Teilhabe am Wissen

„Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst

Partizipative Wissensproduktion

Die Tradition der Spurensucher hat die künstlerische Produktion als eine forschende und wissensbildende Praxis in Erscheinung gebracht und sie hat damit auch der Vorstellung des schöpferischen Aktes als unmittelbarem, genialen Einfall widersprochen.*14 *(14) Die künstlerischen Verfahren der partizipativen Performance und der kuratorischen Praxis der Achtziger Jahre, wie sie hier vorgestellt worden sind, haben die künstlerische Produktion neu konzeptualisiert, indem sie die Kunsterfahrung und -betrachtung, also die Rezeption als eine forschende Praxis adressierten und diese so in ihrer Performanz haben kenntlich werden lassen. Das Verständnis von künstlerischer Produktion als eine Verbindung von Künstler_in und Werk wird hierdurch als ein relationales Produktionsgefüge zwischen Künstler_in, Objekten, Betrachter_innen, Materialien, Kontexten, Sozialitäten und anderem mehr gefasst. Sowohl Piper als auch Group Material lassen in ihrer künstlerischen Arbeit ein Forschen zum Zuge kommen. Dies trägt dazu bei, dass die Praxis und die Ausstellung gleichsam zu einem Erkenntnismedium werden. Die Projekte erlauben Teilhabe in neuartiger Weise zu verstehen: In Pipers Funk Lessons erscheint eine Teilhabe, die vor jeder Form der Partizipation – verstanden als Beteiligung, als Mitwirkung, als Einbeziehung – wirksam ist; eine (implizite) Teilhabe an einem normativ wirksamen Wissen, die in körperlichen Reaktionen manifest wird, konkret in der Ablehnung oder der Affirmation von Funk. Die Projekte von Group Material integrieren – hierin lässt sich eine Parallele zu den in den 1990er Jahren aufkommenden Cultural Studies*15 *(15) erkennen – in die Kunst gesellschaftspolitisch relevante Themen zu Aids, Bildung oder Demokratie und aktivistisch-politische Verfahren, die bis dahin ausgeschlossen waren. Forschen und Wissensproduktion vollziehen sich in den vorgestellten Projekten in einer ästhetischen Weise, das Sinnliche, die Sinne und der Körper spielen eine zentrale Rolle und Affekte, Lüste, das Begehren, Imaginäres oder Unbestimmtes sind nicht als Störfaktoren ausgeschlossen, sondern werden konstitutiv für ein ästhetisch-reflektierendes Forschen und Denken. Forschen und Teilhabe sind dabei nicht mit dem Versprechen der Überschreitung und der grundlegenden Kritik verknüpft, sondern mit ästhetischen Praktiken, die zu einer Arbeit am Wissen einladen. In diesem Sinn können die Projekte als epistemologische Maschinen beschrieben werden, das heißt als Kommunikationsgefüge von technischen, körperlichen, intellektuellen und sozialen Komponenten, an dem man immer schon teilhat und durch das sich Wissen (aus-)bilden lässt. Das „take part“, das Mitmachen erweist sich als ein „part-of relation“.

star

Baumgarten, Alexander Gottlieb (2007): Ästhetik. Lateinisch-deutsch. Übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern herausgegeben von Dagmar Mirbach. 2 Bände, Hamburg.

star

Benjamin, Walter (2002): Der Autor als Produzent. Ansprache im Institut zum Studium des Fascismus in Paris am 24. April 1934. In: Ders.: Medienästhetische Schriften, Ausw. u. Nachw. v. Detlev Schöttker, Frankfurt am Main, S. 231–247.

star

Bundesassistentenkonferenz – BAK (1970): Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen. Schriften der Bundesassistentenkonferenz 5. Bonn.

star

Boltanski, Luc / Chiapello, Ève (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.

