„… so’n bisschen United Colors of Benetton“

Tim Zulauf ist Dozent an der Hochschule der Künste Bern HKB BFH, freier Künstler und Autor. Seit 2002 arbeitet er in mit der Gruppe KMUProduktionen (vgl. Zulauf 2013)star (* 17 ) an verschiedenen Theaterformaten. Seit mehreren Jahren engagiert er sich zudem bei Projekten der Autonomen Schule Zürich und des Bleiberecht-Kollektivs.

Als jemand, der sich mit dem Thema schon länger beschäftigt, wirst du oft von KünstlerInnen und Kulturinstitutionen konsultiert, wenn sie kompetente Beratung für die Umsetzung von Projekten zur irregulären Migration brauchen.

Im Sinne eines produktionsästhetischen Verständnisses geht es mir um die Fragen, in welchem Kontext, an welchem Ort und mit welchem Entstehungshintergrund Projekte stattfinden und nicht um das Endprodukt oder die eigene künstlerische Positionierung. Daher möchte ich nicht als derjenige bezeichnet werden, „der mit Flüchtlingen arbeitet“. Es ist nicht zuletzt auch deswegen problematisch, weil eine solche Zuschreibung die Möglichkeitsräume, die verschiedenen Rollen und Funktionen von den jeweils beteiligten Personen extrem reduziert.

Man braucht zum Beispiel kurdische Musik für ein Stück und nimmt jemanden, der womöglich sogar Flüchtling ist und sagt: „Jetzt kommst du auf die Bühne, weil du ein Profi bist auf diesem Gebiet.“ Zwar würde die Person auf der Bühne einen Kulturkreis repräsentieren, aber in erster Linie wäre man als Spezialist, in seiner öffentlichen Rolle, aufgrund einer besonderen Qualifikation und nicht privat, mit allen existenziellen Problemen vorgeführt. Wenn man aber mit Leuten als Laien arbeitet, macht es einen großen Unterschied. Man muss sich ganz andere Gründe überlegen, weshalb diese Leute einen plötzlich interessieren. Und dann kommt man sehr schnell an den Punkt, wo man gesteht, dass dieses besondere Interesse mit ihrem Flüchtlingsdasein zu erklären ist. Aber sind alle Flüchtlinge per se interessant? Denn eigentlich können Leute einen nur dann interessieren, wenn man sie als Personen ernst nimmt und wenn sie das jeweilige Projekt ihrerseits ernst nehmen. Wenn man aber Leute nur in ihrer Funktion als Flüchtlinge auf die Bühne holt, dann macht man zwar einen persönlichen Aspekt von ihnen öffentlich, der natürlich auch politisch geklammert ist, aber an ihnen als Personen ist man in Wirklichkeit gar nicht interessiert. Ich denke außerdem, dass es wichtig ist, dass alle Beteiligten gewillt sind, sich mit den Problematiken der Zusammenarbeit auseinanderzusetzen und das bedeutet, nicht nur zu sagen, ich spiele gerne Theater, sondern sich auf diesen Prozess wirklich einzulassen. Denn wenn das nicht geschieht und Leute zusammenkommen, um in eine vordefinierte künstlerische Struktur eingesetzt werden – im Stil von „Darstellende sind die Farben der Regie“ –, wird es problematisch.

In den informellen politischen Zusammenhängen bestehen ja häufig Ressentiments gegenüber Anfragen aus dem Kunstfeld. Den KünstlerInnen wird vorgehalten, aus der Arbeit mit Flüchtlingen Kapital zu schlagen. Musst du deine Glaubwürdigkeit auch immer wieder unter Beweis stellen?

Man kann tatsächlich behaupten, dass ich aus diesen Projekten kulturelles Kapital schlage. Das kann mir beruflich etwas nutzen, etwa wenn Artikel in der Fachpresse erscheinen, aber auch persönlich, denn es lässt mich als Person moralisch intakter erscheinen. Im Vergleich zu irgendwelchen alten Säcken, die ihre Schinken malen, stehe ich nun besser da, denn offenbar bin ich mit wirklichen Menschenschicksalen beschäftigt. Aber diesen Generalverdacht finde ich insofern hoch problematisch, als man allem den Verwertungsgedanken unterstellt. Denn so nimmt man selbst an einer kapitalistischen Logik teil und kann sich gar nicht mehr davon distanzieren.

Aber diese Problematik hat für mich tatsächlich Auswirkungen auf die Verortung der eigenen künstlerischen Arbeit. Die Sachen, die ich nicht sozusagen verwertet sehen möchte, sollen auch nicht als Bestandteil meines künstlerischen Portfolios deklariert werden. Deswegen sage ich oft: Sorry, das ist keine Kunst, sondern einfach etwas, was uns alle irgendwie angeht und beschäftigt.

Wie gehst du dann mit der Rezeption von Arbeiten anderer KünstlerInnen um, die sich im selben thematischen Feld bewegen?

Projekte mit politischem Gehalt finden statt, weil sich viele Menschen in ihrem Gerechtigkeitssinn verletzt fühlen. Dann kommen moralische Kategorien ins Spiel. Die Grundschwäche solcher Projekte besteht oft darin, dass sie einen moralischen Beigeschmack haben: „Man kümmere sich nun um die wirklichen Probleme dieser Welt.“ Das nervt und erzeugt außerdem eine Art Wettstreit der Gerechtigkeit unter denjenigen, die in diese Richtung arbeiten.

