So kompliziert wie Situationen sind

Temporäre Eingriffe im Spannungsfeld zwischen Verunsicherung und Ermächtigung

Zwischenräume

Im Rahmen der kollaborativen Zusammenarbeit entschieden die Schüler_innen relativ schnell, dass sie über eine Paradoxie nachdenken wollten: „Was bedeutet Pause in der Schule?“ In einer öffentlichen Institution wie der Schule wird aus Gründen der Kontrolle, Ordnung und als Sicherheitsmaßnahme die Bedeutung von „Pausenzeit“ ad absurdum geführt, da Vorschriften und Handlungsanweisungen das „freie Bewegen“ kontrollieren. Aus dieser Erkenntnis entstand der Wunsch der Schüler_innen, einen Platz innerhalb des Schulgebäudes zu besetzen, an dem sie den habituellen Verhaltensnormen für fünf Minuten entkommen können. In einem gemeinsamen Prozess wurden, angeleitet von Social-Design-Strategien, Konzepte für „Ruhezonen von und für Schüler_innen“ diskutiert und die strukturellen Gegebenheiten im „System“ Schule sowie die Auflagen für eine räumliche Intervention erhoben. Das heißt, die Schüler_innen suchten die verantwortlichen Stellen auf und holten Genehmigungen zur Erfüllung ihres Traumes ein.
In weiterer Folge wurden im Rahmen des Regelunterrichts die von Schüler_innen designten „Chillax“-Ecken für das Klassenzimmer geplant und umgesetzt, die bei Bedarf hervorgeklappt und als Rückzugsorte genützt werden konnten.
Der selbstermächtigende Prozess führte dazu, dass die Schüler_innen eine Veränderung der Bedingungen erreichten und die Erfahrung machten, innerhalb des Ordnungssystems die Spielregelnstar (*3) mitbestimmen zu können. In diesem Sinne wurde die Bildungsinstitution Schule als strukturierter Raum der Verwaltung auch in seinen Möglichkeiten des Handelns im sozialen Raum erfahrbar. Und genau dort finden Gegenerzählungen und Kritik statt.
Leider war dieser wahr gewordene Wunsch nur von kurzer Dauer: Ohne die Schüler_innen in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen oder zu informieren, wurde die „Chillax“ in den Sommerferien aus Brandschutzgründen von Verantwortlichen der Schulbehörde abgebaut. Diese Erfahrung mit dem rigiden System haben die Schüler_innen in das Folgeprojekt „wo, wenn nicht hier …“ hineingetragen und dabei die Gelegenheit wahrgenommen, „ihrem Beleidigtsein und Missverstandensein“ Ausdruck zu verleihen.*2 *(2)

Spannungsfelder

Ausgangspunkt für das Projekt „wo, wenn nicht hier …“ im Rahmen des Kulturfestivals Wienwoche 2012 war das Hinterfragen bestehender Verhältnisse in Bezug auf Raum und Öffentlichkeiten: Wie sind diese strukturiert und geregelt? Wer bestimmt über gewohnte Ordnungen? Welche Handlungsräume stehen welchen emanzipatorischen Forderungen gegenüber? Diese im Projekt entstandenen Fragen richteten sich zunehmend auf das unmittelbare Umfeld der Jugendlichen. Vor dem Erfahrungshintergrund aus dem vorhergehenden Projekt fiel es den Schüler_innen nicht schwer, ihre Forderungen zu benennen. Sie hatten bereits ein klares Grundverständnis, dass öffentlicher Raum von Machtverhältnissen durchzogen ist und konnten Erfahrungen und Strategien mit der Herstellung von Öffentlichkeit aus der ersten Projektreihe auf aktuelle Spannungsfelder, Wünsche und Forderungen übertragen. So entwickelten sie temporäre Interventionen in der Schule. Mit Hilfe von Absperrbändern, Buttons und Stickern formulierten die Schüler_innen ihre Kritik: „Fight for your space!“

„Keine Wanderklasse der 8.!“, Projekt „wo, wenn nicht hier …“, WIENWOCHE 2012, Foto: Sandra Kosel

„Keine Wanderklasse der 8.!“, Projekt „wo, wenn nicht hier …“, WIENWOCHE 2012, Foto: Sandra Kosel

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»A stereotype is a box usually too small, that a girl gets jammed into« („Ein Stereotyp ist eine gemeinhin zu kleine Box, in die ein Mädchen hineingequetscht wird.“) Guerrilla Girls (2003): Bitches, Bimbos and Ballbreakers: The Guerrilla Girls’ Guide to Female Stereotype. Penguin
Books, S. 7.

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Vgl. Büro trafo.K: Formate der Vermittlung. In: schnittpunkt (Hg.): Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis, S. 103–110.

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Nora Sternfeld (2012): Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum. In: Susanne Gesser et al. (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld. http://www.academia.edu/4200578/Um_die_Spielregeln_spielen_Partizipation_im_post-reprasentativen_Museum

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Vgl. Nora Sternfeld (2011): Vortrag: Handlungsräume – Von der Kritik und der Tat, ÖGFA Impulsvorträge und Diskussion: Schule machen!

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Vgl. Marty Huber und Markus Griesser: Vorisse. In: Kulturrisse – Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik (Schwerpunkt: Queere De-/Konstruktionen: Von Abtragungen und Baustellen), S. 1.

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Siehe hierzu auch: Büro trafo.K: Die komplizierte Tätigkeit der Selbstveränderung. Praxen und Fragen bei Vermittlungsprojekten in der Migrationsgesellschaft. Art Education Research, No. 8/2014, S. 1–3.

Wir entwickelten im Auftrag der Vienna Design Week 2011 Tools für Designvermittlung. Das jährlich stattfindende Festival präsentiert nationale wie internationale Designpositionen im Rahmen unterschiedlicher Veranstaltungen an verschiedenen Orten der Stadt.

O-Ton Bemerkung einer Schüler_in des Brigittenauer Gymnasiums, Radiobeitrag Wienwoche (10): Raum für Raum – Workshop mit trafo.K im BORG 20 http://cba.fro.at/64470 , Workshops zum Schwerpunkt Raum umverteilen, WIENWOCHE 2012, http://www.wienwoche.org/de/wienwoche/

Zitat eines KFZ-Lehrlings von Jugend am Werk, 2014.

Dieser kann auf der Website von trafo.K als pdf heruntergeladen werden: http://www.trafo-k.at/_media/download/FlicFlac_Glossar.pdf

Elke Smodics ( 2014): So kompliziert wie Situationen sind. Temporäre Eingriffe im Spannungsfeld zwischen Verunsicherung und Ermächtigung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 05 , https://www.p-art-icipate.net/so-kompliziert-wie-situationen-sind/