star

Dubach, Selma/Badura, Jens (2015): Denken/Reflektieren. (Im Medium der Kunst). In: Badura, Jens/Dubach, Selma/Haarmann, Anke et al. (Hg.): Künstlerische Forschung. Ein Handbuch, Zürich, Berlin: diaphanes, S. 123–126.

star

Foucault, Michel (2007): Technologien des Selbst. In: Defert, Daniel / Ewald, François (Hg.): Michel Foucault. Ästhetik der Existenz. Schriften zur Lebenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 287-317.

star

Hempfer, Klaus W. /Volbers, Jörg (2011): Vorwort. In: Diess. (Hg.): Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bielefeld: transcript, S. 7–12.

star

Herzogenrath, Wulf (1978): Feldforschung. in: Ausstellungskatalog: Feldforschung. Kölnischer Kunstverein 22. April bis 28. Mai 1978, Köln, S. 4–5.

star

Holert, Tom (2011): Künstlerische Forschung. Anatomie einer Konjunktur/ Artistic Research. Anatomy of an Ascent: In: Texte zur Kunst, Heft 82, Juni 2011, S. 38–63.

star

Hossmann, Herbert/Kahl, Margrit/Liptow, Hilmar und Renate/Oppermann, Anna/Reimers, Renate/Schneede, Uwe M./Wüllner, Charly (1979): Kunstpolitische Überlegungen. In: Ausstellungskatalog: Eremiten? Forscher? Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künstler, Kunstverein und Kunsthaus Hamburg, 14. Juli bis 26. August 1979, Reinbek, S. 9–11.

star

Huber, Ludwig (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: Ders./Hellmer, Julia/Schneider, Friederike (Hg.), Forschendes Lernen im Studium. Bielefeld: Universitätsverlag Webler 2009, S. 9–35.

star

Jung, Eva Maria (2016): Die Kunst des Wissens und das Wissen der Kunst. Zum epistemischen Status der künstlerischen Forschung. In: Siegmund, Judith: Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht? Bielefeld: transcript, S. 23–44.

star

Kliche, Dieter (2000): Ästhetik/ästhetisch, Abschnitt I–IV. In: Barck, Karlheinz at al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Band 1 Absenz – Darstellung, Stuttgart, Weimar, S. 317–342.

star

Latour, Bruno (1998): From the World of Science to the World of Research? In: Science 10 April 1998: Vol. 280 No. 5361 pp. 208-209. Online unter: http://science.sciencemag.org/content/280/5361/208

star

Lee, Pamela M. (2015): Etwas demonstrieren. In: Ausstellungskatalog: to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer. Künstlerische Praktiken um 1990, hrsg. von Matthias Michalka. Museum moderner Kunst. Stiftung Ludwig Wien, Köln: Buchhandlung Walther König, S. 36–46.

star

Ludwig, Christian (2013): Kritische Theorie und Kapitalismus. Die jüngere Kritische Theorie auf dem Weg einer Gesellschaftstheorie, Wiesbaden: Springer VS.

star

Marchart, Oliver (2001): Der Cultural Turn zur Akademie und zurück. Kulturstudien zwischen Institutionalisierung, Disziplinierung und dem Theorie-Praxis-Gap. In: Bauer, Ute Meta (Hg.): Education, Information, Entertainment. Aktuelle Ansätze künstlerischer Hochschulbildung, Wien: edition selene, S. 132–148.

star

Mersch, Dieter (2012): Kritik der Kunstphilosophie. Kleine Epistemologie künstlerischer Praxis. Online unter: Mersch_Kritik der Kunstphilosophie_2012.pdf, S. 1–22. (2.8.2016).

star

Moulier-Boutang, Yann (2001): Marx in Kalifornien: Der dritte Kapitalismus und die alte politische Ökonomie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Bd. 52-53, Kulturelle Globalisierung, S. 29–37.

star

Münch, Richard (2006): Drittmittel und Publikationen. Forschung zwischen Normalwissenschaft und Innovation. In: Soziologie, 35. Jg., Heft 4, 2006, S. 440-461.

