Salzburg – München – Zürich

Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen

Das Gesamtprojekt kann meiner Meinung nach als künstlerische Intervention betrachtet werden, auch wenn es keinen direkten architektonischen oder auf andere Weise sichtbaren Eingriff im öffentlichen Raum darstellt. Es wird vielmehr versucht, eine Gegen-Öffentlichkeit herzustellen, indem die vorherrschende Wissensproduktion mit widerständigen und dekolonisierenden Wissensprozessen unterlaufen wird. Die bestehenden post/kolonialen Machtverhältnisse werden thematisiert und durch die Spurensuche nach post/kolonialen Ablagerungen im Stadtraum Münchens sicht- und verhandelbar gemacht.

Die Kulturwissenschaftlerin Elke Zobl und die Soziologin Rosa Reitsamer verweisen auf die Heterogenität künstlerischer Interventionen, betonen aber zudem die Intention künstlerischer Interventionen, in den gesellschaftlichen Status Quo einzugreifen bzw. historische gewachsene Machtverhältnisse als Ursachen sozialer Ungleichheiten zu thematisieren:

„Künstlerische Interventionen sind vielfältig, weil KünstlerInnen, KulturproduzentInnen und KunstvermittlerInnen – gemeinsam mit ihren KollaborateurInnen – unterschiedliche Strategien und Methoden der Umsetzung wählen. Trotz dieser Heterogenität teilen sie jedoch wesentliche Gemeinsamkeiten: Sie thematisieren historisch gewachsene Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten, wofür eine kritische Reflexion des gesellschaftlichen Status Quo Voraussetzung ist und greifen dabei Narrative und Bilder der individuellen und gesellschaftlich geteilten Erinnerung auf, um sie neu zusammenzusetzen. Feministische, queere und antirassistische künstlerische Interventionen arbeiten folglich an einer Imagination für eine andere, weniger stereotype und unterdrückende Zukunft, indem sie einen Raum für alternative Identitäten und gesellschaftliche Gegenentwürfe entwickeln“. (Zobl/Reitsamer 2014: o.S.)star (*6)

In diesem Sinne stellt das Projekt mapping.postkolonial.net eine künstlerische Intervention in die Symbolpolitiken der Stadt dar, da es sich um ein interdisziplinär ausgerichtetes Projekt handelt, im Rahmen dessen gesellschaftlich gewachsene Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten thematisiert und dekonstruiert werden. Narrative und Bilder der individuellen und gesellschaftlich geteilten Erinnerung werden neu zusammengesetzt, indem bisher verdrängte und/oder verborgene post/koloniale Spuren und Ablagerungen im öffentlichen Raum sicht- und verhandelbar gemacht werden. Vielleicht ist es sogar treffender nach Chantal Mouffe (2014)star (*3) von einer gegenhegemonialen Intervention zu sprechen. Denn künstlerische Interventionen sind nach Mouffe als gegenhegemoniale Interventionen aufzufassen, wenn sie zur Disartikulation des vorherrschenden „Common Sense“, zur Schaffung von agonistischen öffentlichen Räumen und zum Aufbau einer „Gegenhegemonie“ beitragen (Mouffe 2014: 145).star (*3) Sie subvertieren folglich die vorherrschende Hegemonie und leisten einen Beitrag zur öffentlichen Sichtbarmachung unterrepräsentierter Diskurse, wobei es nicht um die Herstellung eines Konsens, sondern vielmehr um die Schaffung agonistischer öffentlicher Räume geht.

