Salzburg – München – Zürich

Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen

Fallstudie 1: Salzburg
Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik zur NS-Vergangenheit –
Beispiele für künstlerische Interventionen in der Stadt Salzburg

von Verena Höller

„Erinnerung ist Repräsentation und damit zugleich Vermittlung und Verarbeitung“, liest man auf der Homepage des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik der Universität Klagenfurt zum Thema der Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik.*2 *(2)

Salzburgs Geschichte reicht bis in die Römerzeit zurück. Man wandelt daher in der Stadt fast überall auf historischen Pfaden. Der traditionsreichen Geschichte Salzburgs wird gerne und viel gedacht, Gedenksteine und Tafeln finden sich hierzu an fast jeder Straßenecke. Welche berühmten Dichter, Musiker und Künstler lebten in dieser Stadt?*1 *(1) Kaum vorbei kommt man an dem alles überstrahlenden Komponisten Mozart. Doch auch der berühmten Autoren, die hier einige Lebensjahre verbrachten, wird intensiv gedacht, etwa Thomas Mann, Thomas Bernhard, Theodor Herzl und nicht zuletzt natürlich Stefan Zweig. Blickt man auf den Umgang der Stadt mit ihrer Geschichte, gestaltet sich dieser aber doch recht einseitig. Betrachtet man insbesondere die jüngere Stadtgeschichte – Salzburg in der NS-Zeit – so wird man im alltäglichen Stadtbild abseits der Stolpersteine und einiger weiterer Gedenktafeln kaum auf Hinweise auf dieses Kapitel stoßen. Es ist also bis dato ein klares Defizit in der Erinnerungskultur auszumachen. Orte des Verbrechens sind nicht gekennzeichnet, Profiteure des NS-Regimes fungieren bis heute als Namensgeber von Straßen und Plätzen, wurden mit Ehrenzeichen und -titeln der Stadt bzw. Universität Salzburg gewürdigt. Jüngstes Zeichen eines sich nur langsam verändernden Diskurses ist etwa das universitäre Projekt Tabula Honorum und die daraus resultierende Aberkennung einiger Ehrentitel. Erinnerungskultur geht über Gedenktafeln hinaus, ist „kollektiv geteiltes Wissen“, ist „Geschichte im Gedächtnis“.*3 *(3) Essentieller Teil dieser Erinnerungskultur sind Erinnerungsorte und genau hier setzen zahlreiche künstlerische Interventionen in der Stadt Salzburg an, machen auf ein mangelndes Bewusstsein und Erinnern an Orte der NS-Verbrechen in der Stadt aufmerksam.