star

Münte-Goussar, Stephan (2009): Forschendes Lernen. In: Meyer, Torsten/Sabisch, Andrea (Hg.): Kunst, Pädagogik, Forschung. Aktuelle Zugänge und Perspektiven, Bielefeld: transcript, S. 149–164.

star

Peters, Sibylle (2013): Das Forschen aller – ein Vorwort. In: Diess. (Hg.): Das Forschen aller, Bielefeld: transcript, 7–21.

star

Piper, Adrian (2002): Notes on Funk I–IV. In: Breitwieser, Sabine/Generali Foundation (Hg.): Adrian Piper seit 1965. Metakunst und Kunstkritik. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, S. 231–247.

In ähnlicher Weise perspektiviert die Kulturwissenschaftlerin und Performerin Sibylle Peters die Forschung. Sie macht in ihren wissenschaftlichen und künstlerischen Projekten den Begriff der künstlerischen Forschung stark und versucht, „vielen Menschen, Nicht-Künstler_innen und Nicht-Wissenschaftler_innen, [zu] ermöglichen […], sich an Forschungsprozessen zu beteiligen.“ Peters stellt sich dabei der Herausforderung, Forschungsprozesse zu initiieren, „an denen potentiell – je nach Forschungsfrage, Feld der Untersuchung und Art des Problems – alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt sind“. (Peters 2013: 11f.)

Das Forschende Lernen setzt sich das Ziel, Wissenschaft als sozialen Prozess erfahrbar werden zu lassen und stellt sich in die Tradition jener geistigen Väter, welche die Universität als eine Bildungsinstitution begriffen.

Das Forschende Lernen vermittelt dementsprechend, folgt man der einschlägigen Literatur, nicht notwendig berufsrelevantes Wissen, es fördert vielmehr „Kernkompetenzen für Berufsfähigkeit in hochqualifizierten Berufen bzw. Professionen“; etwa den „Umgang mit Unbestimmtheit“, der im Forschen gebraucht und geübt werde und ein nachhaltiges „tiefes Lernen“, bei dem der Lernende „sein Wissen selbst organisiert, es elaboriert und kritisch reflektiert.“ (Huber 2009: 17).

Christian Ludwig nennt vier neue Deutungen des Kapitalismus: Dies sind: „Globaler Kapitalismus“ (Ulrich Beck und Michael Hardt/Antonio Negri), „Ökologischer Kapitalismus“ (Thomas Barth und Christoph Görg), „Finanzmarktkapitalismus“ (Christoph Deutschmann und Paul Windolf) und „Netzwerkkapitalismus“ (Luc Boltanski/Ève Chiapello und Manuel Castells). Im neuen Kapitalismus, der die Sozialkritik und Künstlerkritik aufgenommen hat, wird den Individuen eine wesentlich höhere Bedeutung auferlegt, ganz besonders dann, wenn sie in der Lage sind, ihre eigenen Leistungen den geforderten Rahmenbedingungen anzupassen. (Ludwig 2013: 132, 222)

Die Autonomieforderungen und Verantwortungszuschreibungen sind heute auch Instrumente einer neuen Herrschaftspraxis, die der Ideologie eines neoliberalen Marktes förderlich ist.

Der im 17. Jahrhundert ausgebildete neuzeitliche Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriff, wie ihn Descartes nachdrücklich vertrat, setzte allein auf das denkende Ich und begegnete der sinnlichen Wahrnehmung mit äußerstem Misstrauen. Zur Entwicklung der Ästhetik vgl. grundlegend den Eintrag „Ästhetik/ästhetisch“ der Ästhetischen Grundbegriffe. Eine historische Darstellung der Entwicklung der Ästhetik als wissenschaftliche Disziplin gibt darin Dieter Kliche (2000). Die grundlegende Abhandlung in diesem Kontext ist bekanntermaßen die 1750 von Alexander Gottlieb Baumgarten veröffentlichte Aesthetica. Der Aesthetica gingen zahlreiche Schriften und Debatten voran. So sprach sich etwa Leibniz gegen einen kategorialen Unterschied zwischen Verstand und Sinnlichkeit aus und begriff diese als verschiedene Erkenntnisformen. Baumgarten selbst hat in verschiedenen der Aesthetica vorausgehenden Schriften, den Begriff der Ästhetik eingeführt und populär gemacht. (Baumgarten 2007)