Die Strahlkraft des Projektes zeigt sich meiner Meinung nach u.a. dadurch, dass man auch in anderen Städten Bayerns beginnt, sich mit den post/kolonialen Ablagerungen und Spuren im öffentlichen Raum zu beschäftigen, wie das Beispiel einer aktuell stattfindenden Lehrveranstaltung mit dem Titel ‘Kein Platz an der Sonne‘ – Deutscher (Post)Kolonialismus in Afrika. Grundzüge, Debatten und Methoden bei Michael Rösser an der Universität Regensburg verdeutlicht, in der man sich bezugnehmend auf das Projekt mapping.postkolonial.net mit Kolonialismus und Dekolonisierung in der bayrischen Provinz auseinandersetzt und auf Spurensuche im Stadtraum Regensburgs begibt.*11 *(11) In diesem Sinne stellt für mich das Projekt mapping.postkolonial.net ein Best Practice-Beispiel dar, welches Anstoß geben kann für eine tiefergehende Beschäftigung mit post/kolonialen (Raum-)Verhältnissen an vielen anderen Orten Deutschlands ‑ und auch Österreichs.

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von Borries, Friedrich/Wegner, Friederike/Wenzel, Anna-Lena (2012): Ästhetische und politische Interventionen im urbanen Raum. In: Doreen Hartmann, Inga Lemke u. Jessica Nitsche, Hg., Interventionen. Grenzüberschreitungen in Ästhetik, Politik und Ökonomie, München.

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Bahl, Eva/Pfeiffer, Zara S. (2015): mapping.postkolonial.net. Eine Spurensuche an den Rändern der Stadt und ihrer Geschichte. In: In: ZAG. Antirassistische Zeitschrift. 70/2015. S.20-22.

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Mouffe, Chantal (2014): Agonistische Politik und künstlerische Praktiken (Kap. 5). In: Dies.: Agonistik. Die Welt politisch denken. 1. Auf. Berlin: Suhrkamp, S. 145.

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Pfeiffer, Zara S. (2013): GESPENSTER/GE/SCHICHTEN. In: kulturrisse. Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik. 04/2013. Online unter: http://kulturrisse.at/ausgaben/Archiv%20der%20Migration%2C%20jetzt/oppositionen/gespenster-ge-schichten (Stand: 05.07.2016).

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Zimmerer, Jürgen: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

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Zobl, Elke / Reitsamer, Rosa (2014): Intervene! Künstlerische Interventionen. Kollaborative und selbstorganisierte Praxen // Fokus: Antirassistische, feministische und queere Perspektiven. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04. Online unter: https://www.p-art-icipate.net/intervene-kunstlerische-interventionen/ (Stand: 05.07.2016)

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„Bildlichkeit und Politik“. In: Glossar der Bild-Philosophie. Online unter: http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildpolitik (Stand: 05.07.2016).

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„Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016).

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“Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

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Marshall, Thomas H. (1950): Citizenship and Social Class. And Other Essays, Cambridge 1950. In: Smith, Michael Peter/MacQuarie, Michael (Hg.) (2012): Remaking Urban Citizenship. Organizations, Institutions, and the Right to the City, New Brunswick(USA)/London(UK).

Seit 2004 werden von der Stadt Salzburg Stadtspaziergänge angeboten, bei denen man den Spuren bedeutender Salzburgerinnen folgen kann. Nähere Infos unter: https://www.stadt-salzburg.at/internet/leben_in_salzburg/frauen/frauen_stadtspaziergaenge.htm

Vgl. „Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik“, http://www.uni-klu.ac.at/frieden/inhalt/442.htm (20.06.2016).

Vgl. Michael Braun, „Erinnerungskultur“, http://www.kas.de/wf/de/71.7680/ (20.06.2016).

Vgl. http://www.ikufo.de/rueckgabe/intro.html (29.6.2016).

Das Labor k3000 ist eine Plattform für transnationale Netzwerk- und Rechercheprojekte, Ausstellungen, Video und Web-Produktionen.

Die Begriffe Ablagerungen und Spuren kommen in der Selbstbeschreibung des Projektes des Öfteren vor, eben um auf die bis heute andauernde Einschreibung des Kolonialismus in den öffentlichen Raum zu verweisen. Die kolonialen Ablagerungen und Spuren sind auch gegenwärtig noch präsent und keineswegs verschwunden, wie beispielsweise an Streitgesprächen über kolonialrassistische Bezeichnungen in Kinderbüchern, Kolonialstilmöbeln oder der Bezeichnung einer bekannten Supermarktkette, der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, deutlich wird. Allein an der öffentlichen Wahrnehmung und einem öffentlichen Diskurs über diese omnipräsenten Ablagerungen und Spuren mangelt es.

