Die kapitalistische Indienstnahme von Forschung und Wissen
Der Soziologe Luc Boltanski und die Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello haben 1999 den neuen kapitalistischen Geist als einen beschrieben, der Eigenschaften wie „Autonomie, Spontanität, Mobilität, Disponibilität, Kreativität, Plurikompetenz“ ebenso wie die Fähigkeit, „Netzwerke zu bilden“ integriert und diese als Erfolgsgarantien ausstellt (Boltanski/Chiapello 2006: 143). (*4) Der neue Kapitalismus erweist sich als äußerst flexibel und anpassungsfähig und hat Teile der Kapitalismuskritik aufgenommen, weitere Kritik an ihm stillgestellt und sich zum Teil selbst erneuert. Kennzeichnend für den neuen Geist dieses Projektkapitalismus sind unscharfe Organisationsstrukturen, die mit ständiger Veränderung, Innovation und Kreativität einhergehen. „Den Individuen wird im neuen Kapitalismus eine wesentlich höhere Bedeutung auferlegt“, insofern sie stets aufgefordert sind, „ihre eigenen Leistungen den geforderten Rahmenbedingungen anzupassen.“ (Ludwig 2013: 132) (*15)
Der Ökonom und Essayist Yann Moulier-Boutang begreift auch den kognitiven Kapitalismus als Teil des dritten Kapitalismus, der jenseits des Handelskapitalismus und des industriellen und finanziellen Kapitalismus angesiedelt ist und die Welt der materiellen Produktion neu gestaltet. Boutang benennt u.a. folgende Charakteristika dieses neuen dritten Kapitalismus:
- Virtualisierung der Ökonomie, d.h. die Rolle des Immateriellen und der Dienstleistung
- die Informationserfassung, ihre Verarbeitung und Speicherung in Relation zur Wissensproduktion
- und die Förderung sozialer und produktiver Kooperationen durch die Netzgesellschaft.
Der kognitive Kapitalismus ist ein Akkumulationssystem, das hauptsächlich auf Wissen beruht und dabei ein implizites Wissen ebenso nutzt wie ein aus der Analyse von Nutzerverhalten gewonnenes Wissen. „Wissen ist die Hauptressource des Wertes und wird die wichtigste Ressource im Prozess der Wertschöpfung.“ (Moulier-Boutang 2001) (*18)
Diese kapitalismuskritischen Theorien*4 *(4) lassen die emanzipatorischen Versprechen, die sowohl an die Forschung als auch an das Wissen als Bildung geknüpft sind, ambivalent werden. Denn das Forschende Lernen wie die Wissensbildung in den Künsten qua künstlerischer Forschung können zwar auf der einen Seite Wissenschaft als soziale Praxis kenntlich werden lassen und sich zum Ziel setzen, alle für Forschungsprozesse zu gewinnen und zu integrieren. Dies ist aber auf der anderen Seite im dritten Kapitalismus nicht allein mit emanzipatorischen Effekten verknüpfbar, sondern auch mit Optimierungstechniken neoliberaler, marktorientierter Bildungskonzepte. Denn mit der „Idee des autonomen, selbstgesteuerten Lernens“ wird, dies lässt sich mit dem Wissenschaftspädagogen Stephan Münte-Goussar formulieren, Bildung auch zu einer klug getätigten Investition. Das zu einem lebenslangen Lernprozess aufgeforderte Individuum, soll Geld, Zeit und Kraft investieren, „um für seine Kompetenzen eigenverantwortlich Sorge zu tragen“ (Münte-Goussar 2009: 155). (*20) Diese Entwicklung hat zur Folge, dass „ungleich verteilte Lebenschancen als das Ergebnis individuell falsch getroffener Bildungsentscheidungen interpretiert und die hiermit verbundenen Unsicherheiten, Risiken und Verschuldungen den Subjekten individuell angerechnet werden. Umgekehrt gibt die Autonomie den Individuen tatsächlich die Freiheit, sich selbst zu gestalten und zu verwirklichen“ (ebd.). (*20)*5 *(5)
Es sind unter anderem diese Kontexte, welche deutlich werden lassen, dass es womöglich zu kurz greift, die Forschung oder das Wissen der Künste als das genuin Andere aufzurufen. Die Künstler_innenfigur, die Tom Holert mit Kaprows Forderung in Erscheinung treten sieht, also jene, die sich „in ein strategisches Verhältnis zu Forschung und zur universitären Welt setzt und nach einer kritischen Neuordnung der Wissens- und Praxisfelder verlangt“ (Holert 2011: 39), (*9) lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein, und es ist zu fragen, was nötig ist, damit die forschende Selbstbildung und die Beteiligung an der Wissensproduktion nicht unmittelbar einem verwertungslogischen Denken der Selbstoptimierung anheimfällt, und wie es zu anderen Forschungspraktiken und einem anderen Wissen führen kann. Die folgenden Überlegungen zur historischen und disziplinären Verfasstheit des „Wissens“ und seiner Verkörperung und Diskursivierung versuchen, die gängige Engführung des Wissens mit der Wissenschaft und der Vernunft einerseits sowie die etablierte Polarisierung zwischen Kunst und Wissenschaft andererseits zu entkräften. Dies scheint mir notwendig, um kritische Strategien einer Arbeit am Wissen eröffnen zu können, die nicht allein andere Wissensinhalte zulässt, sondern ebenso andere Praktiken des Wissens zum Zuge kommen lässt.
Elke Bippus ( 2016): Teilhabe am Wissen. „Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/teilhabe-am-wissen/