner Aufwertungsvierteln (Bader/Scharenberg 2009) (* 1 ). Neben dem Effekt einer hohen medialen Aufmerksamkeit für das Anliegen der Initiativen sorgte die breite Zusammensetzung des Protestspektrums für eine tendenziell depolitisierende Darstellung des Protestes. Während Befürchtungen von Mietsteigerungen und Verdrängungsprozesse in Folge des Investitionsprojektes kaum thematisiert wurden, konzentrierte sich die Berichterstattung auf die drohende Schließung mehrerer Clubs am Spreeufer, die auch für den Tourismus in Berlin von Bedeutung sind. Wie sich angebotene Sonderlösungen und von der Stadt angebotene Alternativstandorte für einige der Clubs auf den inneren Zusammenhalt der Protestbewegung auswirken, ist noch nicht abzusehen.
In Hamburg haben sich zwanzig verschiedene Gruppen sogar in Form eines Recht-auf-Stadt-Bündnisses institutionell zusammengeschlossen. Mit dem medial beachteten Manifest „Not in our Name – Marke Hamburg“ positionierten sich MusikerInnen, bildende KünstlerInnen und Theaterschaffende gegen die Vereinnahmung kultureller Aktivitäten für die Marketingstrategien der Stadt (NION 2009) (* 30 ). Auch hier war es die für soziale Basisbewegungen ungewohnte Präsenz von Prominenten, die ein erfolgreiches Medienecho auslöste. Der schnelle und überraschende Erfolg der Gängeviertelbesetzung hat sich in Hamburg noch nicht negativ auf die Mobilisierung des Recht-Auf-Stadt-Bündnisses ausgewirkt. Eine Gruppe von KünstlerInnen hatte ein bereits verkauftes und zum Abriss vorgesehenes Gebäude im Zentrum Hamburgs besetzt. Nach mehreren Wochen wurde das Gebäude vom holländischen Investor zurückerworben und inzwischen an die KünstlerIinnen verpachtet. Anders als bei den Berliner Mediaspree-Protesten reichten die Forderungen von vornherein über den unmittelbaren Protestanlass hinaus, so dass die Konzessionsentscheidung der Hamburger Stadtregierung nicht als Befriedung funktionierte. Insbesondere die geforderte Abkehr vom unternehmerischen Stadtentwicklungsleitbild Hamburgs wurde mit der einmaligen Entscheidung gegen einen Immobilieninvestor nicht erreicht, so dass der Kern der Forderungen weiter Bestand hat. Neu ist in Hamburg nicht nur die Weite des am Protest beteiligten Spektrums, sondern vor allem, dass über konkrete Einzelprojekte und Problemfelder hinaus ein allgemeiner Gestaltungsanspruch für die Zukunft des Städtischen formuliert wird. Die Bezugnahme auf eine „Recht auf Stadt“ ist dabei kein Zufall.
Andrej Holm ( 2013): Recht auf die Stadt – Soziale Bewegungen in umkämpften Räumen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/recht-auf-die-stadt-soziale-bewegungen-in-umkampften-raumen/