Trotz der unterschiedlichen Zugänge meiner InterviewpartnerInnen zum Thema der Migration lassen sich in ihren Statements mehrere Parallelen beobachten. Die zunächst naheliegende Vermutung, dass ihre Sicht auf die verhandelte Problematik primär vom jeweiligen Wirkungsfeld – etwa dem künstlerischen oder dem politischen – abhinge, greift bei näherer Betrachtung offenbar zu kurz. Die sowohl in der außerparlamentarischen Linken als auch in der Kunstszene häufig zu vernehmende Abgrenzung vom jeweils anderen Feld kommt in keinem der Statements zum Ausdruck.
Bei der Frage nach der Motivation für die Umsetzung von Projekten zum Thema der Migration sind sich meine GesprächspartnerInnen einig, dass sich ein ernsthaftes, engagiertes künstlerisches Vorhaben im Interesse der OrganisatorInnen an konkreten Menschen und nicht an ihrem Flüchtlingsstatus manifestiert. Eine wirkliche Bereitschaft der ProjektmacherInnen zur Auseinandersetzung mit den persönlichen Realitäten potenzieller Projektbeteiligter zeichnet sich nicht zuletzt durch das In-Kauf-Nehmen des Risikos aus, dass am Ende eines Vorhabens keine fertige künstlerische Arbeit entstünde. So geht es für Almut Rembges und Christoph Wüthrich im Rahmen des bblackboxx-Projektes nicht primär darum, dass die im Vorfeld angedachten Kunstwerke plangemäß umgesetzt werden, sondern vielmehr um das Sich-Einlassen der KünstlerInnen auf die Situationen und Menschen vor Ort.
Im Prozess der Projektumsetzung offenbare sich stets ein Machtgefälle, das bereits im unterschiedlichen sozialen Status der Projektteilnehmenden angelegt sei, wie es Sarah Schilliger treffend beschreibt. Im Umgang mit diesen Differenzen zeigen meine GesprächspartnerInnen jedoch unterschiedliche Haltungen. Während Julia Huber ausgehend von ihren Erfahrungen in der AntiKulti-Gruppe betont, dass es viel wichtiger sei, Überschneidungspunkte unter den Involvierten und ihren politischen Anliegen zu finden, statt durch das Abfragen ihrer Herkunft Unterschiede zu untermauern, bleiben für Nistiman Amed gewisse herkunftsbedingte kulturelle und soziale Ungleichheiten in Hinblick auf Sprache, Erziehung, Bildung oder gesellschaftliche Stellung unüberbrückbar.
Für Amed führt die allzu oft fehlende Bereitschaft von ProjektinitiantInnen, sich mit diesen Differenzen auseinanderzusetzen, zu einer auf Klischees und Allgemeinplätze reduzierten Darstellung von Flüchtlingen. Mit dieser Beobachtung geht, meiner Meinung nach, auch die umgekehrte Frage einher, ob derartige Stereotypen andersherum ebenfalls zu beobachten sind, nämlich dann, wenn ProjektorganisatorInnen ohne Migrationserfahrung seitens der MigrantInnen als intakt Aufgewachsene, Gebildete und Privilegierte konstruiert werden und inwiefern diese Gegenprojektion von den nicht-migrierten Personen stets selbst verinnerlicht ist.
Aus der Perspektive des in diesem Zusammenhang viel diskutierten Critical Whiteness*7 *( 7 ) produziert und reproduziert die heutige gesellschaftliche Struktur, da stets vom persönlichen Hintergrund wie Geschlecht, Herkunft, politischer und sozialer Status der Handelnden geprägt, hierarchische Verhältnisse. Ein weißer nicht-migrierter Akademiker genießt demzufolge a priori eine privilegierte Stellung in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung. In ihrem Artikel Decolorise it! (Karakayali et al. 2012: o.S.) (* 8 ) äußert sich eine Gruppe von Mitgliedern des Kritnet-Netzwerks (vgl. Kritnet 2013) (* 9 ) kritisch zu diesem Entwurf. Das zentrale Problem zeige sich daran, dass „Differenz und rassistische Hierarchie […] im Sprechen über Rassismus immer sichtbar gemacht werden [müssen], die Einteilungen in ‚white‘ und ‚of Color‘ allerdings werden schnell zu Etiketten, die als Labels stabiler Kategorien erscheinen. Spätestens wenn ein Nachweis über die Herkunft der Eltern verlangt wird, zeigt sich, wo das Whiteness-Konzept aufhört, kritisch zu sein.“ (Karakayali et al. 2012: o.S.) (* 8 ) Anstatt eine Rassismustheorie anzustreben, deren Ziel in der Abschaffung von race als Kategorie bestünde, drehe sich Critical Whiteness von Anfang an im Kreis, resümieren die AutorInnen.
In diesem Sinne können auch die Statements von Julia Huber und Sarah Schilliger gelesen werden, die eine solche Aufteilung in Hinblick auf die Frage, ob nur die sogenannten „Betroffenen“ ihre Lebensumstände glaubwürdig problematisieren dürfen, entschieden ablehnen. Auf diese Art und Weise werde die Verantwortung dafür, sich den bestehenden Missständen zu widersetzen, denjenigen auferlegt, die durch sie unmittelbar prekarisiert werden.
In mehreren Statements wird bemerkt, dass die dem Kunstbetrieb innewohnenden Gesetzmäßigkeiten es den KünstlerInnen kaum möglich machten, losgelöst vom stetigen Druck der Eigenpositionierung und -profilierung zu handeln. In seinem Statement wirft Nicolas Haeberli daher die Frage auf, ob nicht viele der unter dem Prädikat der Kunst realisierten Projekte jenseits der Zwänge des Kunstbetriebes – etwa als soziale Bewegungen – eine deutlich höhere gesellschaftliche Relevanz erlangen könnten. Sind wir KünstlerInnen, AutorInnen, TheatermacherInnen, KulturarbeiterInnen in der Lage, eine Produktionslogik zu verfolgen, die sich den vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten des Kunstfeldes entgegenstellt und eine Arbeit am Gemeinschaftlichen jenseits von (kunst)marktwirtschaftlichen Begehrlichkeiten ermöglicht?
Tim Zulauf, der sich zwar ebenfalls kritisch zu dem Positionierungszwang äußert, den der Kunstbetrieb impliziert, problematisiert jedoch den generellen Verdacht der persönlichen Profitmaximierung, die ProjektinitiantInnen häufig unterstellt wird. Für Zulauf offenbart diese Kritik in erster Linie die kapitalistische Logik derjenigen, die diese Kritik formulieren.
Mir erscheint dieser Generalverdacht, mit dem ich nicht zuletzt in der eigenen künstlerischen Praxis konfrontiert werde, auch deswegen nicht sonderlich produktiv, weil er die ProjektorganisatorInnen in ihrer Funktion dazu zwingt, sich in dauernder Abgrenzung von der ihnen zugeschriebenen profitorientiert und instrumentalisierend konnotierten Rolle zu üben. Und der Zwang, stets beweisen zu müssen, dass man jenseits von Eigengunst handelt, trägt viel eher dazu bei, das Machtgefälle, das im Konzept des Critical Whiteness wie auch in der Instrumentalisierungsdebatte sichtbar gemacht und kritisiert werden soll, zu verfestigen.
Marina Belobrovaja ( 2013): „… so’n bisschen United Colors of Benetton“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/son-bisschen-united-colors-of-benetton/