Es gibt zahlreiche erwähnenswerte Beispiele für künstlerische Interventionen in der Stadt Salzburg. So sorgte der Salzburger Künstler Bernhard Gwiggner erst kürzlich für eine erneute Anregung der Diskussion über einen der wichtigsten Bildhauer des Nationalsozialismus und Lieblingskünstler von Hitler, Josef Thorak, dessen Skulpturen von Paracelsus und Kopernikus bis heute unkommentiert im Kurpark zu sehen sind. Die temporäre Intervention wurde in Form der Skulptur WoThora realisiert, die dem Werk von Thorak im Mai 2016 unter dem Titel GegenSetzung entgegengestellt wurde und an den während der NS-Diktatur im Schweizer Exil lebenden Künstler Fritz Wotruba erinnern soll, der dort einen kubischen Stil der Bildhauerei entwickelte und somit in starkem Kontrast zum NS-Künstler stand. Gwiggner setzte der massiven Steinskulptur Thoraks eine in ihrem Ausmaß gleich große, aber vergänglichere Version aus Lack, Spachtelmasse und Styropor im Stile Wotrubas gegenüber. Allein schon ihre Form ist ein stiller Protest, galt diese doch während des NS-Regimes als „entartet“. Zudem wird auf die Kontinuität in Thoraks Karriere angespielt, die sich eben in Salzburg nach dem Krieg – wie so oft – fast nahtlos fortsetzte. Von großer Brisanz war hier die Gleichzeitigkeit, denn während im Jahr 1950 in der Galerie Welz eine Wotruba-Ausstellung gezeigt wurde, fand ebenso eine große Ausstellung Thoraks statt; ausgerichtet von der Stadt Salzburg.*4 *(4) Gwiggner verweist durch seine Intervention auf verschiedenen Ebenen auf den äußerst problematischen Umgang mit Profiteuren und Befürwortern der NS-Diktatur, mit „braunen Künstlern“, in der Nachkriegszeit. Im Fokus der künstlerischen Intervention steht ebenso sehr die Frage: Was tun mit Relikten und Artefakten aus dem Nationalsozialismus im Stadtraum von Salzburg? Ausgangspunkt für die jahrelange Beschäftigung des Künstlers mit dieser Thematik waren die zwei sehr dominanten Skulpturen von Kopernikus und Paracelsus im Kurpark. Diese bestimmen wesentlich das Bild des Parks und stehen somit symbolisch für weitere Artefakte dieser Zeit, die unkommentiert das Alltagsbild der Stadt gestalten, Teil des öffentlichen Bildes sind. Gleichzeitig jedoch fehlt der Kontext, die negative Beladung dieser Werke in der öffentlichen Wahrnehmung völlig. Gwiggner versucht die Öffentlichkeit durch seine mobilen und temporären Interventionen für diese Relikte der NS-Zeit zu sensibilisieren, einen Diskurs anzuregen.*5 *(5) So war der Künstler selbst über den Zeitraum der Intervention mehrmals bei den Skulpturen anzutreffen, um mit den Menschen in einen direkten Dialog zu treten, aufzuklären und zu vermitteln. Von Seiten der Stadt wurde die Intervention geduldet, wohl vor allem aufgrund ihres temporären Charakters und aufgrund des Umstandes, dass die Paracelsus-Statue selbst nicht direkt Teil der Intervention war; also nicht „beschädigt“ wurde. Zwar löste Gwiggners Intervention im Kurpark tatsächlich Debatten über eine Entfernung der Statue selbst bzw. deren Kontextualisierung in Form einer entsprechenden Tafel aus, langfristig verlagerte sich der Diskurs jedoch in eine andere Richtung. So blieben bislang nicht nur Thoraks Werke unkommentiert, der Bildhauer selbst wurde vielmehr mit einem von ihm noch zu Lebzeiten gestalteten Ehrengrab im Friedhof von St. Peter gewürdigt, zudem trägt seit 1963 eine Straße im Salzburger Stadtteil Aigen den Namen des Künstlers. Neben dem Lieblingsbildhauer Hitlers fungieren zahlreiche weitere Personen mit nachweislicher NS-Vergangenheit als Namensgeber von Salzburger Straßen und werden in dieser Form geehrt, sind also in der öffentlichen Wahrnehmung präsent. So regte Gwiggner mit seiner künstlerischen Intervention erneut eine weitaus umfassendere Debatte an, die eng mit diesem unhinterfragten Umgang mit NS-Relikten verknüpft ist. Unter den kritischen Stimmen fand sich auch der deutsche Künstler Wolfram P. Kastner, der sich in seinen künstlerischen Interventionen bereits mehrmals mit der Salzburger Erinnerungskultur auseinandergesetzt und auf zahlreiche Versäumnisse der offiziellen Gedächtnispolitik hingewiesen hat.

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Marshall, Thomas H. (1950): Citizenship and Social Class. And Other Essays, Cambridge 1950. In: Smith, Michael Peter/MacQuarie, Michael (Hg.) (2012): Remaking Urban Citizenship. Organizations, Institutions, and the Right to the City, New Brunswick(USA)/London(UK).

Seit 2004 werden von der Stadt Salzburg Stadtspaziergänge angeboten, bei denen man den Spuren bedeutender Salzburgerinnen folgen kann. Nähere Infos unter: https://www.stadt-salzburg.at/internet/leben_in_salzburg/frauen/frauen_stadtspaziergaenge.htm

Vgl. „Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik“, http://www.uni-klu.ac.at/frieden/inhalt/442.htm (20.06.2016).

Vgl. Michael Braun, „Erinnerungskultur“, http://www.kas.de/wf/de/71.7680/ (20.06.2016).

