Nistiman Amed ist Mitglied der AntiKulti-Gruppe und im kurdischen Widerstand sowie in der Schweizer autonomen Linken aktiv. Zudem schreibt er regelmäßig für die Papierlose Zeitung (vgl. Papierlose Zeitung 2013) (* 11 ) und ist in ihrem Redaktionsteam engagiert.
Wir haben uns im Rahmen eines Kunstprojektes kennengelernt. Seitdem habe ich dich mehrmals auf der Bühne erlebt, im Rahmen von verschiedenen Theaterproduktionen, in denen du mitgewirkt hast.
Ja, ich habe an vielen Theater- und Kunstprojekten teilgenommen. Mein Ziel dabei war aber nie, Schauspieler zu sein. Ich bin Aktivist. Ich kämpfe gegen Rassismus. Und es ist für mich egal, ob es an einer Demo, in einer Kunsthochschulvorlesung oder auf einer Theaterbühne passiert. Für mich geht der Kampf weiter. Allerdings habe ich immer wieder schlechte Erfahrungen mit KünstlerInnen, JournalistInnen, TheatermacherInnen usw. gemacht. Immer wieder musste ich feststellen, dass ihre Interpretation dessen, was ich sagte, anders war, als das, was ich eigentlich meinte. Und das geschieht immer wieder, weil sie mich bewusst oder unbewusst in die Schablone eines Asylbewerbers pressen. Deswegen reagiere ich grundsätzlich kritisch, wenn Anfragen kommen.
Was meinst du genau mit der Schablone eines Asylbewerbers?
JournalistInnen schreiben einen Text über die Problematik der irregulären Migration und sind dabei meistens an der Trendmarke „Sans Papiers“ interessiert und nicht an den Menschen im Einzelnen. Ihre Realität spielt dabei keine große Rolle. Und dann wird mir der Text nicht mal zum Gegenlesen gegeben. Oft denken die ProjektorganisatorInnen einfach: „Die brauchen das nicht, sie können eh kein Deutsch.“ Also drücken sie dir einfach das Geld in die Hand und verschwinden. Und viele MigrantInnen akzeptieren das, ohne nachzufragen. Sie freuen sich über das Geld und lassen sich einfach darauf ein. Das zu tun, ohne zu wissen, was der Kontext und das Ziel des Textes wirklich sind, ist aber ein großer Fehler. Und schon schleichen sich Hierarchien ein: „Sie müssten dankbar sein, dass sie überhaupt mitmachen dürfen.“
In meinem Herkunftsland war ich eine Person mit vielen Tätigkeiten, habe mich engagiert für Ausstellungen, Theater und Film, hatte viele Interessen. Und jetzt lebe ich in einer fremden Kultur und mit einer fremden Sprache. Ich habe aber weiterhin meine Interessen und möchte nicht die ganze Zeit nur mit dem Thema der „Migros-Gutscheine“ in Verbindung gebracht werden! Ich möchte mich diesen Klischees widersetzen, die man hier gegenüber Menschen hat, die aus anderen Ländern kommen. Hier glaubt man genau zu wissen, was sie wollen und brauchen. Europa sieht sich als Eigentümer der Welt, der alles bestimmt, sogar, was Menschenrechte sind.
Wie findest du die Motivation der Leute heraus, die hinter den Anfragen steckt?
Wenn ich das Gefühl bekomme, ein Experimentobjekt zu sein, höre ich gleich auf und sage „Sorry, da kann ich nicht weiter machen“. Wenn ich aber merke, es gibt eine gute Basis und die Person macht etwas mit sozialer Verantwortung und ohne auf ihre Kunstkarriere aus zu sein, dann mache ich mit. Ein Kunstprojekt lässt sich ja nicht auf Bestellung zaubern. Es braucht Zeit. Wir sprechen, entscheiden zusammen und dann kann ich schon fühlen, in welche Richtung das Ganze geht, was es für ein Produkt geben wird. Aber zuerst bedarf so ein Prozess der Empathie. Nicht immer braucht es eine große künstlerische Kreativität. Manchmal geht es einfach um einen herzlichen persönlichen Zugang zu den Menschen.
Wobei ich glaube, dass gewisse Differenzen nicht zu überwinden sind. Wir haben nicht die gleiche Sprache. Mir sind die Probleme eines westlichen Künstlers genauso wenig bekannt wie ihm, was meine Kultur ausmacht und wie ich aufgewachsen bin. Und um eben dieses Nicht-Wissen zu überbrücken, versuchen viele KünstlerInnen allgemeingültige Sätze und Bilder einzusetzen, die eigentlich nur das wiederholen, was alle schon längst kennen.
Was kannst du solchen Projekten persönlich abgewinnen?
Ich brauche es nicht, dass eine andere Person über mich redet. Ich kann und will mich selbst vorstellen. Denn niemand kann es besser tun als ich selbst. Sicher fehlt mir die nötige Stellung in der Gesellschaft und ein Künstler, der für mich redet, kann besser gehört werden als ich, ist gebildeter, bekannter. Solange er aber für mich redet, sorgt er dafür, dass ich da bleibe, wo ich momentan bin, nämlich unten. Egal, wie sehr derjenige Künstler die Menschenrechte hochhält. Er selbst geht davon aus, dass er für die Personen, um die er sich kümmert, sprechen muss, da sie selbst nicht für sich sprechen können.
Marina Belobrovaja ( 2013): „… so’n bisschen United Colors of Benetton“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/son-bisschen-united-colors-of-benetton/