„Strategien für Zwischenräume. Neue Formate des Ver_Lernens in der Migrationsgesellschaft“
Exkursion zu den Aktionstagen von trafo.K in Wien
Auf eine andere Weise mit dem Thema Geschichte befasste sich der anschließende performative Stadtrundgang mit Tomash Schoiswohl. Ausgestattet mit einem Leiterwagen, einer selbstbemalten Flagge, einer selbstgebauten lebensgroßen Kaffeehaus-Kulisse aus Pappkarton und vielen anderen mehr oder weniger handlichen Materialien machten wir uns auf den Weg zum Matzleinsdorfer Platz und wieder retour. An verschiedenen Stationen gab uns Tomash Schoiswohl Einblicke in die „Tiefengeschichte“ der besuchten Orte. Der von ihm geführte performative Stadtrundgang folgte dem Motto „Grabe, wo du stehst!“, wobei im Sinne der „Grabe, wo du stehst“-Bewegung der 1980er Jahre, die Geschichte des eigenen Stadtteils, der eigenen Arbeitsverhältnisse, der eigenen Lebenswelt von „einfachen Leuten“ selbst erforscht wird. Es handelt sich hierbei um eine radikal basisdemokratische Geschichtsarbeit, die das Potential besitzt, in kapitalistische Verhältnisse einzugreifen, die offen mit Medien und Quellen umgeht und Herrschaftskritik anstrebt, und insofern bestehende Machtverhältnisse thematisiert. Katharina Morawek und Tomash Schoiswohl (2010) argumentieren, dass eine solche kritische und gegenhegemonial verstandene Geschichtsarbeit im Sinne einer Weiterführung der Geschichtswerkstätten unter dem Begriff der Geschichtsbaustelle als „Interventionsprojekt in urbane Räume und deren Narrationen“ zu verstehen ist:
„Bezug nehmend auf das historische Modell der Geschichtswerkstätte, das in sozialen Bewegungen entwickelt wurde, schlagen wir das Bild der Geschichtsbaustelle vor, um Bildung als einen Prozess politischen Handelns betrachten zu können, welcher gleichzeitig Intervention in, Arbeit an und Produktion von „Geschichte“ bedeutet.“ (Morawek/Schoiswohl 2010: 48) (*3)
Besonderes Highlight dieses performativen Stadtrundgangs war ‑ neben den vielen Einblicken in die mikropolitische Tiefengeschichte der einzelnen Orte ‑ ein Besuch in Tomash‘ Atelier, wo wir mit Saft und Kuchen verköstigt wurden, ein wenig ausrasten und weitere Arbeiten des Künstlers besichtigen konnten.
Den Abschluss dieses erlebnisreichen Tages bildete eine Gesprächsrunde mit María do Mar Castro Varela, Alisha M. B. Heinemann und Nora Sternfeld zum Thema „Mit dem Lehrplan streiten“, wobei es darum ging, die asymmetrische Ignoranz in Bezug auf die Einteilung der Welt in Nord und Süd aus einer postkolonialen Perspektive zu hinterfragen, da wir unsere Betrachtungsweise der Welt erlernt haben und somit auch wieder ver-lernen können. Alisha Heinemann stellte in diesem Kontext insbesondere interessante Bezüge zur praktischen Arbeit im Bereich des DAF und DAZ-Unterrichts her und zeigte auf, inwiefern der DAF/DAZ-Unterricht als eine Disziplinierungsmaßnahme für MigrantInnen fungiert.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass dies für mich ein besonders aufregender Tag, da ich die Gelegenheit bekam, einige der KünstlerInnen, VermittlerInnen und/oder WissenschaftlerInnen, von denen ich bisher nur gelesen und gehört hatte, in persona zu erleben. Zudem hat mir dieser Tag viele Anreize für eine praktische Beschäftigung mit kritischer Wissensproduktion geboten, und natürlich auch viele Fragen aufgeworfen, mit denen ich mich weiter beschäftigen werde.
Veronika Aqra ( 2016): „Strategien für Zwischenräume. Neue Formate des Ver_Lernens in der Migrationsgesellschaft“. Exkursion zu den Aktionstagen von trafo.K in Wien. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/strategien-fur-zwischenraume-neue-formate-des-ver_lernens-in-der-migrationsgesellschaft/