Vgl. http://www.ikufo.de/rueckgabe/intro.html (29.6.2016).

Das Labor k3000 ist eine Plattform für transnationale Netzwerk- und Rechercheprojekte, Ausstellungen, Video und Web-Produktionen.

Die Begriffe Ablagerungen und Spuren kommen in der Selbstbeschreibung des Projektes des Öfteren vor, eben um auf die bis heute andauernde Einschreibung des Kolonialismus in den öffentlichen Raum zu verweisen. Die kolonialen Ablagerungen und Spuren sind auch gegenwärtig noch präsent und keineswegs verschwunden, wie beispielsweise an Streitgesprächen über kolonialrassistische Bezeichnungen in Kinderbüchern, Kolonialstilmöbeln oder der Bezeichnung einer bekannten Supermarktkette, der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, deutlich wird. Allein an der öffentlichen Wahrnehmung und einem öffentlichen Diskurs über diese omnipräsenten Ablagerungen und Spuren mangelt es.

Die deutsche Kolonialvergangenheit wird an dieser Stelle gesondert hervorgehoben, da die eigene kolonialistische Verstrickung und Beteiligung in Deutschland nach wie vor gerne ignoriert bzw. minimiert wird. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Debatte um die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bzw. heutigen Namibia von 1904 bis 1908 dar. Insbesondere die offizielle Anerkennung des Armenien-Genozids durch den Deutschen Bundestag im Juni 2016 veranschaulicht die Doppelmoral der deutschen Politik. So wichtig die Anerkennung des Armenien-Genozids ist, wirkt sie vom Deutschen Bundestag doch scheinheilig, da eine Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama sowie eine öffentliche Entschuldigung für die damals begangenen Verbrechen nach wie vor ausstehen. Siehe: Jürgen Zimmerer: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

Das Kartierungsprojekt „mapping.postkolonial.net“ beschäftigt sich auch mit den verborgenen Spuren, die an den Genozid an den Herero und Nama im Stadtraum München erinnern. Siehe: „Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016). Ein Beispiel einer kolonialen Ablagerung ist die Swakopmunder Straße: Swakopmund ist eine Stadt im Westen von Namibia, in der sich zur Zeit der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein Konzentrationslager befand, in dem Herero und Nama unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Siehe: „Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

Rösser, Michael: „Übung 33221a ‚Kein Platz an der Sonne‘ – Deutscher (Post)Kolonialismus in Afrika. Grundzüge, Debatten, Methoden. Online unter: https://elearning.uni-regensburg.de/pluginfile.php/1009147/course/overviewfiles/Semesterplan%20-%20%C3%9Cbung%20Kein%20Platz%20an%20der%20Sonne%20SoSe%202016.pdf?forcedownload=1 (Stand:05.07.2016).

Dabei handelte es sich um eine Volksinitiative mit dem Titel “Gegen Masseneinwanderung”, welche im Jahr 2014 zur Abstimmung gebracht und angenommen wurde. Die Einwanderung soll durch Höchstgrenzen für Ausländer*innen und Asylwerber*innen künftig eingedämmt werden. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413.html (16.07.2016).

Die Durchsetzungsinitiative (Durchsetzung der „Ausschaffung“ krimineller Ausländer) hingegen sollte eine weitere Verschärfung gegenüber der Masseneinwanderungtinitiative darstellen. Sie wurde 2015 zur Abstimmung gebracht und abgelehnt. Hierbei wurde gefordert, Ausländer*innen, die sich bestimmter Straftaten schuldig gemacht hätten, ohne Ausnahme in das (vermeintliche) Herkunftsland abzuschieben, eine Härtefallregelung per richterlichem Ermessen wäre nicht mehr möglich gewesen. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis433.html (16.07.2016).

Mehr Informationen: http://www.wochenklausur.at/projekte/02p_kurz_dt.htm (02.07.2016).

Beispielsweise die mutigen Statements bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität oder die (zwar gescheiterte) Kampagne für eine Volksabstimmung für das Bedingungslose Grundeinkommen 2016.

Veronika Aqra, Verena Höller, Stefanie Niesner ( 2016): Salzburg – München – Zürich. Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/salzburg-munchen-zurich/