Oft sehe ich Projekte, die von ihrer formellen Setzung her alles richtig machen, aber auf der Oberfläche bleiben, weil die persönliche Haltung ihrer MacherInnen fehlt und die Arbeit sich bereits im Sichtbaren erschöpft. Man stellt zwar Fragen, problematisiert gewisse Kontexte, die Kritik bleibt jedoch uninteressant, da wir über unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, die man uns da vorführt – ob postkolonial, rassistisch oder sexistisch – alle gut Bescheid wissen. Wirklich interessant wäre es doch, eine andere, neue Ökonomie des Zusammenlebens vorzuschlagen, statt einen Vorwurf zu platzieren, womit man ja letztlich weiterhin auf der Achse der zu kritisierenden Entwicklung agiert. Solche Projekte weisen sehr oft keine Widersprüche auf, daher können sie auch keine wirkliche Diskussion auslösen.

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AntiKulti-Ateliergruppe (2012): Flüchtlinge als Stoff für Kunstprojekte. Ein Gespräch der Antikulti Ateliergruppe. In: Papierlose Zeitung, Heft 4, S.4-5. Online unter www.papierlosezeitung.ch/wp-content/uploads/Papierlose-Zeitung-4-2012.pdf  (31.01.2013).

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Autonome Schule Zürich (ASZ). Online unter www.schuel.ch/index.php/ASZ_Hohlstrasse.html (31.01.2013).

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Aux Arts Etc… (2012): Tag der Verortung. Online unter www.auxartsetc.ch/agenda_detail.php?id=8569 (31.01.2013).

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bblackboxx. Online unter www.bblackboxx.ch (31.01.2013).

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Bleiberecht-Kollektiv. Online unter www.bleiberecht.ch (31.01.2013).

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Büro Haeberli. Online unter www.buerohaeberli.ch (31.01.2013).

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Freudiger, Corina (2012): Abstraktes Afrika. Sandra Strunz zeigt ein angenehm ethnokitschfreies Stück über afrikanische Migranten. In: Züritipp vom 8.03.2012. Online unter www.zueritipp.ch/buehne/buehne/Abstraktes-Afrika/story/21714622/ (31.01.2013).

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Karakayali, Jule/Tsianos, Vassilis S./Karakayali, Serhat/Ibrahim, Aida (2012): Decolorise it! In: ak – analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 575, S.11-13. Online unter www.akweb.de/ak_s/ak575/23.htm (31.01.2013).

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Kritnet (Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung). Online unter www.kritnet.org (31.01.2013).

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Kunstkredit Basel Stadt. Online unter www.kunstkreditbasel.ch (31.01.2013).

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Papierlose Zeitung. Online unter www.papierlosezeitung.ch (31.01.2013).

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Spivak, Gayatri Chakravorty (2007): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien: Turia + Kant.

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Theaterprojekt WG Babylon. Eine Performance sucht Asyl (2010). Online unter: www.zhdk.ch/?projektarchiv&id=803; (31.01.2013).

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Verein Kunst+Politik. Online unter www.kunst-und-politik.ch (31.01.2013).

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Wikipedia (2013): Neuorientierung 2010/2011. Online unter de.wikipedia.org/wiki/Basler_Zeitung#Neuorientierung_2010.2F2011 (31.01.2013).

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Zulauf, Tim. Online unter www.zulauf.it (31.01.2013).

Der Titel stammt aus dem Interview mit Almut Rembges am 24.09.2012 in Basel. Der vorliegende Text basiert auf Auszügen aus zwischen August und Dezember 2012 durchgeführten Interviews.

Autonome Schule Zürich (ASZ) und der Verein Bildung für Alle (BfA), sind ein selbstverwaltetes Bildungsprojekt, das ein vielfältiges Bildungs- und Kulturangebot für alle − sowohl für illegalisierte Flüchtlinge und sozial Marginalisierte als auch alle anderen interessierten und engagierten Menschen bietet. Kernteil des Kursangebotes bilden Deutschkurse für verschiedene Kenntnisstufen. (vgl. Autonome Schule Zürich 2013).

Bleiberecht-Kollektiv ist eine politische Bewegung, in der Sans-Papiers und Solidarische mit eigenen Mitteln für ihre Rechte und Autonomie kämpfen. Es  setzt sich für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle ein und fordert u.a. eine kollektive Legalisierung aller Sans-Papiers, die Aufhebung des Nothilfe-Regimes sowie die sofortige Umsetzung des Härtefallartikels. Die Bleiberechtbewegung setzt sich momentan aus Kollektiven in Zürich, Basel, Bern, Fribourg und Lausanne zusammen. (vgl. Bleiberecht-Kollektiv 2013).

AntiKulti-Ateliergruppe trifft sich seit Februar 2010 wöchentlich in autonomen Räumen Zürichs, um mit künstlerischen Mitteln antirassistische Projekte zu entwickeln und umzusetzen (vgl. AntiKulti-Ateliergruppe 2013).

Der Kunstraum bblackboxx wurde von Almut Rembges ins Leben gerufen und bezieht seit rund sechs Jahren Position an der Stadtgrenze von Basel (vgl. bblackboxx 2013).

Im Sommer 2010 erhielt die bblackboxx einen Beitrag der Kulturabteilung des Kantons Basel Stadt für die Umsetzung einer künstlerisch-theoretischen Aktionsreihe (vgl. Kunstkredit Basel-Stadt 2013).

Kritische Whiteness-Forschung (Critical Whiteness Studies), die sich in den 1980er Jahren in der USA entwickelte, thematisiert den Ursprung des Rassismus anhand bestehender sozialer Konstruktionen, bei denen u.a. die verinnerlichte Norm des Weißseins als rassifizierende Perspektive auf das „Andere“ reflektiert wird.

Marina Belobrovaja ( 2013): „… so’n bisschen United Colors of Benetton“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/son-bisschen-united-colors-of-benetton/