Julia Huber ist seit mehreren Jahren in verschiedenen linken migrations- und geschlechterpolitischen Projekten aktiv und ist gegenwärtig Teil der Antikulti-Ateliergruppe*4 *( 4 ) (* 1 ).
Wie lässt sich, deiner Meinung nach, die allgemeine Skepsis erklären, die in der linkspolitischen Szene künstlerischen Vorhaben zum Thema der Migration entgegengebracht wird?
In dem Politumfeld, in dem ich mich in Zürich bewege, nehme ich ein allgemeines Misstrauen gegenüber intellektueller Auseinandersetzung im künstlerischen wie wissenschaftlichen Rahmen wahr. Diese Abwehrhaltung ist teilweise sicherlich gerechtfertigt, als generelle Attitude scheint sie sich jedoch allem zu widersetzen, was irgendwie die gewohnten Widerstandsformen kritisch hinterfragt und somit auch bedroht.
Die Vorstellung vieler Menschen von der vermeintlich humanitären Tradition der Schweiz hat sich in Hinblick auf die Asylpolitik in den letzten Jahren als Illusion entpuppt. Daher glaube ich, dass viele KünstlerInnen ein ernsthaftes Bedürfnis empfinden, sich dieser Problematik anzunehmen. Meistens ist dieser Wunsch jedoch nicht frei von dem Begehren, sich als eine kritische Person im künstlerischen Feld zu etablieren. Leider besteht bei vielen wenig Interesse, sich über das eine Kunstprojekt hinaus politisch mit dieser Realität und der eigenen Verstricktheit auseinanderzusetzen. Diese Erfahrung erschwert es uns in der AntiKulti-Gruppe, die vielen Kooperationsanfragen von KünstlerInnen zu sortieren. Bevor wir uns darauf einlassen, bedarf es vieler Diskussionen, um herauszufinden, ob mehr als die Eigenpositionierung im Kunstfeld dahinter steckt.
Wie kann die „eigentliche“ Motivation der ProjektmacherInnen überprüft werden?
Viele Mitglieder der AntiKulti-Gruppe haben bereits in verschiedensten Kunst- und Theaterprojekten mitgewirkt und erzählen sehr desillusioniert über ihre Erfahrungen. Häufig fühlen sie sich allein gelassen, unverstanden, gebraucht, ohne eine Erklärung zu erhalten, wie ihre Teilnahme verwertet wird. Das wirft die Frage auf: Wozu sollen sie überhaupt mitmachen? Und das ist, meiner Meinung nach, der wesentliche Punkt: Wenn in einem Projekt Transparenz über die jeweiligen Interessen und Positionen geschaffen wird, wenn die Bereitschaft besteht, ein Projekt mit dem Risiko des möglichen Scheiterns kollektiv zu tragen und wenn gewährleistet ist, dass daraus alle Beteiligten etwas für sich mitnehmen können – seien es neue Skills, finanzielle, politische oder kulturelle Vorteile – dann macht es Sinn, dabei zu sein. Es bedarf eines Bewusstseins darüber, dass es da ein Gegenüber gibt, das ebenfalls Ansprüche, Bedürfnisse und Interessen – auch an der Mitgestaltung eines Projektes – hat. Durch eine Einbindung in bereits vorgefertigte Schemata und festgelegte Konzepte findet zwangsläufig eine Instrumentalisierung statt.
In den letzten Jahren sind in Zusammenarbeit mit der Autonomen Schule Zürich mehrere Kunst- und Theaterprojekte realisiert worden. Flüchtlinge, die an ihnen teilgenommen haben, konnten sich ein umfangreiches Netzwerk aufbauen, das sich in kritischen Situationen bereits mehrmals für sie eingesetzt hat.
Aber immer sind und bleiben sie dabei die „Betroffenen“ und das scheint mir problematisch. Menschen migrieren aus ganz unterschiedlichen Gründen, entsprechend divers sind auch ihre Interessen in Hinblick auf die Theater- und Kunstprojekte, an denen sie partizipieren. Jemand sieht darin die Möglichkeit eines politischen Ausdrucks, jemand genießt es einfach, auf der Bühne zu stehen und die eigene Geschichte zu erzählen, ohne dabei zwingend eine politische Haltung kundzutun, andere wollen professionelle Erfahrungen sammeln. Alle diese Positionen haben ihre Berechtigung und zeugen davon, dass der Instrumentalisierungsvorwurf hier zu kurz greift. Dennoch wird in vielen Projekten die Machtasymmetrie zwischen ihren InitiantInnen – tendenziell SchweizerInnen – und den PartizipientInnen – tendenziell Nicht-SchweizerInnen – zu wenig reflektiert, wobei KünsterInnen meistens die vermeintlich objektive „stimmgebende“ Position einnehmen und die sogenannten Betroffenen dann den subjektiven Part übernehmen sollen, sich hinstellen, die Hosen runterlassen und das „echte, authentische“ Leben zeigen. So werden diese gesellschaftlich wirkungsmächtigen Differenzen erneut festgeschrieben.
Welche Rolle spielt der biographische Hintergrund der ProjektinitiantInnen? Verleiht der eigene Migrationshintergrund einer Künstlerin eine größere Glaubwürdigkeit?
Ich bin nicht der Ansicht, dass die Glaubwürdigkeit des Sprechens und Handelns über einen Migrationshintergrund entsteht. Vielmehr bedarf es einer persönlichen politischen Dringlichkeit, einer klaren Haltung und der Reflexion über die eigene Position und ihre Verschränkung mit gesellschaftlicher Ausgrenzung, ungleicher Ressourcenverteilung etc. Auch die Antikulti-Ateliergruppe, die in einer kollektiven Praxis antirassistische Projekte realisiert, setzt sich nicht nur aus Personen zusammen, die migriert sind. Die Frage, ob nur die sogenannten Betroffenen in unserer Gruppe eine valide Sprechposition einnehmen können, haben wir eingehend diskutiert und uns entschieden dagegen gestellt. Dies, gerade weil Rassismus nicht ein Problem der sogenannten Betroffenen ist – was leider nicht zuletzt im politischen Kontext, in dem ich mich bewege, suggeriert wird –, sondern ein allgemeines. Zudem ist es für uns in der Gruppe viel interessanter und wichtiger, statt solche Differenzen zu unterstreichen, die verschiedenen Diskriminierungsmechanismen, mit denen wir bezüglich Klasse, race, Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung konfrontiert werden, zu diskutieren und davon ausgehend gemeinsame politische Anliegen herauszuarbeiten.
Marina Belobrovaja ( 2013): „… so’n bisschen United Colors of Benetton“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/son-bisschen-united-colors-of-benetton/