The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich

Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.

Ist das Kunst?

Die oben angeführte Definition von Urban Citizenship ernst zu nehmen und daher die Ebene der sozialen Kämpfe und Bewegungen miteinzubeziehen bedeutet, Beteiligte solcher Kämpfe in das Projekt zu involvieren. In einem nächsten Schritt entschieden Martin Krenn und ich uns dafür, eine Arbeitsgruppe als „organisatorischen Kern“ des Projekts ins Leben zu rufen. Die Besetzung der Arbeitsgruppe wurde insbesondere durch die Involvierung der Autorin (und Kuratorin) in den unten genannten Netzwerken möglich. Nach einigen Vorgesprächen kam die Arbeitsgruppe, bestehend aus ProtagonistInnen aus den Bereichen Wissenschaft, sozialen Bewegungen, Recht und gewerkschaftlicher Organisierung, im Juni 2015 zum ersten Mal zusammen und konstituierte sich. Neben breitem Fachwissen trafen heterogene Erfahrungen, Blickwinkel und Zugänge in Bezug auf die Frage nach Urban Citizenship und Teilhabe in Zürich aufeinander. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe hatten vielfältige Projekterfahrung und sind mit rassismuskritischen, migrationspolitischen und kunstrelevanten Zusammenhängen vernetzt bzw. selbst Teil davon. Diese Netzwerke sollten nicht zuletzt für das Projekt selbst ihre Wirkung entfalten. Die Arbeitsgruppe traf sich regelmäßig, um die strategische Ausrichtung des Projekts sowie die Fragestellungen und Arbeitsschwerpunkte des Projekts zu bestimmen und auszuarbeiten. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren: Martin Krenn (ausführender Künstler), Katharina Morawek (Kuratorische Leitung Shedhalle), Bah Sadou (Aktivist, Autonome Schule Zürich ), Bea Schwager (Leiterin SPAZ, Anlaufstelle für Sans Papiers in Zürich ), Dr. Kijan Malte Espahangizi (Geschäftsführer, Zentrum „Geschichte des Wissens“), Osman Osmani (Gewerkschaftssekretär für Migration, UNIA ), Dr. Rohit Jain (Sozialanthropologe, Universität Zürich / Zürcher Hochschule der Künste) und Tarek Naguib (Jurist, Zentrum für Sozialrecht / Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften). Die Teilnahme an der Arbeitsgruppe wurde entlohnt und die jeweiligen Projekte (sowie die Folgeprojekte im darauffolgenden Jahr) mit einem je eigenen Budget ausgestattet.

Die kuratorische Ethik, die den Hintergrund für die Politik der Shedhalle während der Zeit meiner künstlerischen Leitung, also auch für das Projekt „Die ganze Welt in Zürich“ bildet, geht von einer Auffassung aus, die eine zum Großteil aus öffentlichen Geldern geförderte Institution (wie die Shedhalle) in der Pflicht sieht, diese Steuergelder (die ja nicht nur von StaatsbürgerInnen bezahlt werden) für Projekte zur Demokratisierung von Gesellschaft zu verwenden.
Zudem beziehe ich mich als Kuratorin in zahlreichen Projekten auf den Begriff der künstlerischen Intervention. Dieser wird seit den 1980er Jahren für künstlerische Praxen gebraucht, die (möglichst unwiderrufliche) Eingriffe in soziale und/oder diskursive Gegebenheiten vornehmen.

Zentral für das Projekt „Die ganze Welt in Zürich“ wurde das Bild eines Hafens, das verschiedene Bilder evoziert: Mobilität, Globalität, Handeln und Aushandeln, Ankunft, vor Anker gehen, Vielfalt und Weltoffenheit. Eine Ausstellung zur Geschichte und Praxis der „socially engaged art“ in der Shedhalle begleitete das Projekt. Hier fanden sich historische Referenzen in Form von Zeichnungen, die aus Vorlagen von Fotografien entstanden (Künstler: Andreas Bertschi). Sie durchzogen den Ausstellungsraum als Plakate, die auf Litfasssäulen geklebt wurden. Die Ausstellung rahmte so das Projekt und stellte den Zusammenhang zu ähnlichen, historischen und aktuellen Projekten her. Einen zentralen Teil der Ausstellung bildete die Ausstellungsarchitektur, welche dialogische Gesprächsräume für die Hafengespräche, Hafenforen und Arbeitsgruppensitzungen schuf, die sich ebenfalls an der Hafenmetapher des Projekts orientierten.

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Espahangizi, Kijan (2015): Stimm- und Wahlrecht für Ausländer? Nein, danke!, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 26/2015 vom 25.06.2015

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Foroutan, Naika et al.: Deutschland postmigrantisch I. Gesellschaft, Religion, Identität. Erste Ergebnisse. Forschungsprojekt „Junge Islambezogene Themen in Deutschland (JUNITED) am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humbold-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Berlin 2014

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García, Marisol (2006), Citizenship Practices and Urban Governance in European Cities, Urban Studies, 43 (4): 745–765.

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Kester, Grant (2015): On the Relationship between Theory and Practice in Socially Engaged Art, Fertile Ground, Juli 2015

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Lebuhn, Henrik (2015): Urban Citizenship and the Right to the City: The Fragmentation of Claims, in: International Journal for Urban and Regional Research (Symposium), 39.4, mit Talja Blokland, Christine Hentschel, Andrej Holm & Talia Margalit

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Marchart, Oliver (2014): The Art of Preenactments, Lecture am 9. Juli 2014 am HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin, Link: https://vimeo.com/114242197, abgerufen am 15. Mai 2016

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Morawek, Katharina (2015): Städte statt Staaten, WOZ – Die Wochenzeitung, Nr. 28/2015 vom 09.07.2015

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Rodatz, Mathias (2014): Migration ist in dieser Stadt eine Tatsache. Urban politics of citizenship in der neoliberalen Stadt. In: suburban 2(3), 35-58.

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Morawek, Katharina (2016): #urbancitizenship. Stadt und Demokratie, in: Shedhalle 2016 (Ausstellungsbroschüre)

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Sternfeld, Nora (2013): Involvierungen. Das post-repräsentative Museum zwischen Verstrickung und Solidarität, Beitrag auf der Website des Bielefelder Kunstvereins, http://www.bielefelder-kunstverein.de/ausstellungen/2013/museum-off-museum-blog/nora-sternfeld.html#.VzuTpFeh6Rs, abgerufen am 15. Mai 2016

Katharina Morawek ( 2016): The Whole World in Zurich / Die ganze Welt in Zürich. Kollaborative und transformative Strategien der Verhandlung von „StadtbürgerInnenschaft“.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/the-whole-world-in-zurich-die-ganze-welt-in-zurich/