Die deutsche Kolonialvergangenheit wird an dieser Stelle gesondert hervorgehoben, da die eigene kolonialistische Verstrickung und Beteiligung in Deutschland nach wie vor gerne ignoriert bzw. minimiert wird. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Debatte um die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bzw. heutigen Namibia von 1904 bis 1908 dar. Insbesondere die offizielle Anerkennung des Armenien-Genozids durch den Deutschen Bundestag im Juni 2016 veranschaulicht die Doppelmoral der deutschen Politik. So wichtig die Anerkennung des Armenien-Genozids ist, wirkt sie vom Deutschen Bundestag doch scheinheilig, da eine Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama sowie eine öffentliche Entschuldigung für die damals begangenen Verbrechen nach wie vor ausstehen. Siehe: Jürgen Zimmerer: „Wer A sagt, muss auch N sagen“. In: taz.de. Online unter: http://www.taz.de/!5306461/ (Stand:05.07.2016).

Das Kartierungsprojekt „mapping.postkolonial.net“ beschäftigt sich auch mit den verborgenen Spuren, die an den Genozid an den Herero und Nama im Stadtraum München erinnern. Siehe: „Der Genozid an den Herero und Nama“. In. „mapping.postkolonial.net”. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/der-genozid-an-den-herero-und-nama (Stand: 05.07.2016). Ein Beispiel einer kolonialen Ablagerung ist die Swakopmunder Straße: Swakopmund ist eine Stadt im Westen von Namibia, in der sich zur Zeit der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein Konzentrationslager befand, in dem Herero und Nama unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Siehe: „Swakopmunder Straße”. In: „mapping.postkolonial.net“. Online unter: http://mapping.postkolonial.net/article/swakopmunder-strasse (Stand: 05.07.2016).

Rösser, Michael: „Übung 33221a ‚Kein Platz an der Sonne‘ – Deutscher (Post)Kolonialismus in Afrika. Grundzüge, Debatten, Methoden. Online unter: https://elearning.uni-regensburg.de/pluginfile.php/1009147/course/overviewfiles/Semesterplan%20-%20%C3%9Cbung%20Kein%20Platz%20an%20der%20Sonne%20SoSe%202016.pdf?forcedownload=1 (Stand:05.07.2016).

Dabei handelte es sich um eine Volksinitiative mit dem Titel “Gegen Masseneinwanderung”, welche im Jahr 2014 zur Abstimmung gebracht und angenommen wurde. Die Einwanderung soll durch Höchstgrenzen für Ausländer*innen und Asylwerber*innen künftig eingedämmt werden. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413.html (16.07.2016).

Die Durchsetzungsinitiative (Durchsetzung der „Ausschaffung“ krimineller Ausländer) hingegen sollte eine weitere Verschärfung gegenüber der Masseneinwanderungtinitiative darstellen. Sie wurde 2015 zur Abstimmung gebracht und abgelehnt. Hierbei wurde gefordert, Ausländer*innen, die sich bestimmter Straftaten schuldig gemacht hätten, ohne Ausnahme in das (vermeintliche) Herkunftsland abzuschieben, eine Härtefallregelung per richterlichem Ermessen wäre nicht mehr möglich gewesen. Mehr Informationen: https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis433.html (16.07.2016).

Mehr Informationen: http://www.wochenklausur.at/projekte/02p_kurz_dt.htm (02.07.2016).

Beispielsweise die mutigen Statements bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität oder die (zwar gescheiterte) Kampagne für eine Volksabstimmung für das Bedingungslose Grundeinkommen 2016.

Veronika Aqra, Verena Höller, Stefanie Niesner ( 2016): Salzburg – München – Zürich. Drei Fallstudien zu drei Orten, die exemplarisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede künstlerischer Interventionen aufzeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/salzburg-munchen-zurich/