Erst indem ein Inneres im Äußeren, das heißt einem Medium „sich zu erkennen (gibt)“, wie es in den Vorlesungen über die Ästhetik heißt, erhält das Geistige eine wahrnehmbare Präsenz – „eine Erscheinung, die etwas bedeutet“; sie stellt sich folglich „nicht selber und das, was sie als äußere ist, vor, sondern ein anderes. (…) Ja, jedes Wort schon weist auf eine Bedeutung hin und gilt nicht für sich selbst“ (ebd., 6).

Reflexion wird hier als eine geistige Tätigkeit verstanden, die sich auf die Denk- und Vorstellungsakte selbst richtet.

Die Teilhabe am Wissen meint hier nicht allein die vermeintlich aktive Tätigkeit eines/einer Forschenden, sondern – dies wird gerade im Kontext des dritten Kapitalismus evident – der Beitrag am Wissen durch ein gemeinhin alltägliches Surfen im Netz.

Infolgedessen sind meine Lesarten der folgenden künstlerischen Beispiele keine essentialistischen Bestimmungen von einem Wissen der Kunst, sie fokussieren vielmehr Praktiken und Darstellungsstrategien, die eine kritische Wissenspraxis in Aussicht stellen.

Das 1983 fertig gestellte 15-minütige, unter der Regie von Sam Samore produzierte Video zeigt Pipers Lessons an der University of California, Berkeley. Ausschnitt unter: http://www.adrianpiper.com/vs/video_fl.shtml

Laut Piper gelang es, die ausgelösten Reaktionen in kleinen parallel zu den Events veranstalteten Gruppen zu artikulieren und manchmal auch abzubauen. Das Ergebnis solcher Treffen schildert sie als „kathartisch, therapeutisch und intellektuell stimulierend“ (Piper 2002: 236).

Foucault beschreibt mit „Gouvernementalität“ die Verbindung zwischen den Technologien der Beherrschung anderer und den Technologien des Selbst. In der Familie wie in Institutionen – etwa der Schule, den Krankenhäusern und Unternehmen – werden (Selbst-)Praktiken eingeübt, durch die sich das Individuum in irreduzibler Weise auf sich selbst bezieht und sich subjektiviert. (Foucault 2007).

So schreibt beispielsweise Wulf Herzogenrath in seinem Vorwort im Ausstellungskatalog Feldforschung: „Kunst wird klischeehaft mit subjektiv, genialisch individuell gleichgesetzt, obwohl von Anfang an der Künstler mit dem Handwerker und dem Wissenschaftler eng verbunden war. Künstler haben immer nüchtern beobachtet, wissenschaftlich analysiert, Erfindungen gemacht, wenn sie natürlich auch im Bereich ihrer Themen und ihres Mediums blieben“. (Herzogenrath 1978: 4)

Oliver Marchart erkennt in den Cultural Studies den Versuch einer allgemeinen „Neulegitimation der humboldtschen Universitätsidee durch eine mehr oder minder zeitgemäße Reformulierung des Kulturbegriffs“. Die Versprechen der Cultural Studies sind lnterdisziplinarität, Politisierung von Lehrinhalten und die Überwindung des Theorie-Praxis-Gap (vgl. Marchart 2001: 132).

Elke Bippus ( 2016): Teilhabe am Wissen. „Part-of Relation“ oder performative Forschung im Feld der Kunst. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/teilhabe-am-wissen/