The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich

Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.

Urban Citizenship –  das Recht auf Rechte und das Recht auf die Stadt

Die Erfolglosigkeit der bisherigen Forderungen nach einer Ausweitung der Bürgerrechte rufen nach neuen politischen Formen, um die rechtliche und soziale Ungleichheit, die die Schweizer Bevölkerung durchzieht, zu überwinden. Die folgenden Prinzipien könnten dafür wegweisend sein: Die stetige Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Institutionen und ein alle Zonen der politischen, sozialen und kulturellen Öffentlichkeit in den Blick nehmendes Engagement für ein „Recht auf Rechte“ (Morawek 2015).star (*7) Praktisch würde das zuallererst bedeuten, dass alle, die in einer Stadt leben, auch Zugang zu den sozialen Dienstleistungen und Ressourcen, die diese Stadt bisher ganz oder teilweise nur ihren verbrieften Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellt, erhalten müssten. Das Konzept der „Urban Citizenship“ lebt von diesen Prinzipien. Es knüpft das Recht auf (soziale) Rechte und den Zugang zu Ressourcen an den Lebensmittelpunkt der StadtbewohnerInnen, nicht an deren Staatsbürgerschaft. Mit „Urban Citizenship“ ist also eine „StadtbürgerInnenschaft“ oder auch „WohnbürgerInnenschaft“ gemeint. Während der Begriff „StaatsbürgerInnenschaft“ fundamentale Rechte an die Grenzen eines Nationalstaats, an Mobilitätskontrolle und Sesshaftigkeit bindet, meint StadtbürgerInnenschaft die Anpassung politischer Instrumentarien an die vielfältige Normalität moderner (Groß-)Städte. In Konzepten um StadtbürgerInnenschaft wird demzufolge nicht Migration, sondern die ungleiche Verteilung sozialer Rechte und damit der ungleich verteilte Zugang zu Ressourcen als Problem adressiert.

Die Stadtsoziologin Marisol Garcia beschreibt die Bedingungen für Urban Citizenship wie folgt: „Urban and regional forms of citizenship develop when policy instruments are introduced locally and regionally in order to maintain and/or create social entitlements as a result of citizens’ demands or as a result of local institutions’ innovative practices; and when the mechanisms for political integration provide an open sphere for participation and contestation not only for established citizens, but also for denizens.“

 „Urbane und regionale Formen der Citizenship entstehen, wenn lokale und regionale Regierungsformen eingesetzt werden, die zum Ziel haben, soziale Rechte/Berechtigungen zu erhalten oder neu zu generieren; entweder als Ergebnis der Forderung von BürgerInnen oder als Ergebnis innovativer Praxen lokaler Institutionen; und wenn die Mechanismen der politischen Teilhabe einen offenen Raum für Teilhabe und Verhandlung herstellen, nicht nur für jene, die bereits BürgerInnen sind, sondern auch für jene, die es noch nicht sind.” (Garcia 2006: 754, Übersetzung: die Autorin).star (*3)

Zentral bei dieser Definition ist einerseits das Zusammenspiel von Regierungspraxen und sozialen Kämpfen: Urban Citizenship meint Veränderungen in der lokalen Governance, denkt dabei aber soziale Kämpfe von unten stets mit. Diese sozialen Kämpfe erneuern die Forderungen nach einer Ausweitung von Teilhabe und sozialen Rechten stetig und – so ließe sich ergänzen – laufen über das Partikuläre bestimmter politischer Interessengruppen hinaus zu einer Demokratisierungsbewegung zusammen (siehe auch: Lebuhn 2015).star (*5) Andererseits – und das ist der entscheidende Punkt – kommt diese Ausweitung von Teilhabe genau durch jene zu Stande, die zuvor noch nicht als „Citizens“ galten. Es kann also nicht das Ziel der Bewegungen für StadtbürgerInnenschaften sein, dass ihre Kämpfe nach jenem paternalistischen Muster verlaufen, wie man es in der Schweiz etwa aus der Geschichte des Frauenstimmrechts kennt: Auch wenn diesem ein jahrzehntelanger emanzipativer Kampf der Frauen für ihre eigenen Rechte vorausging, waren die Frauen im Jahr 1971 schließlich darauf angewiesen, dass eine Mehrheit der Männer ihnen dieses Recht an der Urne gewährte. Der epochale Sprung aus dem althergebrachten Dominanzdispositiv der Männer war hier also nur über die finale Akzeptanz der diskriminierten Frauen durch diese dominanten Männer möglich. Wenn die StadtbürgerInnenschaftsbewegungen diesen Umweg über die Dominanzgesellschaft nicht gehen wollen, müssen sie also auch den Demokratiebegriff repräsentativer – oder, wie im Falle der Schweiz, „teildirekter“ Demokratie – radikal überprüfen.

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Espahangizi, Kijan (2015): Stimm- und Wahlrecht für Ausländer? Nein, danke!, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 26/2015 vom 25.06.2015

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Foroutan, Naika et al.: Deutschland postmigrantisch I. Gesellschaft, Religion, Identität. Erste Ergebnisse. Forschungsprojekt „Junge Islambezogene Themen in Deutschland (JUNITED) am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humbold-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Berlin 2014

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García, Marisol (2006), Citizenship Practices and Urban Governance in European Cities, Urban Studies, 43 (4): 745–765.

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Kester, Grant (2015): On the Relationship between Theory and Practice in Socially Engaged Art, Fertile Ground, Juli 2015

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Lebuhn, Henrik (2015): Urban Citizenship and the Right to the City: The Fragmentation of Claims, in: International Journal for Urban and Regional Research (Symposium), 39.4, mit Talja Blokland, Christine Hentschel, Andrej Holm & Talia Margalit

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Marchart, Oliver (2014): The Art of Preenactments, Lecture am 9. Juli 2014 am HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin, Link: https://vimeo.com/114242197, abgerufen am 15. Mai 2016

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Morawek, Katharina (2015): Städte statt Staaten, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 28/2015 vom 09.07.2015

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Rodatz, Mathias (2014): Migration ist in dieser Stadt eine Tatsache. Urban politics of citizenship in der neoliberalen Stadt. In: suburban 2(3), 35-58.

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Morawek, Katharina (2016): #urbancitizenship. Stadt und Demokratie, in: Shedhalle 2016 (Ausstellungsbroschüre)

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Sternfeld, Nora (2013): Involvierungen. Das post-repräsentative Museum zwischen Verstrickung und Solidarität, Beitrag auf der Website des Bielefelder Kunstvereins, http://www.bielefelder-kunstverein.de/ausstellungen/2013/museum-off-museum-blog/nora-sternfeld.html#.VzuTpFeh6Rs, abgerufen am 15. Mai 2016

Katharina Morawek ( 2016): The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich. Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/the-whole-world-in-zurich-die-ganze-welt-in-zurich/