Das Diskursive und Ausstellungsförmige als Ort des Denkens
Während Piper sozusagen eine Selbsterforschung und -reflexion qua Praxis mobilisiert, stört das Künstler_innen-Kollektiv Group Material das Wissen, verstanden als Aneignungsprozess konstativer Sachverhalte, auf, indem es die Rezeption als forschende Praxis medialisiert. Group Material verfolgt eine Präsentationsweise, welche die Rezeption eines Kunstwerks als ein Suchen, Kombinieren, Analysieren, Assoziieren, Imaginieren und Kontextualisieren erfahrbar werden lässt, als einen performativen Prozess, der stets von unserem Wissen wie unserem Nicht-Wissen mitbestimmt wird.
Das Kollektiv, das einen integrativen und partizipatorischen Ansatz verfolgte, war von 1979 bis 1996 aktiv. Anfangs in einer rotierenden Besetzung von zehn bis dreizehn Mitgliedern, schließlich auf drei Hauptbeteiligte reduziert: Doug Ashford, Julie Ault und Felix Gonzalez-Torres. Die künstlerische Praxis der Gruppe ist eine kuratorische, die sich auf die Präsentation heterogener Materialien und Medien, etwa Chroniken zur Aidskrise, öffentliche Reklamewände oder Werbung in der U-Bahn konzentrierte. Die ausgestellten Materialien und Objekte kamen von bekannten und unbekannten Urheber_innen, so finden sich neben Beiträgen von befreundeten Künstler_innen so genannte autorenlose Texte, also Informations- oder Alltagsmaterialien. Information wird in verschiedenen Medialitäten präsentiert, die einen Wissensraum herstellen. Wissen wird so gleichsam verkörpert oder medial performiert. Die Installationen und Ausstellungen dienten „als materieller Anlass beziehungsweise Mittel, um einen kritischen Diskurs zu befördern, der sich an Gruppierungen außerhalb des historischen Geltungsbereichs des Kunstbetriebs wandte oder diese miteinbezog. Die dichte Anordnung diversester Materialien stellte dementsprechend eine Plattform für das zivilgesellschaftliche beziehungsweise aktivistische Engagement von Group Material dar, egal ob dies in Form von Diskussionsrunden oder ‚Bürgerversammlungen‘ erfolgte“ (Lee 2015: 42). (*14)Group Material verknüpfte die Ausstellungen mit Einladungen zu Gesprächen mit verschiedensten Teilnehmer_innen sowie mit Publikationen, welche das Projekt in gesellschaftlichen und künstlerischen Kontexten diskutieren. Die Gruppe bezeichnete ihre installativen Ausstellungsprojekte als „Zwiesprache“ und unterstrich damit den performativen und re-präsentationskritischen Charakter derselben, mit denen sie einen Ort der Begegnung zu schaffen wünschten. Eine Begegnung, die Ashford, eines der Mitglieder, als eine Erweiterung des „Selbst“ beschreibt. Das Selbst soll, nach Ashford „durch das Verhältnis zu anderen gleichsam aufgebrochen“ (zit. nach Lee 2015: 42) (*14) werden.
Die Ausstellungen von Group Material bilden Orte der Begegnung, an denen sich Kritik und Reflexion, Denken und ästhetische Erfahrung ereignen können. Die Ausstellungen machen erfahrbar, dass sich die Herausbildung des Selbst, des Wissens, Denkens und Wahrnehmens in Auseinandersetzung mit Materialien und in Relation eines historischen und normativ wirksamen Horizonts abspielt. Group Material stellt mit den von ihnen zur Verfügung gestellten materiell vermittelten Informationen einen Raum her, in dem ein kritisches und auf Erfahrungen basierendes Denken in einem diskursiven Austausch und in der Auseinandersetzung mit ästhetisch inszenierten Materialien ausgebildet werden kann.
Die Projekte von Group Material emanzipieren sich von der Polarisierung von Visualität und Verbalität, von derjenigen von kunsteigen und kunstfern, sie legen den Fokus auf Materialitäten, deren Präsentation und Performanz, das heißt auf Fragen der Re-Präsentation. Hierdurch reflektieren ihre Arbeiten auch das Zusammenspiel von Diskurs und Wahrnehmung und unsere Möglichkeiten des Denkens. Die verschiedenen Materialien, die in einer an der Vernunft orientierten Ordnung des Denkens eher als randständig oder irrelevant ausgegrenzt würden, adressieren sich nicht allein an unsere reflexive Kompetenz, sondern sprechen uns auch auf der Ebene des Sinnlichen an, sie berühren uns.
Elke Bippus ( 2016): Teilhabe am Wissen. „Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/teilhabe-am-wissen/